Der Theologe Otfried Sperl ging ein hohes Risiko ein. 1936 legte er in die Kirchturmkugel seiner Gemeinde im mittelfränkischen Roßtal eine Zeitkapsel mit einem Brief. Darin drückte der Sohn des Pfarrers seine Sorge um die Rolle der evangelischen Kirche in der Nazizeit aus. Er fragte sich, wie es unter dem "Reichsbischof" und Hitler-Vertrauten Ludwig Müller mit dem evangelischen Glauben weitergehen könne. Sperl schrieb von "unkirchlichen Maßnahmen" Müllers und der von ihm angerichteten "Zerstörung" und "Verwirrung" innerhalb der deutschen evangelischen Kirche. Riskant war das nicht nur, weil sich der Mann damit gegen das System der Nazis stellte. Sondern auch, weil 1936 noch eine weitere Zeitkapsel in die Kirchturmkugel gelegt wurde. Die Ortsgruppe der NSDAP packte noch zehn Ansichtskarten Roßtals mit hinein. Erst 1982, also viele Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur, entdeckte man die Botschaft des Mannes.
Geschichtsforschung:Der geheime Schatz der Kirchturmkugeln
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Tausende gibt es in Deutschland, Hunderte in Bayern: Kugeln auf Kirchtürmen. Was aber nur wenige wissen: In ihnen befinden sich oft jahrhundertealte Kostbarkeiten und Geheimnisse - wertvolle Münzen, tote Tiere, kritische Kommentare über Nazis. Ein Historiker untersucht dieses weitgehend unerforschte Phänomen.
Von Patrick Wehner
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