Süddeutsche Zeitung

Tourismus:Voll, leer, voll, halb voll

Bayerns Jugendherbergen kämpfen mit der Unsicherheit in Corona-Zeiten und blicken bang in die Zukunft - es geht etwa um Klassenfahrten.

Von Dietrich Mittler

Der Himmel über Daniel Eisfelds Jugendherberge in Oberammergau könnte im Augenblick nicht freundlicher sein. "Weißblau", sagt der Herbergsvater. Ein Herbsttag wie im Bilderbuch also. Gäbe es einen Wetterbericht zu Eisfelds innerer Verfassung, wäre eher von dunklen Wolken die Rede - wie bereits im Frühjahr, bedingt durch die Corona-Pandemie. "Wir haben wieder viele Stornierungen bekommen, weil die Leute Angst haben oder nicht kommen können, da sie in einem Risiko-Gebiet leben", sagt er. Auf Beschluss der Staatsregierung dürfen die ja augenblicklich nicht in Bayern beherbergt werden - es sei denn, sie können einen Corona-Test vorlegen, der beweist, dass sie nicht infiziert sind.

In der Oberammergauer Jugendherberge klingelt pausenlos das Telefon. Was der Herbergsvater augenblicklich mitmacht, ließe sich als Achterbahnfahrt bezeichnen. Siehe die Buchungen für dieses Wochenende. "Ursprünglich wäre das Haus ganz voll gewesen, dann ganz leer, dann wieder ganz voll - und jetzt ist es nicht mal halb voll", sagt Eisfeld. Da braucht es gute Nerven, er hat sie zum Glück. Eisfelds Sorgen teilen zur Zeit alle Verantwortlichen in jenen 42 Jugendherbergen in Bayern, die unter dem Dach des Jugendherbergswerkes (DJH) ums Überleben ihrer Häuser kämpfen. Den 16 Herbergen in anderer Trägerschaft geht es aber auch nicht besser.

Corona hat in den Belegungszahlen Spuren hinterlassen. Wie dramatisch die Lage der Jugendübernachtungshäuser im Freistaat aber tatsächlich war, wurde erst am Freitag bei einer Pressekonferenz in Nürnberg deutlich. "Während des Lockdowns haben wir pro Woche einen Umsatzeinbruch von 700 000 Euro gehabt", bestätigte Klaus Umbach, der Präsident des DJH-Landesverbandes Bayern, nach der Pressekonferenz am Telefon. Vorstandsmitglied Michael Gößl hatte zuvor betont, dass nur durch den sozialen Rettungsschirm der Staatsregierung (5,8 Millionen Euro) und durch einen Überbrückungskredit der Hausbank (fünf Millionen Euro) ein Desaster vermieden werden konnte. "Wir hätten Besitztümer unseres Verbandes - wahrscheinlich unter Wert - verkaufen müssen. Gott sei Dank war das nicht notwendig", sagt Gößl.

Gefahr gebannt? Hier können Umbach und Gößl nur abwinken. "Wir haben Zeit bekommen, um unsere Zukunft wieder selbst in die Hand nehmen zu können", sagt Gößl. Doch diese Zeit könnte sich auch als Galgenfrist herausstellen, wenn die Corona-Auflagen - besonders das Verbot von Klassenfahrten - nicht bald gelockert werden. Oder noch schlimmer, wenn das Kultusministerium Klassenfahrten über den Januar 2021 hinaus unterbinden sollte. "Doch hier haben wir positive Signale bekommen", hieß es in Nürnberg. "Grünes Licht aus dem Ministerium wäre für uns entscheidend", sagt Umbach. Möglich wäre aus seiner Sicht jenes Modell, dass die Schulleiter an Ort und Stelle entscheiden können, ob Schüler auf Klassenfahrt gehen dürfen. Doch in welche Richtung sich die Waagschale nun neigt, weiß im Moment niemand.

Das Jugendherbergswerk ist gemeinwohlorientiert - und darf keine Rücklagen bilden

"Wir werden uns keine Häuser leisten können, die lange Zeit Defizit machen", sagt Umbach. Zu gefährlich seien drohende Liquiditätsengpässe. Als gemeinwohlorientierter Verband darf das Jugendherbergswerk keine Rücklagen bilden. Einnahmeverluste werden da schnell existenzbedrohend. Nicht nur für die Häuser des Verbands, sondern auch für die der anderen Träger, die satzungsmäßig ähnlich aufgestellt sind. "Wir werden alle Standorte kritisch auf den Prüfstand stellen", sagt Umbach - mit Blick auf die Übernachtungszahlen im Corona-Jahr. Mit 400 000 Übernachtungen bis Ende des Jahres wird landesweit gerechnet - heißt: Rückgang um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Den Einbruch merken dieses Mal auch die Jugendherbergen in den Metropolen München und Nürnberg, die sonst auch auf Tagungsgäste setzen können. Die bleiben nun aus. Waren es in Nürnberg Ende September 2019 noch rund 66 000 Übernachtungen, so kamen heuer gerade einmal gut 25 000 zusammen. "Wir bleiben optimistisch", heißt es aus Nürnberg.

Immerhin, im Sommer konnten die Jugendherbergen ein wenig aufatmen: Viele Familien verbrachten dort ihre Ferien. So auch in Oberammergau. "Nachdem schon Ostern nichts ging und Pfingsten auch voller Unsicherheit war, waren die Menschen hungrig aufs Reisen", sagt Herbergsvater Daniel Eisfeld. Mittlerweile aber hätten die Leute angesichts der steigenden Zahl an Corona-Infizierten "Respekt vor dem Verreisen". Momentan hat Eisfeld im Haus 40 Gäste. "Für ein Haus, das auf Besuchergruppen angewiesen ist, reicht das nicht einmal zum Überleben", sagt er.

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SZ vom 10.10.2020/wean
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