Alles begann mit Heidi. 20 Jahre ist es her, dass sich die kleine Zwergkängurudame einen großen Namen über Bayerns Grenzen hinaus gemacht hat. Klar, nur in den Boulevardspalten, aber auch in die muss man es erst mal schaffen. Heidi war in dieser Hinsicht ein Naturtalent: Zunächst setzte sie bei Eggenfelden über einen Zaun und sich von ihren Haltern ab. Dann hielt sie die Menschen in Atem, Polizisten sprangen ihr genauso vergeblich nach wie Kamerateams. Auch der Einsatz von Lockmitteln schlug fehl, obwohl sich – wie der Spiegel damals vermerkte – der Schlagersänger Jürgen Drews sehr bemühte, im Kängurukostüm durch niederbayerische Maisfelder zu toben. Einem Jäger gelang es endlich, das Tier zu narkotisieren. Heidis Freiheitsdrang fand damit ein jähes Ende.
Für viele andere Kängurus fing er erst an. Denn mit Heidi und jenem Jahr 2004 hat sich in Bayern eine seltsame Tradition etabliert. Zuletzt verging hierzulande kaum ein Sommer ohne ausgebüxtes Beuteltier, mit der Betonung auf „ausgebüxt“, dem entscheidenden Fachterminus. Derartige Kängurus wurden zum Beispiel 2021 in Freising und bei Schwabmünchen gesichtet. 2022 war dann der Ammersee als Schauplatz einer Hüpfjagd dran. Und 2023 sorgte man sich in Hof um einen Willi. Auch rund um Mainburg und Bischofsmais weiß man sich laut Zeitungsarchiv Känguru-Geschichten zu erzählen.
Aber heute, im Sommer 2024? Nix. Kein ausgebüxtes Beuteltier, ja nicht mal eine wilde Kuh oder eine einfache Schnappschildkröte hat es bislang groß in die Schlagzeilen geschafft. Dabei wäre Abwechslung in diesen bisweilen trostlosen Zeiten willkommen. Über die Gründe der plötzlichen Känguru-Absenz lässt sich nur spekulieren. Haben die Tiere die Lust an der medialen Ausbeutelung verloren, wurde ein ausbruchsicherer Känguruzaun erfunden? Das Ergebnis bleibt dasselbe.
Das geht zwar einerseits schon in Ordnung, Bayern hat schließlich genug mit anderen invasiven Spezies wie asiatischen Japankäfern, amerikanischen Signalkrebsen und fränkischen Ministerpräsidenten zu tun. Andererseits ist es schon schade, wenn eine Tradition so ganz unbemerkt und ohne finalen Tusch austrudelt. Känguru-Freunden bleibt da nur der wehmütige Blick zurück. Heidi, Heidi! Deine Welt waren die Berge! Denn hier in Bayern warst du zu Haus.