Bayern und Italien:Forza Bavaria

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Urlauber am Strand von Viareggio, anno 1958. Eine Frau im Bikini posiert in einer großen künstlichen Muschel - das hätte es daheim in Bayern noch nicht gegeben. (Foto: Alfred Strobel/SZ Photo)

Ohne den segensreichen Einfluss aus dem Süden wäre aus Bayern wohl nichts Gescheites geworden. Besonders deutlich lässt sich das Phänomen im 17. und 18. Jahrhundert erkennen. Der Einfluss italienischer Baumeister und Künstler prägt die hiesige Kultur bis heute.

Von Hans Kratzer

Vielen Deutschen war Italien in den frühen 50er-Jahren noch fremd. Gaudiburschen machten so manchem Unbedarften weis, die Spaghetti-Ernte in Italien sei wegen des milden Wetters gut ausgefallen und auf den Bäumen wüchsen sogar extralange Nudeln. Erst nach dem Aufblühen des Massentourismus endete jene Ära, in der Italien für die Deutschen eine Art „terra incognita“ war. Rasch mauserten sich die italienischen Strände zu Sehnsuchtsorten, an denen sich auch bayerische Frauen gerne im Bikini zeigten, was ja daheim noch verpönt war. 

Dieses Fremdeln war schon deshalb seltsam, weil aus Bayern ohne den segensreichen Einfluss aus dem Süden niemals etwas Gescheites geworden wäre. Noch am Beginn des 19. Jahrhunderts erstreckte sich das bayerische Territorium bis hinunter nach Brixen, Trient und an den Gardasee. Schon ein kurzer Spaziergang durch München reicht aus, um die italienische Prägung der hiesigen Baukultur zu erkennen. Sie erstrahlt von den Brunnenfiguren in der Residenz über die Alte Münze und die Theatinerkirche bis hin zu den Bauwerken Ludwigs I., der von 1825 bis 1848 König von Bayern war.

Die Alte Münze, in der heute das Landesamt für Denkmalpflege untergebracht ist, ist eines der stark italienisch geprägten Bauwerke in München. (Foto: Catherina Hess)

Auch die Renaissance hatte im 15. und 16. Jahrhundert im ganzen Land italienische Akzente gesetzt. In Landshut entstand der erste Renaissancebau nördlich der Alpen, inspiriert von den Palazzi in Mantua und Trient. Der Nürnberger Maler Albrecht Dürer (1471-1528) fühlte sich im Süden wohl, weil Künstler dort höher geachtet waren als in deutschen Landen. Aus Venedig schrieb Dürer 1506 an den Freund Pirckheimer: „Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.“ 

Aber nicht nur Künstler zog es über die Alpen. Schon frühmittelalterliche Quellen bezeugen, dass vierschrötige Urbayern den zarten Südländerinnen nicht widerstehen konnten. Die Amouren setzten mit der Herzogstochter Theodolinde (570-627) ein, die bei den Langobarden einheiratete. Sie war wohl das erste bayerische Gspusi überhaupt, wobei anzumerken ist, dass das Wort Gspusi direkt aus dem Italienischen (sposa, Braut) entlehnt ist. Wie überhaupt viele italienische Lehnwörter das Reden im Freistaat würzen, vom Strizzi und dem Spassettl bis hin zu Maschkera und aperem Schnee.

Die Kurfürstin Henriette Adelaide von Savoyen kam 1652 nach München und brachte ein bisschen italienische Lebensart mit. (Foto: Imago/Heritage Images)

Eine große Förderin des bilateralen Austauschs war die aus Savoyen stammende Kurfürstin Henriette Adelaide, die 1652 nach München übersiedelte und aus ihrer Heimat en masse Architekten, Köche und Dichter mitbrachte, dazu ein Heer von Lakaien und Kammermädchen. „In das eher fade Münchner Leben mischte sich ein südlicher, rauschender Ton“, wie der Sprachforscher Max Lachner einmal schrieb. Dieser Klang hat den Münchnern wohl gefallen, denn in der Sprachmelodie sind sich das Welsche, wie man das Italienische nannte, und das Bairische recht ähnlich. Henriette Adelaide prägte mit Bauten wie der Theatinerkirche die Topografie der Stadt.

„Die bayerisch-italienischen Beziehungen sind in vielfacher Hinsicht untersucht“, sagt der Historiker Jörg Zedler. Trotzdem ist noch vieles offen, weshalb er und Andrea Zedler einen wissenschaftlichen Band herausgegeben haben, der die noch relativ unerforschte Thematik Mobilität und Migration beleuchtet. Transalpine Wanderungsbewegungen gibt es ja seit jeher – schon das Beispiel der jungsteinzeitlichen Gletschermumie Ötzi zeugt davon. Der Mann befand sich vor seinem Tod auf dem Weg über die Alpen. Dieselbe Route nahmen in der Neuzeit jene Baumeister, die den italienischen Baustil nach Bayern trugen und dort barocke Kirchen, Paläste und Stadthäuser hochzogen. Draußen im Chiemgau errichteten sie mächtige Bauernhöfe, die heute noch Itakerhöfe heißen.

Die Untersuchung beschränkt sich aber auf das 17. und 18. Jahrhundert, also auf eine Zeit, in der es neben Henriette Adelaide viele Adlige, Künstler und Militärs aus dem Gebiet des heutigen Italiens nach Bayern verschlug. Die von bayerischen und italienischen Historikern verfassten Aufsätze widmen sich Fragen, die bis heute relevant sind. Welche Instanzen haben die Migration vermittelt, was war ausschlaggebend für diesen Schritt, und welche Migranten konnten dauerhaft Fuß fassen? Wie etwa Hieronymus Graf von Spreti (1695-1772), der Begründer des bayerischen Zweigs der Familie Spreti. Sie gehört zur Reihe von klangvollen Familien aus dem Süden, die in Bayern Akzente setzten und Namen tragen wie Arco, Maffei, Dall’Armi, Triva, Pocci und Cetto. 

Hieronymus Graf von Spreti (1695-1772) begründete den bayerischen Zweig der Spretis. (Foto: Utzverlag)

Angeregt hat den Band Heinrich Graf von Spreti, der seit Langem die Geschichte seiner bayerischen Landadelsfamilie dokumentiert. Weltweit bekannt wurde der Name Spreti anno 1970, als der deutsche Botschafter Karl Graf von Spreti in Guatemala von Guerillas ermordet wurde. Er gilt als das erste Terroropfer der Bundesrepublik. 

Während der Ära der Kurfürsten Ferdinand Maria (1636-1679) und Karl Albrecht (1697-1745) fördert der Hof die Erwerbsmigration aus dem Süden, weil er hochspezialisiertes Personal benötigte, etwa für künstlerische Tätigkeiten. Mobilität und Migration sind dabei nicht scharf zu trennen, denn viele Tätigkeiten waren zeitlich begrenzt. 

Gerade an der Biografie des Hieronymus von Spreti, der eine Karriere am Hof machte, wird deutlich, dass Migration damals ein generationsübergreifender Prozess war. Die einen schafften es, sich dauerhaft niederzulassen, die anderen nicht, auch aus der Familie Spreti kehrten manche nach Italien zurück.

Das Gemälde im Treppenhaus der Würzburger Residenz ist eine der berühmtesten Hinterlassenschaften eines italienischen Künstlers in Bayern. Giovanni Battista Tiepolo schuf größte je gemalte Deckenfresko im Jahr 1752. (Foto: Florian Monheim /imago images/Arcaid Images)

Wie differenziert man den Begriff Migration betrachten muss, zeigen die im Band dargestellten Fälle des Malers Tiepolo, der nach seiner Arbeit in der Würzburger Residenz nach Venedig zurückkehrte, und von Sängerinnen und Sängern am Münchner Hof, deren Aufenthaltsdauer ebenfalls relativ kurz war. Aber gerade deren Mobilität machte sie für die Höfe attraktiv. Ausgestattet mit dem Titel eines kurfürstlichen „Virtuoso“ („Virtuosa“), steigerten sie nämlich bei Auftritten an anderen Höfen und Opernbühnen das Renommee des Kurfürsten. „Dies war in einer Zeit, in der sich die Fürsten in einem permanenten Kampf um höfisches Ansehen und Reputation befanden, kein geringes Pfund“, schreibt Zedler. 

Wie erfolgreich sich die Ausstattung mit Titeln und höfischen Diplomen gestalten konnte, zeigt das im Band ausführlich gewürdigte Beispiel des Sängers Lorenzo Ghirardi, der fortan den Beinamen „der Bayer“ („Lorenzino detto il Bavarese“) trug.

Karrieresprungbretter. Transalpine Mobilität und Migration im 17. und 18. Jahrhundert. Hrsg. v. Andrea Zedler und Jörg Zedler, Utzverlag, 392 Seiten, 89 Euro.

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