Fast unbemerkt angesichts der Fragen zu Corona-Impfungen und Lockerungen, hat der Ministerrat am Dienstag Fakten beim Islamischen Unterricht geschaffen. Nach zwölf Jahren als Modellversuch soll der Islamunterricht von September an als Wahlpflichtfach wie etwa Ethik angeboten werden. Die nötige Änderung des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes wurde am Dienstag im Kabinett abgesegnet, der Entwurf geht nun in die Verbandsanhörung. Stimmt dann noch das Parlament zu, kann es im Herbst losgehen.
Die Erleichterung dürfte groß sein bei Lehrern, vielen muslimischen Schülern und Eltern in Bayern. Lange hatten sie gebangt, ob es noch klappt mit dem Regelangebot im Herbst. Zwar fiel der Grundsatzbeschluss im Ministerrat schon 2019, aber damals wurde der Modellbetrieb erneut verlängert und dann war es lange still. Auch der Name des neuen Fachs war zuletzt umstritten. Es gab Abgeordnete in den Regierungsfraktionen, die mit dem Wort "Islam" fremdelten und "Wertekunde" betonen wollten.
Das hätte aus Sicht vieler Experten aber die Akzeptanz in den muslimischen Familien verringert und den Schülern das Element der Wertschätzung genommen. Denn schon das Gefühl, neben katholischem und evangelischem Religionsunterricht ein eigenes Angebot zu bekommen, wirke positiv und integrativ, berichten Lehrer. Gefühle, die nicht zu unterschätzen sind: Wer sich zugehörig fühlt, sucht nicht anderswo, etwa in Hinterhöfen. Nun ändert sich: nichts. Das neue Fach heißt wie der Modellversuch "Islamischer Unterricht". Das sei bekannt und habe sich bewährt, sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). "Alles andere hätte nur zu Diskussionen geführt."
Der Fokus des Faches bleibt: Die Jugendlichen lernen in der Schule von staatlich ausgebildeten Lehrern mehr über ihre Religion und die Parallelen sowie Unterschiede zu anderen Weltreligionen. Dazu komme "Werteorientierung im Geist des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung". Zudem bringen viele Lehrer ihren Schülern bei, kritisch zu hinterfragen. Sie sollen sachlich fundiert mit Eltern und Großeltern diskutieren können. Bedarf ist da: 160 000 muslimische Schüler gibt es in Bayern. Im Modellversuch unterrichten 100 Lehrer derzeit 17 000 Mädchen und Buben an 364 Schulen, die meisten dieser Schüler lernen an Grund- und Mittelschulen. Am Modellversuch sind bisher nur vier Realschulen und drei Gymnasien beteiligt.
Ob sich das im Herbst grundsätzlich ändert, ob weitere Schulen Islamunterricht anbieten können, ist offen: Piazolo sprach von "Verstetigung", im September solle es mit 364 Schulen und 75 "Vollzeit-Stellenkapazitäten" für Lehrer losgehen. "In dieser Größenordnung werden wir starten und dann sehen, wie es sich entwickelt." Diese Zahlen seien "Planungsgrundlage" schiebt sein Ministerium nach, es sei "nicht ausgeschlossen", dass im Herbst 2021 weit mehr als 364 Schulen Islamunterricht anbieten können. Das hänge am Bedarf. Und daran, ob es genügend Lehrer gibt.
"Ein Meilenstein für die Integration und Toleranzerziehung"
Schulleiter müssen bis April den Bedarf an die Schulämter melden, also in den kommenden Wochen interessierten Eltern das Angebot vorzustellen und verbindliche Anmeldungen einsammeln. Dann müssen sie hoffen, dass die benötigten Lehrer da sind. Denn von Islamlehrern und aus der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ist schon länger zu hören, dass ausgebildete Islamlehrer wegen der anhaltenden Perspektivlosigkeit in andere Bundesländer abwandern. Für viele Islamlehrer bringt der Kabinettsbeschluss daher nun lang ersehnte Sicherheit. Die meisten der 100 Lehrer mussten sich jahrelang von Befristung zu Befristung hangeln.
Auch Mehmet Yalçin unterrichtet zwar seit 18 Jahren junge Muslime an Grund- und Mittelschulen in Bayern, ist bei Kindern, Eltern und Schulleitern geschätzt und gilt als Fortbildungs-Junkie. Aber sein Vertrag blieb befristet. Mit dem neuen Fach sollen Yalçin und seine Kollegen nun unbefristet angestellt werden. "Eine tolle Nachricht, ich bin richtig erleichtert", sagt Yalçin. Auch für die Schüler sei es ein "toller großer Schritt". Er geht davon aus, dass die Nachfrage nach Islamunterricht deutlich ansteigen wird.
Kultusminister Piazolo nannte den Islamunterricht ein "Zeichen in die muslimische Gesellschaft", das zeigen soll, "wie wichtig uns Integration ist". Sein Vor-Vorgänger, der Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU), sprach vom "Meilenstein für die Integration, Toleranzerziehung und Antisemitismusbekämpfung". In Spaenles Amtszeit war 2009 aus der Erlanger Initiative der bayernweite Modellversuch entstanden. Für ihn ist Islamunterricht ein Weg um der Radikalisierung junger Muslime entgegenzuwirken. Spaenle geht weiter: Er will einen Antrag im Landtag einbringen, um an der Erlanger Uni parallel zur Lehrerausbildung eine staatliche Imam-Ausbildung zu etablieren.