Unter BayernAnarchie im Herzkirschenland

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Saftige Kirschen locken mit ihrem herrlichen Rot: Da mag mancher schwach werden und sie gleich vom – fremden – Baum pflücken.
Saftige Kirschen locken mit ihrem herrlichen Rot: Da mag mancher schwach werden und sie gleich vom – fremden – Baum pflücken. (Foto: Johannes Simon)

In einem Laden in Niederbayern verzehren Kunden die angebotenen Kirschen schon vor dem Kauf und spucken die Kerne ins Regal. In dieser Region herrscht seit alters her der Grundsatz: Wer speibt, der lebt – und das gilt sogar für technische Geräte.

Glosse von Hans Kratzer

Die saftigsten Herzkirschen hingen ausgerechnet im Bauerngarten des alten Anderl. Leider bewachte der gute Mann diesen Schatz so streng wie die Amis ihre Goldbarren in Fort Knox. Wir Buben waren also gezwungen, uns im Schutze der Nacht an den Baum heranzuschleichen, um uns heimlich an den herrlichen Früchten zu laben. Böses ahnend, lag der Anderl jedoch schon auf der Lauer und fuchtelte ganz aufgeregt mit seiner Schrotflinte herum, als wir oben in den Ästen nach den Kirschen griffen. In höchster Not galt es nun, geschwind vom Baum zu springen und die Flucht zu ergreifen, auch wenn wir uns dabei die Haxen verstauchten und die Knie blutig schlugen. Der Anderl schrie uns Verwünschungen hinterher, die keinen Zweifel aufkommen ließen, dass wir der ewigen Verdammnis anheimfallen würden.

Kirschbäume sind ein Quell der Freude und der Versuchung. Aber wer macht sich heute noch die Mühe, sich um einen solchen Baum zu kümmern. Jeder Supermarkt offeriert Kirschen, dort droht keine Gefahr, vom Ast zu stürzen oder in einen Wurm zu beißen. Und trotzdem hat sich in einem Lebensmittelladen im niederbayerischen Velden am Kirschenstand Unerhörtes zugetragen.

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Seit einigen Tagen werden dort verführerisch große Kirschen feilgeboten. Mithilfe einer kleinen Schaufel kann die Kundschaft die Früchte in eine Plastiktüte füllen, der Geschäftsgang geht somit hygienisch einwandfrei vonstatten.

Nun aber hat die Marktleitung zwei Schrifttafeln mit der dringlichen Botschaft aufgestellt, man möge bitte keine Kirschkerne auf die Ware oder ins Regal spucken. Und man möge die Ware vor dem Verzehr bezahlen. Es ist die alte Geschichte aus dem Paradies. Manche können der Versuchung so wenig widerstehen wie Adam und Eva dem verbotenen Apfel.

„Pratzen weg!“, schimpft die Standlfrau am Wochenmarkt, im Supermarkt aber begrapschen Kunden Gemüse und Früchte umso ungenierter. Viele Fingernägel bohren sich in das Fleisch der Pfirsiche und Tomaten. Frischetest. Sehr appetitlich. Aber jetzt spuckt die Kundschaft auch noch, sie speibt, wie man in Niederbayern zu dieser Form von Anarchie sagt. Zum Glück kam es bislang nicht zum Äußersten. Am Kirschregal sind noch keine Auswürfe aus Lunge und Rachen gesichtet worden.

Das Speiben ist ein Mysterium. Nur eins steht fest: Wer speibt, der lebt, und das gilt sogar für technische Geräte. Der Autor Valentin Erl hat einmal erwähnt, sein Urgroßvater, ein Bader, habe sehr früh schon ein Radiogerät besessen, das aber noch krächzte. Eines Tages, so erzählte Erl, saßen ein Bauer und sein Bub beim Bader. Der neumodische Apparat faszinierte die beiden sehr. Plötzlich gab es eine Störung, und der Bub sagte: „Hörst as Vadda, jetz schpeibt er!“

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