Süddeutsche Zeitung

Brauchtum:Tracht und Tattoos

Eine veränderte Festkultur, neue Bräuche und die Begeisterung für Trachtenmode - Heimatpfleger Tobias Appl beobachtet die Trends auf Volksfesten.

Interview von Hans Kratzer

SZ: Hunderttausende tummeln sich diese Woche wieder auf dem Straubinger Gäubodenvolksfest. Wer am Sonntag über den Festplatz gebummelt ist, den beschlich allerdings das Gefühl, dass die Trachtenquote bei den Gästen nicht mehr wie bisher bei fast 100 Prozent liegt. Viele waren in Jeans und T-Shirt gekleidet. Geht die Ära des Volksfest-Trachten-Hypes langsam zu Ende?

Tobias Appl: Manche Beobachter prophezeien schon seit längerem, dass diese Welle wieder abebben wird. In Regensburg habe ich das aber zuletzt nicht festgestellt. Die vielen jungen Leute, die sich am Wochenende mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg nach Straubing machten, waren fast ausnahmslos in Tracht gekleidet. Jeansträger waren dort nirgendwo zu sehen.

Demnach ist der Trend zur Uniformierung bei Volksfesten also ungebrochen.

In Niederbayern und in der Oberpfalz ist der Hang zum wie auch immer gearteten Trachtengewand nicht ganz so extrem wie auf der Münchner Wiesn. Da kommen schon auch manche Volksfestgäste ganz normal in Hemd und Hose. In Straubing läuft ja parallel zum Volksfest auch die Ostbayernschau. Da erscheint nicht jeder Besucher in Tracht. Ähnlich verhält es sich bei den Kirwafeiern, die in der Oberpfalz einen starken Aufschwung erleben.

Ist die Tracht zu einer Kleidung für alle Generationen geworden? Gibt es keine Abgrenzung mehr? Ein Einheitsgewand wäre ja früher undenkbar gewesen.

Bei den 16- bis 20-Jährigen, die solche Feste besuchen, ist die Tracht tatsächlich fast die Einheitskleidung, während ihre Eltern nicht selten in Jeans und AC/DC-Shirt daneben stehen. Dass sich die Generationen äußerlich voneinander abgrenzen, war eigentlich immer der Fall, vor allem, was die Kleidung betrifft.

Wie war das denn früher, sagen wir mal im vorigen Jahrhundert?

Unsere Urgroßväter gingen ja noch teilweise mit Zylinder und Stresemann aufs Volksfest oder auf die Kirchweih. Später waren dann Anzug und Krawatte oder Fliege angesagt, das war oft noch in den 1960er bis 1980er Jahren der Fall. Alte Fotografien belegen, dass damals nur die Bedienungen in Tracht herumgelaufen sind.

Auch die Festkultur scheint sich zu verändern. In der Oberpfalz gibt es plötzlich soviele Kirwafeiern wie noch nie.

Das ist richtig, von April bis Oktober ist fast jedes Wochenende zwischen Regensburg und Tirschenreuth irgendwo eine Kirwafeier. In den 80er Jahren ging das richtig los. Wir beobachten das Phänomen, dass Kirwafeiern plötzlich auch dort ausgerichtet werden, wo es früher gar kein historisches Kirchweihfest gab und sogar dort, wo oft nicht einmal eine Kirche steht.

Hat die Kirche überhaupt noch eine Relevanz bei diesen Kirchweihfeiern?

Nicht mehr überall, als Ausrichter fungieren oft Burschenvereine und Ortsgemeinschaften. Nur bei Großfesten und dort, wo die Kirwa mit dem Patrozinium verknüpft wurde, steht der Gottesdienst noch im Mittelpunkt.

Woher kommt die Lust am Feiern?

Im Grunde genommen feiern die jungen Leute sich und die bayerische Tradition, sie kleiden sich entsprechend und genießen Party, Bier und das Anbandeln. Und man gehört einfach dazu. Es werden sogar wieder Tanzkurse angeboten, weil das Tanzen um den Kirwabaam heute zu dieser Tradition einfach dazugehört.

Erleben Sie dieses Phänomen nur in Niederbayern und in der Oberpfalz?

Erstaunlich ist, dass die hiesige Trachtenmode längst über Bayern hinausgeschwappt ist. Wenn man sich auf dem Cannstatter Volksfest auf dem Wasen in Stuttgart umsieht, dann könnten diese Bilder mitsamt den Trachten-Komplettangeboten auch direkt aus dem Straubinger Gäubodenvolksfest stammen.

Aber auch in der Oberpfalz werden jetzt Bräuche gepflegt, die es hier in der Vergangenheit gar nicht gab, oder?

Ja, neuerdings stellen wir in der Oberpfalz ein großes Interesse am Perchtenbrauch fest. Dafür gibt es aber in dieser Gegend keine historischen Vorläufer.

Wer schiebt solche Entwicklungen an?

Unter anderem die Medien, vor allem die regionalen Fernsehsender, die sind ganz heiß auf solche Veranstaltungen. Es wird dann gerne von altem und wichtigem Brauchtum gesprochen, ohne dass in dieser Gegend eine historische Anknüpfung erkennbar wäre.

Wenig historisch sind aber auch Billigdirndl und windige Lederhosen.

Eine Umfrage auf der Regensburger Dult hat ergeben, dass viele Mädchen mehrere Dirndl besitzen, aber eben preislich günstige Ware. Mit dem Alter wächst dann der Sinn für die authentische Tracht. Wir bieten deshalb Dirndl-Nähkurse an, mit regionaltypischen Schnitten, Formen und Stoffen. Leider können wir die Nachfrage nach solchen Kursen gar nicht befriedigen. Die sind sofort ausgebucht.

Wie werden sich die Volksfestbesucher in zehn oder 20 Jahren gewanden?

Da die Jugend wieder politischer geworden ist, könnte dies bald auch im Kleidungsstil zum Ausdruck kommen. Die Grünen hatten sich in ihren Anfängen mit Strickjankern ebenfalls einen eigenen Stil verpasst. Kleidung könnte künftig stark nachhaltig, biologisch und regional ausgerichtet sein. Diese Kriterien erfüllt gute Trachtenkleidung durchaus.

Und wie passen da die Tätowierungen dazu, ein neues Massenphänomen?

Das Spannende ist, dass das alles problemlos kombiniert wird. Tracht galt lange Zeit als traditionell und konservativ. Jetzt ist beides möglich, Tracht und Tattoos, in allen Gesellschaftsschichten.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019/scpa
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