Was die Lage der Bergstation auf 2244 Metern betrifft, so kann die Karwendelbahn in Mittenwald wegen der Seilbahn auf die Zugspitze nur als zweithöchste Bergbahn Deutschlands gelten. Wenn es darum geht, um welche Bahn die meisten Gerichtsprozesse geführt werden, so ist der Karwendelbahn der Spitzenplatz aber kaum streitig zu machen. Besonders seit der Heidenheimer Unternehmer Wolfgang Reich 2012 mit einer anderen Gesellschaft als eine Art Beifang auch die Mehrheitsbeteiligung an der Bahn in sein dichtes Geflecht von Immobilien- und Beteiligungsfirmen übernommen hat, hat die Justiz gut zu tun. Die Marktgemeinde Mittenwald als Minderheitsaktionär und Hauptgegner hat die Zahl der Prozesse mal auf mehr als drei Dutzend geschätzt. Die jüngste Klage, die am Freitag verhandelt wurde, hat Reich selbst angestrengt, diesmal gegen den Freistaat Bayern.
Dieser Freistaat tritt Reich meistens in Gestalt des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen entgegen, das ihm immer wieder Baugenehmigungen verweigert und mancherlei ungenehmigte An- und Umbauten per Bescheid beseitigen lassen will, darunter Deutschlands höchste Schnapsbrennerei und Deutschlands höchste Bierbrauerei droben in der Bergstation. In Einzelfällen gelingt das mit dem Beseitigen sogar irgendwann, wie vor einer Weile beim Abriss eines auf Gemeindegrund hinausragenden Balkons, der nach Angaben von Bürgermeister Enrico Corongiu (SPD) vor einer Weile vom örtlichen Bauhof in Begleitung eines Gerichtsvollziehers und unter Polizeischutz abgebrochen wurde.
Im jüngsten Verfahren hat Reich am Verwaltungsgericht München am Freitag wieder den Freistaat zum Gegner, diesmal in Form der Regierung von Oberbayern – und diesmal hat Reich zwar nicht das Gerichtsverfahren, aber immerhin den ursprünglichen Auslöser gleichsam geerbt. So hat die Karwendelbahn 2011, also ein Jahr vor seinem Einstieg, für mehr als eine halbe Million Euro neue Kabinen angeschafft und den Brandschutz verbessert.
Von der Regierung erhielt sie dafür den üblichen Zuschuss, eine große Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erstellte ein Testat, und alle wären zufrieden gewesen – hätte sich nicht Bayerns Oberster Rechnungshof 2020 die Praxis der staatlichen Seilbahnförderung insgesamt vorgenommen. Im Fall der Karwendelbahn entdeckten die Prüfer einige Rechnungen, denen zufolge manche Arbeiten damals erst nach dem Förderzeitraum ausgeführt worden waren. Die Regierung sah sich 2022 gezwungen, mehrere Zehntausend Euro aus dem Zuschuss zuzüglich Zinsen zurückzuverlangen, wogegen Reich nun geklagt hat.
Es sei damals alles beizeiten erledigt worden, sagt Reich, schließlich hätten das die Wirtschaftsprüfer so testiert. Außerdem gäben Firmen auf der Rechnung oft ein falsches Datum für ihre Leistungen an, weil sie sonst Probleme mit der Umsatzsteuer bekämen, berichtet Reich dem Gericht und beruft sich dabei auf Erfahrungen in der Steuerkanzlei seines Vaters, der ihm bei gerichtlichen Auseinandersetzungen sonst auch oft als Rechtsanwalt dient. Überdies müsse doch alles verjährt und verfristet sein.
Das sehen die Regierungsvertreter und auch der Richter anders. Die Wirtschaftsprüfer mögen Testate abgeben, „aber prüfen tut’s die Behörde“, sagt der Richter, und dass am Ende noch der Rechnungshof mitreden könnte, sei Teil des Bescheids. Zudem habe die Karwendelbahn zuletzt zwei Jahre Zeit gehabt, berichtigte Rechnungen vorzulegen.
Die Regierung hat sich beim Skonto verrechnet
Berichtigen muss freilich auch die Regierung was, denn sie hat sich mit der Skonto-Pauschale verrechnet. Ein korrigierter Bescheid soll her, und auch den Rest würde der Richter gern schriftlich zu Ende bringen. „Ich würde vorläufig keine Erfolgsaussichten der Klage sehen“, sagt er dazu vorher noch.
Doch Reich will von einem schriftlichen Fortgang des Verfahrens nichts wissen. „Ich verzichte grundsätzlich nicht auf Verhandlungen“, sagt er, und manchem in Mittenwald würde das wohl bekannt vorkommen. Die Minderheitsgesellschafter dort im Rathaus wussten von dem Rechtsstreit bis neulich aber gar nichts. Das gilt nach Angaben von Bürgermeister Corongiu auch für fast alle anderen Angelegenheiten der gemeinsamen Gesellschaft. Die beiden jüngsten Hauptversammlungen, zu denen Reich ins ferne Berlin geladen hatte, hätten elf und 45 Sekunden gedauert, da stoppten Aktionäre mittlerweile mit. Die etwas längere Versammlung habe zugleich als Hauptversammlung zweier weiterer Reich-Gesellschaften gedient.
Gegen solche mutmaßlichen Verstöße gegen das Aktienrecht könnte die Gemeinde ihrerseits wieder klagen, wie schon so oft zuvor. Aber der 2020 gewählte Corongiu möchte erklärtermaßen Prozesse vermeiden, die ja doch zu nichts führen außer zur nächsten Instanz. Andere bleiben da streitbarer. Nachdem der Richter sein absehbares Urteil dargelegt hat, hat er noch eine Frage an Reich. Ob der seine Klage zurückziehen wolle? „Garantiert nicht!“