Die Idee für ihre Taschenfirma kam Kerstin Rank auf einer Flugreise. Was passiert eigentlich mit den Schwimmwesten, fragte sie sich. Zehn Jahre fliegen sie unter dem Sitz um die Welt, dann aber müssen sie wegen gesetzlicher Vorgaben ausgetauscht werden. Die Schwimmwesten enden als ein riesiger Müllberg, weiß Rank inzwischen. Seit 2010 aber verwandelt sich ein Teil von ihnen in knallgelbe Rucksäcke und Waschbeutel. Rank hat aus ihrer Idee ein Unternehmen gemacht, die Firma „bag to life“ im oberfränkischen Lichtenfels, die den Westen ein zweites Leben gibt. Sie verkauft die Taschen an Läden und Fluggesellschaften und vertreibt sie selbst direkt über ihren Onlineshop. Ihr größter Kunde ist die Lufthansa, für die sie eine eigene Kollektion entwarf. Es lief von Anfang an gut. Bis zur Pandemie.
„Ab März 2020 war unser Geschäft von heute auf morgen wie weg“, erzählt sie. Wo die Kanzlerin die Menschen aufforderte, auf jede Reise, „die nicht wirklich zwingend notwendig ist“, zu verzichten, kaufte schlicht niemand mehr Reiseartikel, weder im Onlineshop noch über die Händler. Auch die Lufthansa sagte Bestellungen ab. Es hoben ja auch keine Flugzeuge mehr ab. Das Land stand still, und so auch Ranks Unternehmen.
Rank lebte von ihrem Ersparten und ersann neue Einkunftsmöglichkeiten. Zeitweilig nähte ihre Firma die Schwimmwesten zu bunten Stoff-Masken um, bis diese von professionellen FFP2-Masken aus China abgelöst wurden.
Die Corona-Hilfen, die der Freistaat in dieser Zeit anbot, waren da ein wichtiger Rettungsanker. Um die aufziehende Wirtschaftskrise abzufedern, verteilten Bund und Länder sehr viel Geld. 260 000 Betriebe in Bayern erhielten gleich zu Beginn der Pandemie insgesamt ganze 2,2 Milliarden Euro Soforthilfe. Später kamen zahlreichen weitere Corona-Wirtschaftshilfen hinzu, darunter die Überbrückungshilfe, November- und Dezemberhilfe und die Härtefallhilfe. Nach Angabe des Wirtschaftsministeriums wurden über diese Programme, aus denen auch Ranks Firma Geld erhielt, weitere 11,9 Milliarden Euro verteilt.
Die Finanzspritze von Freistaat und Bund half Tausenden Firmen, denen in der Pandemie plötzlich die Einkünfte wegbrachen. Die meisten von ihnen durften das Geld behalten. Für einen Teil aber sind die Hilfen fünf Jahre nach der Pandemie zur Bürde geworden, weil sie sie zurückzahlen sollen. Etwa 12 000 ablehnende Bescheide zu den späteren Corona-Wirtschaftshilfen haben die Behörden bislang verschickt. 4100 Mal wurde dagegen geklagt, mehr als 2000 dieser Klagen sind noch an den Verwaltungsgerichten anhängig.
Fast jeder Dritte, der einen ablehnenden Bescheid erhielt, ist demnach vor Gericht gezogen. Eine kleine Klagewelle ist das, die zeigt, dass dieses große Hilfsprogramm in Teilen der Unternehmerschaft nun großes Unverständnis auslöst. So auch bei Kerstin Rank. „Bag to life“ soll einen mittleren fünfstelligen Betrag zurückzahlen. Für eine Drei-Mann-Firma sei das nicht so leicht zu stemmen. Was Rank aber noch mehr frustriert, ist die Begründung: Die Behörden ziehen in Zweifel, dass ihre finanziellen Einbußen Corona-bedingt waren.
Die Lufthansa ist nicht mehr geflogen, fast niemand mehr verreist, aber einer Firma, die Reisetaschen herstellt, wird nicht geglaubt, dass der Rückgang mit Corona zu tun hatte? „Niemand versteht das“, sagt Rank, „auch unser Steuerberater rauft sich die Haare.“ Rank hat gegen den Bescheid Klage eingereicht. Das erstinstanzliche Gericht allerdings machte noch vor der Verhandlung deutlich, dass es kaum Aussicht auf Erfolg sehe, weshalb sie die Klage wieder zurückzog.

Für den Laien ist der Fall schwer zu verstehen, aber auch juristisch ist er aus Sicht des Anwalts Nils Bergert von der Kanzlei Steinbock und Partner in Würzburg keineswegs eindeutig. Das Gericht überprüfe nicht, ob der wirtschaftliche Einbruch des Unternehmens nach objektiver Auffassung mit Corona zu tun hatte. Im Subventionsrecht komme es entscheidend darauf an, wie der Begriff „Corona-bedingt“ von den Behörden selbst definiert worden sei. So hätten etwa die November- und Dezemberhilfen explizit nur Unternehmen zustanden, die von den Schließungsanordnungen im November und Dezember 2020 betroffen waren.
Bei den Überbrückungshilfen, zu denen auch das Geld für Ranks Unternehmen zählt, reichte hingegen auch eine indirekte Betroffenheit. Ein Beispiel hierfür könnte eine Brauerei sein, die zwar selbst nicht schließen musste, wohl aber die Wirtshäuser, die sie belieferte. Im Fall von Ranks Unternehmen geht es demnach vereinfacht um die Frage, ob die Tatsache, dass niemand mehr fliegen wollte, wirklich an den Corona-Auflagen lag oder etwa daran, dass die Menschen schlicht Angst hatten, sich anzustecken. Letzteres wäre ein gewandeltes Konsumverhalten, was an sich noch keine Corona-Hilfen rechtfertigt.
Anwalt Bergert, der die Firma vertritt, ist selbst allerdings überzeugt, dass die Ausfälle im Flugverkehr klar mit den Corona-Maßnahmen in Verbindung stehen. So hätten unter anderem die Quarantäne-Regeln viele Menschen vom Reisen abgehalten. Sie zwangen Reisende aus bestimmten Ländern, sich hinterher zwei Wochen lang zu Hause einzusperren. Hinzu kamen Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl der Fluggäste pro Flug sowie diverse Einreiseverbote. Noch stärker aber wiegt aus Sicht des Anwalts das Argument des Vertrauensschutzes. Der Antrag der Firma sei ja seinerzeit begutachtet und bewilligt worden. Die Firma durfte seiner Meinung nach damit grundsätzlich davon ausgehen, dass sie Anspruch auf Hilfe hatte, strittig sei nur noch die Höhe gewesen.
Die Bayerischen Verwaltungsgerichte hätten allerdings in Hinweisen angedeutet, dass sie den Vertrauensschutz anders bewerten. Es sei aber möglich, dass eine höhere Instanz das anders sehe, sagt der Anwalt. Viele Firmen scheuten jedoch die langen Prozesse. Zu hoch sei ihnen das Risiko, auf den Kosten sitzenzubleiben.
Auch Ranks Firma hat ihre Klage zurückgezogen. Ihr Geschäft ist nach der Pandemie und der Aufhebung aller Beschränkungen wieder sehr gut angelaufen, für sie ist das ein weiterer Beweis, dass der Einbruch an Corona lag. Was bleibt, ist das Gefühl, unfair behandelt worden zu sein. Sie habe den Steuerberater bezahlt, damit er den Antrag stellte und dann noch mal, um die Ablehnung anzufechten. Sie zahlte auch einen Anwalt, um gegen die Ablehnung zu klagen. Die Stunden, die sie selbst damit verbrachte, Paragrafen zu lesen und Zahlen aus Abschlüssen herauszusuchen, sind da nicht eingerechnet. Genutzt hat es ihr nichts, sie muss trotzdem alles zurückzahlen. „Das ist schon einfach ungerecht“, sagt sie. „Da wäre es besser gewesen, die Regierung hätte das Geld nie verteilt.“