Letztens war wieder so ein Moment, der Daniel Gromotka verwunderte. Der Vater einer Achtjährigen sah, wie die bayerischen Horte bereits ab einem Fünftel Coronafällen in den Gruppen schlossen, in der Grundschule aber erst ab der Hälfte. Es durften also teils dieselben Kinder, die vormittags noch auf der Schulbank saßen, nachmittags nicht mehr zur Betreuung kommen. Es werde zu wenig ganzheitlich gedacht, sagt der Münchner Elternbeirat. Und: "Hier fehlt dem Ministerium ein dauerhafter Ansprech- und Sparringspartner auf Elternseite."
Zwar sitzen Träger, Stadt und Eltern in der Landeshauptstadt längst regelmäßig gemeinsam am Tisch, im zuständigen Sozialministerium aber nicht, wenn es um die große Linie geht. Um das zu ändern, fordert Gromotka mehr Mitsprache für Kita- und Hort-Eltern auf Landesebene. Der Münchner ist Wortführer einer selbstbewussten Gruppierung, die dabei sein will, wenn es um Kita-Gebühren, Inklusion, das Gute-Kita-Gesetz oder eben Corona-Regeln geht. Das sei eben auch Landespolitik, betont Gromotka: "Auf der Ebene wollen wir spielen." Nur wollte die Regierung da bisher nie so recht mitspielen. Zu bürokratisch, zu teuer und schlichtweg überflüssig, so die Argumente in der Vergangenheit.
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Nun macht die Landtagsopposition Druck. Die Bayern-Ampel hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Partizipation von Eltern auf Landesebene gesetzlich festschreiben soll. Konkret sollen sich Elternbeiräte in den Kommunen zusammenschließen und eine Landeselternvertretung (LEV) wählen. Diese soll ein Anhörungsrecht bei Gesetzesänderungen bekommen und mit einer Geschäftsstelle im Sozialministerium vertreten sein. Eltern sollen so "vom Zaungast zum Teamplayer" werden, sagt Johannes Becher (Grüne). "Eltern wissen, was Kinder brauchen", sagt Diana Stachowitz (SPD). Es gäbe wichtige Themen zu besprechen, sagt Julika Sandt (FDP).
Bisher läuft die Elternbeteiligung meist vor Ort
Bisher läuft die Elternbeteiligung in Bayern vor allem vor Ort. Jede Kita muss einen Elternbeirat gründen, so ist es im Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz festgelegt. Darüber hinaus gibt es etwa in München, Nürnberg und Olching Gesamtelternbeiräte, die auf kommunaler Ebene mitreden. Gegen den nächsten Schritt - eine zunehmend anspruchsvolle Elternschaft auf Landesebene anzuhören - wehrt man sich im Ministerium seit Jahrzehnten.
Groß sind die Sorgen, sich ein teures Bürokratiemonster mit hoher Fluktuation zu schaffen, das die ohnehin zähen Gesetzgebungsprozesse noch mehr verlangsamt. Wobei man im Sozialministerium nicht den Eindruck aufkommen lassen will, sich der Elternmeinung zu verschließen. Partizipation und Kommunikation seien wichtige Leitlinien zukunftsfähiger Politik, betont Sozialministerin Carolina Trautner (CSU). Ob allerdings "neue, bürokratische Strukturen" dabei zielführend seien, müsse diskutiert werden.
"Komplett rückständig" sei diese Haltung, moniert Sandt (FDP). Fakt ist: Der Freistaat steht mit seinem Verzicht auf eine LEV zunehmend alleine da. In fast allen Bundesländern sitzen neben Vertretern der Trägerverbände auch die Eltern regelmäßig mit am runden Kita-Tisch. In Baden-Württemberg haben sie an der Wiedereröffnung der Kitas mitgefeilt, in Hamburg für Pooltests lobbyiert und in Schleswig-Holstein eine Senkung der Kita-Kosten erstritten. Dort hat die LEV eine lange Tradition. Seit über 15 Jahren sitzen Eltern in Ausschüssen, sprechen bei Reformen der Kita-Finanzierung mit und bewerten die Schlagkraft neuer Gesetze mit. Damit würden sehr positive Erfahrungen gemacht, wie eine Vertreterin des Landes bei einem Fachgespräch im Herbst berichtete.
Seit mehreren Jahren gibt es eine Bundeselternvertretung der Kita-Kinder aus den Ländern (Bevki). Seit kurzem ist dort auch Bayern mit zwei Stadtbeiräten vertreten, die nun ein landesweites Netzwerk aufbauen. Die "Geb-Kita-Bayern", der auch Gromotka angehört, sieht ein Defizit bei der Partizipation. Im bayerischen Sozialministerium stoßen die streitigen Akteure mit ihrem Begehren aber auf eher wenig Gegenliebe.
Das Ministerium setzt lieber auf Umfragen und einen Experten
Hier hat man in der Vergangenheit weniger auf gewählte Vertreter als auf Umfragen sowie auf Horst Helmut Fleck gesetzt. Der 81-Jährige aus Ottobrunn (Landkreis München) mischt bereits den Großteil seines Lebens in der bayerischen Kitalandschaft mit, ging bis vor kurzem im Ministerium ein und aus. 47 Jahre sei es her, erzählt er am Telefon, dass er sich über eine Gebührenerhöhung um 30 Mark ärgerte und prompt zum Elternbeirat gewählt wurde. Er gründete die "Arbeitsgemeinschaft der Elternverbände Bayerischer Kindertageseinrichtungen" (ABK), feilte an entscheidenden Gesetzen mit - und wurde vom Ministerium bis vor kurzem immer wieder angeführt, wenn es um die Frage ging, inwiefern Kita-Eltern denn konsultiert würden. Seine Kritiker sehen das als "One-Man-Show" ohne Legitimation, seine Website ist längst offline.
Online gehen soll in diesem Jahr hingegen eine Kita-App des Sozialministeriums. In der sollen sich die bayerischen Eltern niedrigschwellig vernetzen und auch beteiligen können. Angesichts der vielfältigen Kita-Landschaft erscheine dieser digitale, ortsunabhängige Ansatz vielversprechender, sagt Trautner. Die Bayern-Ampel versetzt das bloß in weitere Angriffsstimmung. Becher (Grüne) spricht von einer "Alibi-Beteiligung", Stachowitz (SPD) von "scheinheiligem Klein-Klein", Sandt (FDP) von einem "Pseudo-Tool, um etwas zu kanalisieren". Markige Worte, die auch am Dienstag wieder fallen dürften: Dann wird der Gesetzentwurf in erster Lesung im Landtag behandelt.