Hubert Aiwanger:Staatsminister für Populismus

Hubert Aiwanger von den Freien Wählern

"Die Großen haben eine Lobby, die Kleinen nimmt keiner wahr": Sätze, wie sie typisch sind für Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)
  • Seit einem Jahr gehört Hubert Aiwanger der bayerischen Staatsregierung an - als Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident.
  • Der Freie-Wähler-Chef koaliert jetzt mit der CSU, die er in der Opposition jahrelang bekämpft hatte.
  • Kein anderes Kabinettsmitglied steht so in der Kritik, auch beim Koalitionspartner CSU, der aber zähneknirschend stillhält.
  • An diesem Mittwoch hält Aiwanger seine erste Regierungserklärung. Es geht um Energiepolitik und ihren Einfluss auf die Wirtschaft.

Von Wolfgang Wittl

Gut 150 Leute sitzen erwartungsfroh in diesem historischen Raum, doch der Hausherr lässt auf sich warten. Das Licht von sechs Kronleuchtern spiegelt sich auf blank poliertem Marmor, auf der Münchner Prinzregentenstraße brausen endlose Autoschlangen vorbei. Der Saal trägt den Namen von Ludwig Erhard, dem bedeutsamsten Wirtschaftsminister, den Deutschland jemals hatte. Zwei Tafeln erinnern daran, dass sich 1947 die Ministerpräsidenten aller Bundesländer hier zu ihrer ersten Konferenz trafen - und 1990 die aus dem wiedervereinigten Deutschland. Dann hetzt mit zehn Minuten Verspätung ein Mann herein. Hubert Aiwanger klopft einem Gast auf die Schulter und sagt: "So, griaß Eich miteinander." So muss man sich das vorstellen, wenn der Wirtschaftsminister in seinem Haus empfängt.

An diesem Mittwoch trägt Aiwanger seine erste Regierungserklärung als Minister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vor. Seit einem Jahr gehört der Chef der Freien Wähler dem Kabinett von Markus Söder (CSU) an. Als Vize-Ministerpräsident ist Aiwanger, 48, Landwirt aus dem niederbayerischen Rahstorf, die Nummer zwei in der Regierung. In der Opposition fiel er jahrelang als deren scharfer Kritiker auf. Jetzt wird er selbst härter gescholten als jeder andere - für seine inhaltliche Arbeit und ebenso für seinen Stil.

Vierzig Minuten will Aiwanger über Energiepolitik und ihren Einfluss auf die Wirtschaft sprechen. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen: Die Reaktionen werden nicht freundlich ausfallen. Ludwig Hartmann (Grüne) attestierte dem Energieminister Aiwanger bereits Ambitionslosigkeit. Martin Hagen (FDP) hält den Wirtschaftsminister für den falschen Mann zur falschen Zeit im falschen Amt. Für Horst Arnold (SPD) ist Aiwanger gar "der Hofnarr der CSU-Staatsregierung". Selten stand ein Minister nach einem Jahr derart im Feuer.

Gibt es denn niemanden, der positiv über ihn spricht? "Das Gesamtpaket Aiwanger stimmt", lobt Wolfram Hatz. Als Präsident der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft zählt Hatz zu den mächtigsten Lobbyisten im Land. Aiwanger sei "stark mittelstandsorientiert, aber auch High-Tech ist bei ihm sehr gut aufgehoben". Er pflege einen sehr vertrauensvollen Umgang mit dem Minister, sagt Hatz. Eines betont er aber gleich zu Beginn des Gesprächs: Er äußere sich nicht als Präsident seines Wirtschaftsverbandes, sondern als Privatmann.

Wer sich mit Unternehmern unterhält, hört auch andere Stimmen. Es wäre gut, wenn Aiwanger seine Leidenschaft für die Landwirtschaft auch für die Wirtschaftspolitik zeigen könnte, heißt es dann. Der Minister habe kein Gespür für Themen. Er rede die Rezession klein, die manche Branchen schon erfasst habe. Sein Widerstand gegen Stromtrassen gefährde die Energieversorgung von Firmen. Als Aiwanger vor Bankern sprach, hätten die fassungslos den Kopf geschüttelt. Anstatt auf ihre Sorgen einzugehen, habe der Minister über Wirtshausprogramme referiert. Auch deshalb haben Wirtschaftsleute ein Wort für ihn erfunden: "Mittelstandspopulismus".

Die 150 Gäste im Ludwig-Erhard-Saal finden an Aiwangers Einsatz für Wirtshäuser und Mittelstand nichts Anstößiges. Sie betreiben eine Gastwirtschaft oder ein Hotel und werden für besondere Leistungen ausgezeichnet. "So etwas wie dich haben wir noch nicht erlebt", schwärmt Angela Inselkammer, die Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbands in Bayern: "Danke, dass wir zu so einem tollen Thema beisammen sind." Auf 90 Fotos wird Aiwanger am Ende verewigt sein, jedem Preisträger schüttelt er die Hand. Ein älterer Gastwirt unterbricht die Prozedur und ruft in den Saal: "Ich weiß nicht, ob Sie's wissen: Unser Aiwanger ist am Samstag zum Bundesvorsitzenden der Freien Wähler gewählt worden."

Aiwanger, der das Amt im zehnten Jahr ausübt, lächelt geschmeichelt. Für seine Rede hat er vorher viel Beifall bekommen, für Sätze wie: "Die Großen haben eine Lobby, die Kleinen nimmt keiner wahr." Oder: "Wenn Autos gestapelt werden, weil sie nicht verkauft werden, dann ist das in Ordnung. Aber wenn sich Autos vor einem Hotelparkplatz stapeln, dann ist das gleich böse." Und "wenn irgendwo ein Parkplatz an einem Hotel gebaut wird, gibt es gleich einen Aufstand". Staatliche Kontrollen und Verordnungen würden "oft über das Ziel hinausschießen", findet Aiwanger. Die Wirtsleute klatschen. Aber wer steht für den Staat, wenn nicht ein Minister?

Wirte und Hoteliers demonstrieren in München gegen steigende Bürokratie, 2015

Die Anliegen der Gastwirte und Hoteliers hat Hubert Aiwanger schon immer unterstützt - hier bei einer Demonstration 2015 auf dem Münchner Odeonsplatz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Abgeordnete der CSU beschweren sich regelmäßig bei ihrem Fraktionschef, dass Freie Wähler in den Stimmkreisen das Gegenteil von dem erzählten, was sie als Regierungspartner in München verabschieden. Doch CSU-Chef Söder hat eine Art Waffenruhe verfügt, die nur in Ausnahmefällen gebrochen werden darf. Einmal hat CSU-Generalsekretär Markus Blume in einem Interview Aiwangers Trassenpolitik getadelt. Ein anderes Mal rief Söder am CSU-Parteitag: "Von den Entscheidungen in München kann sich keiner vom Acker machen." Das dürfe man keinem durchgehen lassen, "auch nicht unseren Freunden von den Freien Wählern". Und Landkreistagschef Christian Bernreiter (CSU) kritisierte Aiwanger am Wochenende bei einer Wahlveranstaltung bei Deggendorf, weil er die Kommunen beim Finanzausgleich bei weitem nicht so unterstütze, wie er das nach außen hin propagiere.

Für Söder ist Aiwanger vor allem ein Indikator, welche Themen die Menschen bewegen. Mitarbeiter schildern Aiwanger als höflichen, bodenständigen, fast schüchternen Menschen, der sehr auf Harmonie bedacht sei. Andere schätzen seinen Fleiß und seine zupackende Art. Wie passt es dann zusammen, dass er in den sozialen Medien Menschen beleidigt? "Wenn ich mir das Bild anschaue", schrieb Aiwanger einem Kritiker über dessen Kopf, "ist da mehr als die Maus verrutscht."

Warum liefert er sich öffentliche Gefechte mit Journalisten? Weshalb attackiert er Großunternehmen, die Standorte schließen, als sei er Gewerkschaftssekretär und nicht Wirtschaftsminister? Man könne ja Klartext reden, sagen Wirtschaftsleute - aber bitte hinter verschlossenen Türen. Anfangs habe es geheißen: Ach, so sei er halt, der Aiwanger. Gekippt sei die Stimmung mit der "Taschenmesser-Affäre". Bayern und Deutschland wären sicherer, sagte Aiwanger bei einer Jagdmesse, "wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte".

Nachgefragt bei einem, der findet, dass der Wirtschaftsminister einen prima Job macht. "Ich bin mit meiner Bilanz sehr zufrieden", sagt Hubert Aiwanger. Er sehe seine Aufgabe darin, als Moderator verschiedene Interessen zusammenzuführen. Die Kritik der Opposition lasse ihn kalt, "ich weiß, dass ich das Beste gebe". Er sei unternehmensfreundlich, fühle sich aber auch den Beschäftigten verpflichtet. Seine Replik auf Kritik sei als Wertschätzung zu verstehen, andere antworteten erst gar nicht. Die Beschwerden vom Koalitionspartner? Von der "Masche der CSU", unterschiedlich zu sprechen und zu handeln, "sind wir noch meilenweit entfernt". Und ob nun Minister hin oder her, eines sei doch klar, sagt Aiwanger: "Wenn mir jemand blöd kommt, bin ich es mir und meinem Amt schuldig, mich nicht beleidigen zu lassen."

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