Süddeutsche Zeitung

Politik in Bayern:Es knirscht in der Koalition

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Das Kabinett beschließt neue Corona-Lockerungen: Zehn Menschen dürfen sich treffen, in Geschäften und Bussen sind wieder mehr Personen erlaubt. Doch in der Koalition wird weiter über das richtige Vorgehen gestritten.

Von Andreas Glas, München

Er wolle den Zeitplan "nicht einseitig festlegen", sagt Hubert Aiwanger. Er könnte das jetzt einfach so stehen lassen. Tut er aber nicht. In den kommenden 14 Tagen müsse "eine Lösung her", damit reine Trinklokale wie Kneipen oder Bars wieder öffnen können, sagt Aiwanger. Als er das sagt, trippelt neben ihm Markus Söder mit den Fingern etwas nervös auf seinem Rednerpult. 14 Tage? Er sei da "zurückhaltender", sagt Söder. Er habe "Sorge, dass wenn wir Termine zu früh ankündigen, die wir nicht halten können, wir Erwartungen enttäuschen". Man werde das "seriös" besprechen, sagt Söder. Und als er das Wort "seriös" fallen lässt, dreht er seinen Kopf nach rechts, zu Aiwanger, sein Blick ist kühl.

Zunächst scheint es noch so, als ob Ministerpräsident Söder (CSU) und Wirtschaftsminister Aiwanger (Freie Wähler) die Pressekonferenz am Dienstagnachmittag auch dazu nutzen wollen, eine neue Einigkeit ihrer zuletzt sehr offensichtlich sehr gespaltenen Koalition zu demonstrieren. Als Söder ans Pult tritt, um die neuesten Corona-Lockerungen zu verkünden, betont er direkt, dass alle Beschlüsse "einstimmig in der Koalition und im Kabinett" gefallen seien. Wie unzufrieden Söder offenbar speziell mit Aiwanger ist, wird aber klar, als Söder die Finanzhilfen für Unternehmen anspricht. Aus der CSU-Fraktion hatte es zuletzt ja immer wieder Beschwerden gegeben, dass das Wirtschaftsministerium zu langsam dabei sei, die Anträge der Unternehmen zu bearbeiten und die Hilfen auszuzahlen. Nun ist offenbar auch bei Söder der Geduldsfaden gerissen. Künftig, kündigt er an, werde sich statt Aiwangers Ministerium die Industrie- und Handelskammer (IHK) darum kümmern, Überbrückungshilfen abzuwickeln. "Damit die Auszahlungen eben schnell gehen", sagt Söder, und um das Wirtschaftsministerium zu "entlasten". Eine Entlastung für Aiwanger? Was Söder da sagt, klingt schon eher nach: Entmachtung.

Immerhin, trotz des anhaltenden Koalitionsknatschs konnten sich CSU und Freie Wähler auf weitere Lockerungen der Corona-Beschränkungen einigen. Dazu gehört auch, dass der Freistaat den seit 16. März geltenden Katastrophenfall für beendet erklärt. Die wichtigste Neuerung, weil sie alle Bayern gleichermaßen betrifft: Von diesem Mittwoch an ist es erlaubt, dass sich zehn Personen treffen - und zwar unabhängig davon, ob sie miteinander wohnen oder verwandt sind. Auch Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, Beerdigungen, Vereinssitzungen, Schulfeiern oder Betriebsversammlungen sind von kommender Woche an wieder gestattet. Allerdings bleibt die Teilnehmerzahl zunächst begrenzt. Drinnen sind bis zu 50 Teilnehmer erlaubt, draußen maximal 100 Gäste. Es solle wieder "mehr Menschlichkeit" möglich sein, sagt Ministerpräsident Söder.

Auch die maximale Zuschauerzahl in Theatern, Kinos und bei Konzerten weitet die Staatsregierung aus. Mit Beginn der kommenden Woche sind in Innenräumen 100 statt bisher 50 Zuschauer erlaubt und draußen 200 statt wie derzeit nur 100 Zuschauer. Sollten die Infektionszahlen stabil niedrig bleiben, könne man die Zuschauerzahlen "vielleicht in zwei Wochen" noch einmal "deutlich erhöhen", sagt Söder. Auch für die Gastronomen hat er eine Erleichterung parat: Die Sperrstunde wird in der kommenden Woche von 22 auf 23 Uhr verschoben. Zudem gilt überall dort, wo bisher nur eine Person auf 20 Quadratmetern zugelassen war, von Montag an die Regel, dass zehn Quadratmeter pro Person reichen. Und wer in Geschäften an der Kasse oder hinter einem Tresen arbeitet, ist nicht mehr länger verpflichtet, eine Schutzmaske zu tragen. "Eine Plexiglasscheibe reicht", sagt Söder.

Die Öffnung von Diskotheken oder Großveranstaltungen wie Starkbierfeste will der Ministerpräsident aber weiterhin nicht zulassen. Im Gegenteil, sagt er, man werde bei der Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch in Berlin "auf jeden Fall" beschließen, das bis Ende August geltende Verbot für Großveranstaltungen zu verlängern. Es gebe "einen Konsens mit den meisten Bundesländern", sagt Söder. Selbst mit Blick auf die Christkindlmärkte im Winter will er keine Versprechungen machen. Ob die Märkte stattfinden, hänge vom Infektionsgeschehen ab, das könne er heute "nicht einschätzen".

Auch im Tourismus gibt es weitere Erleichterungen. Neben Hallenbädern und Thermen dürfen auch Hotels ihre Pools, Wellnessbereiche und Saunen am 22. Juni wieder aufsperren. Entsprechende Hygienekonzepte wollen Wirtschafts- und Gesundheitsministerium demnächst gemeinsam erarbeiten. Darüber hinaus dürfen auf Campingplätzen wieder gemeinschaftliche Sanitäranlagen genutzt werden und in Reisebussen gelten künftig dieselben Regelungen wie im öffentlichen Nah- und Fernverkehr: Die Fahrgäste müssen zwar eine Maske tragen, die Busunternehmer dürfen aber wieder alle Sitzplätze in ihren Bussen besetzen.

Wann weitere Lockerungen kommen und wie diese konkret aussehen, darüber werden CSU und Freie Wähler wohl auch in den kommenden Wochen streiten. Wie vergiftet das Klima ist, ließ Wirtschaftsminister Aiwanger in einem Interview durchblicken, das kurz vor der Pressekonferenz am Dienstag in der Mittelbayerischen Zeitung erschien. Er sprach von "Gemeinheiten" und "Sticheleien" aus der CSU, sogar von "Vertrauensbruch". Als er dann am Rednerpult steht, gibt sich Aiwanger plötzlich friedlich - mal abgesehen von der 14-Tage-Frist, die er für eine Kneipenlösung fordert. Er schaue "nach vorne", sagt Aiwanger, die Konflikte seien für ihn "abgehakt". Wie lange dieses Bekenntnis diesmal gilt, sagt er nicht.

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SZ vom 17.06.2020
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