Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Wie die Klimakrise eine seltene Baumart bedroht

Ein aggressiver, wärmeliebender Pilz aus Nordamerika befällt immer mehr Moor-Spirken, die weltweit nur in Bayern und einigen angrenzenden Ländern vorkommen. Auch andere Bäume sind in Gefahr.

Von Christian Sebald

Die Klimakrise spielt nicht nur Allerweltsbäumen wie der Fichte übel mit. Sie schädigt immer öfter auch seltene und besondere Arten. Die Moor-Kiefer oder Moor-Spirke ist ein Beispiel. Pinus mugo rotundata, wie ihr wissenschaftlicher Name lautet, gilt unter Experten wie Stefan Müller-Kröhling von der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) als "Juwel unter den Moor-Arten". Denn sie ist nicht nur sehr selten. Sondern es gibt sie weltweit nur im Freistaat und den angrenzenden Ländern von der Schweiz bis nach Tschechien und Sachsen. Außerdem kommen im Umfeld von Moor-Spirken einige bedrohte und streng geschützte Tiere vor. "Der Hochmoorlaufkäfer zum Beispiel", sagt Müller-Kröhling, "oder der nordische Schwimmkäfer." Man kann also verstehen, wenn Müller-Kröhling sagt, dass Bayern eine besondere Verantwortung für die Baumart hat.

Die Moor-Spirke ist ein eher unauffälliger Baum. Laien halten sie gerne für eine etwas schmal geratene gewöhnliche Kiefer. Dabei ist die Moor-Spirke schon anhand der Rinde einfach von der Waldkiefer zu unterscheiden. Sie ist braun-grau oder braun-schwarz und nie so rötlich wie die der Waldkiefer. Pinus mugo rotundata gehört zum Komplex der Bergkiefern und besiedelt nährstoffarme, nasse Hochmoore. Sie wird bis zu 15 Meter hoch und maximal einen halben Meter dick. Ihre Krone ist kegelförmig, die Nadeln sitzen in Büscheln zu zweit und werden drei bis sieben Zentimeter lang. Die Zapfen sind leicht asymmetrisch und haben eine zweijährige Entwicklungszeit.

Das Holz der Moor-Spirke ist hart und schwer spaltbar, wirtschaftlich ist es uninteressant. Gleichwohl wurden Moor-Spirken-Wälder in der Vergangenheit gerodet. Zum einen bei der Trockenlegung der Feuchtgebiete zur Gewinnung von Agrarland. Zum anderen aus vermeintlichen Naturschutzgründen. "Damit wollte man lichtliebende Moorbewohner wie den Hochmoorgelbling fördern", sagt Müller-Kröhling. Das ist ein sehr seltener Schmetterling, der an der Rauschbeere frisst. Aktuell kommen Moor-Spirken in Bayern auf höchstens 4000 Hektar vor, das sind gerade mal 0,16 Prozent der Waldfläche im Freistaat. Gleichzeitig macht der bayerische Bestand laut Müller-Kröhling wenigstens ein Drittel des Gesamtvorkommens aus.

Bei befallenen Bäumen färben sich die Nadeln braun und sterben ab

Die Klimakrise nimmt die Baumart gleich doppelt in die Zange. Zum einen schwächen die immer häufigeren extremen Hitze- und Trockenperioden die Bäume sehr. Zum anderen begünstigt sie den Pilz Lecanosticta acicola, der erst seit etwa 30 Jahren in Bayern auftritt und immer mehr Bestände absterben lässt. Der Schädling stammt aus Nordamerika und gilt als der gefährlichste Kiefernschädling überhaupt. Bei befallenen Bäumen verfärben sich die Nadeln braun, sterben ab und werden vorzeitig abgeworfen. Langfristiger Befall führt in aller Regel zum Tod der jeweiligen Kiefern. Der Pilz hat ein sehr großes Wirtsspektrum, weltweit sind etwa 25 Kiefernarten bekannt, die er heimsucht. In Deutschland ist der Schädling erstmals 1994 in einem Garten im oberbayerischen Murnau entdeckt worden. Sechs Jahre später folgte der erste Nachweis in freier Landschaft - an einer Kiefer in einem Moor am Chiemsee. Wie Lecanosticta acicola nach Europa gelangt ist, ist nicht klar. Müller-Kröhling geht davon aus, dass es durch den Import von infiziertem Pflanzgut passiert ist.

Der Pilz ist so aggressiv, dass einige Experten inzwischen befürchten, er könnte den Moor-Spirken in Bayern den Garaus machen. Müller-Kröhling ist nicht so pessimistisch. "Kein Schädling hat das Interesse, seinen Wirt ganz umzubringen", sagt er. "Denn das wäre ja auch sein Ende." Müller-Kröhling setzt auf die sogenannte Hypovirulenz. Damit meint er das Phänomen, dass sich die Aggressivität eines Schädlings nach der ersten Befallswelle abschwächt. "Außerdem hat man beobachtet, dass Lecanosticta acicola auch nicht alle Moor-Spirken in einem Gebiet befällt, es gibt wohl welche, die eine Art Resistenz-Gen gegen ihn haben", sagt der Experte, "alleinstehende etwa lässt er offenbar in Ruhe." Gleichwohl rechnet auch Müller-Kröhling damit, dass sich die Moor-Spirke nicht an allen bisherigen Standorten halten können wird.

Derweil sind offenbar auch immer mehr Weißtannen in Gefahr. Albies alba gilt eigentlich als Art, die vergleichsweise gefeit ist gegen die Klimakrise. Allein schon wegen ihrer tief reichenden Pfahlwurzel, die ihr Stabilität bei Stürmen und anderem Extremwetter gibt, sie aber auch bei Trockenheit an tief liegende Wasservorräte im Boden herankommen lässt. Anders als die Moor-Spirke ist die Weißtanne auch interessant für Zimmerer, Schreiner und Bauleute. Denn Tannenholz ist vielseitig verwendbar. Und mit einem Waldanteil von 2,5 Prozent ist die Tanne sehr viel weiter verbreitet als die Moor-Spirke und andere Exoten. Aber die Klimakrise entpuppt sich immer öfter auch als Risiko für sie. Zwei Tannen-Trieblaus-Arten aus Kaukasien, die schon vor 180 Jahren nach Bayern eingeschleppt wurden, entpuppen sich als besonders gefährlich. Vor allem junge Tannen gehen an den wenige Millimeter großen Schädlingen ein. An der LWF läuft deshalb ein Forschungsprojekt über sie. Eine zentrale Frage ist, wie verbreitet die beiden kaukasischen Tannen-Trieblaus-Arten inzwischen in den bayerischen Wäldern sind.

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