Demo gegen rechts löst Streit aus:Amtsgericht Kaufbeuren ahndet grobe Beleidigung eines AfD-Politikers mit Geldstrafe

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Der Streikaufruf eines Lehrers am Gymnasium Hohenschwangau führte unbeabsichtigt zu den juristischen Querelen zwischen einem FW- und einem AfD-Politiker. (Foto: Mathias Blab/CC BY-SA 3.0)

Wegen eines Facebook-Kommentars, in dem der FW-Politiker Thomas Scheibel den AfD-Politiker Wolfgang Dröse als „Pisser“ bezeichnet haben soll, soll er 6000 Euro Strafe zahlen. Dagegen hat Scheibel Berufung eingelegt.

Von Florian Fuchs, Kaufbeuren

Als der Strafbefehl in seinem Briefkasten lag, ist Thomas Scheibel erst einmal zum Snowboarden gegangen. 6000 Euro Geldstrafe soll Thomas Scheibel zahlen, wegen Beleidigung eines AfD-Politikers. „FCK AfD von euch Pissern lassen wir uns nicht mundtot machen.“ Diesen Post hatte Scheibel auf Facebook in die Kommentare unter einen Artikel einer Lokalzeitung gesetzt. Der Strafbefehl hat ihn so aufgeregt, dass er sich am Berg abreagieren wollte, so erzählt es Scheibel vor Gericht. Aber er war so durch den Wind, dass er mit seinem Snowboard gestürzt ist und sich die Schulter gebrochen hat.

Die ein paar Wochen alte Verletzung hat Scheibel, Bauunternehmer und Stadtrat der Freien Wähler in Füssen, nicht davon abgehalten, am Montag vor dem Amtsgericht in Kaufbeuren zu erscheinen. Der 44-Jährige hat Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, deshalb sitzt er nun hier, Erdgeschoss, Sitzungssaal 2. Und seiner Ansicht nach geht es in diesem Prozess nicht nur um ihn. Er stehe, so sagt er es, stellvertretend für Menschen, die sich gegen Hass und Hetze einsetzten, es gehe um Lehrer, die von der AfD eingeschüchtert würden. Nationale, auch internationale Medien haben über den Fall berichtet.

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Begonnen hatte der Streit mit einem Schreiben des AfD-Vorsitzenden Ostallgäu/Kaufbeuren an den Schulleiter des Gymnasiums Hohenschwangau bei Füssen. Wolfgang Dröse beschwerte sich über einen Lehrer, der seine Schüler auf eine Demonstration des überparteilichen Bündnisses „Füssen ist bunt“ hingewiesen hatte. Dieser Protest gegen rechts und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung passte dem AfD-Politiker offensichtlich nicht. Noch viel weniger aber passte ihm demnach, dass ein Lehrer, der gleichzeitig SPD-Lokalpolitiker ist, seine Schüler darauf aufmerksam macht.

Dröse wirft dem Lehrer vor, gegen das Neutralitätsgebot verstoßen zu haben, weil er sie möglicherweise sogar zur Teilnahme an der Demo verpflichtet habe – wovon tatsächlich keine Rede sein kann. Mit ähnlichen Angriffen macht die AfD an zahlreichen Schulen Stimmung gegen Lehrer, dabei hat das Kultusministerium wiederholt klargestellt, dass Beamte parteipolitisch neutral seien, aber eben auch für die demokratische Grundordnung und das Grundgesetz eintreten sollen.

Thomas Scheibel nun sagt, dass es ihm ein Anliegen gewesen sei, sich schützend vor die Schulfamilie des Gymnasiums zu stellen, an dem er einst selbst zur Schule gegangen war. Er habe Schüler und Lehrer ermutigen wollen, sich nicht von der AfD einschüchtern zu lassen, deshalb sei seine Wortwahl deutlicher ausgefallen. „Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es schon fast witzig, wenn dir ein Haufen aus Faschisten, Rassisten, Corona-Leugnern und Putin-Verstehern die Welt erklären will. Vollen Respekt und Dank an den Hogauer Lehrer, weiter so. FCK AfD, von euch Pissern lassen wir uns nicht mundtot machen. Ich hoffe, das war neutral ausgedrückt.“ So lautete der ganze Post unter dem Artikel über die Beschwerde der AfD ans Gymnasium Hohenschwangau, der Scheibel nach einer Anzeige Dröses auch eine Hausdurchsuchung einbrockte.

„Ich habe die ganz klare Anweisung bekommen, das heute nicht einzustellen“

Diese Hausdurchsuchung, so hat das Landgericht Kempten auf eine Beschwerde Scheibels hin inzwischen geurteilt, war rechtswidrig. Die Hausdurchsuchung sei unverhältnismäßig gewesen und habe keinen Mehrwert gebracht, da Scheibel im Internet unter seinem Klarnamen gepostet habe. Die Straftat stehe in keinem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat, da dem Beschuldigten allenfalls eine geringe Geldstrafe drohe.

Genau gegen eine solche Geldstrafe geht Scheibel nun vor dem Amtsgericht Kaufbeuren vor. Und er argumentiert, dass er den AfD-Politiker Dröse gar nicht gekannt habe, er also gar nicht ihn individuell angesprochen habe. Sein Post richte sich gegen die AfD als Partei, gegen Rassisten, Corona-Leugner, Faschisten und Putin-Versteher. Scheibel schildert ausführlich, was die AfD, was der Lokalpolitiker Dröse selbst in sozialen Medien postet. „Bereit für die Schlacht“, so endeten viele von dessen Posts. Scheibel kritisiert, wie eifrig die Staatsanwaltschaft Kempten gegen ihn vorgehe. Die Strafanzeige des Lehrers dagegen, über den sich die AfD beschwert hatte und der daraufhin Drohanrufe und nächtliches Klingeln an seiner Haustür erdulden musste, sei im Gegensatz zu seinem Fall nach einem Jahr noch immer nicht vorangekommen.

Der Vorschlag des Verteidigers, das Verfahren einzustellen, nützt dennoch nichts. „Ich habe die ganz klare Anweisung bekommen, das heute nicht einzustellen“, sagt der Staatsanwalt. Hasskommentare im Internet werden seit Jahren scharf verfolgt vom Freistaat. Wo die Meinungsfreiheit endet und die Beleidigung anfängt, ist auch bundesweit immer wieder in der Diskussion.

Die Beleidigung, stellte die Richterin in der Urteilsbegründung dar, liege vor allem in dem Wort „Pisser“. Der Angeklagte habe Stellung bezogen unter einem Artikel, in dem es um den AfD-Politiker Dröse gehe, insofern bleibe sie dabei, dass es sich um eine persönliche Diffamierung handle. Ob Scheibel die Geldstrafe von 6000 Euro zahlen muss, wird nun im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Kempten erörtert werden.

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