Süddeutsche Zeitung

Bayerisches Integrationsgesetz:Eine deftige juristische Watschn

  • Nach dem Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, wonach das Integrationsgesetz in Teilen verfassungswidrig ist, geht der Parteienstreit weiter.
  • Die Münchner Richter urteilten, das Gesetz stehe im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit, zur Meinungsfreiheit und teils auch zum Bundesrecht.
  • Gleichzeitig teilt das Gericht in einigen entscheidenden Punkten die Rechtsauffassung von CSU und Staatsregierung.

Von Dietrich Mittler und Wolfgang Wittl

Die Nachricht, dass das von ihr beschlossene Integrationsgesetz in Teilen verfassungswidrig ist, ereilt die Staatsregierung am Dienstag mitten in der Kabinettssitzung. Fast beiläufig habe Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Urteil erwähnt, berichten Teilnehmer. Söder erinnert an die aufgeheizte Zeit, als das Gesetz verabschiedet wurde. Gut drei Stunden später trifft er bei einer Ordensverleihung den Mann, der den unliebsamen Richterspruch verkündet hat. Peter Küspert, der Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, hat dem Gesetz etwa Verstöße gegen die Meinungsfreiheit bescheinigt - eine deftige juristische Watschn. Trotzdem darf er sich über eine ungetrübt freundliche Begrüßung Söders freuen. Die Staatsregierung signalisiert nicht das geringste Interesse, sich unnötig verkämpfen zu wollen.

Dabei führt kein Weg mehr daran vorbei: Das bayerische Integrationsgesetz - Ende 2016 von der CSU-Mehrheit durchgesetzt in einer turbulenten Landtagssitzung bis hinein in die Morgenstunden - ist in Teilen verfassungswidrig. Küspert zählte bei der Entscheidungsverkündung die drei kritischen Punkte auf. Erstens: Die im Integrationsgesetz vorgegebene Verpflichtung von Rundfunk- und Fernsehanstalten, einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur zu leisten, verletze sowohl die Rundfunkfreiheit als auch das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Zweitens: Gegen die verfassungsmäßig garantierte Meinungsfreiheit verstößt es auch, Personen zu einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu zwingen, wenn diese sich ablehnend zu solchen Werten geäußert haben. Drittens: Zwar sei ein staatlicher Zugriff rechtens, wenn Personen andere aufforderten, gegen die geltende Rechtsordnung zu verstoßen. Aber: Die im Integrationsgesetz vorgesehene Bußgeldsanktion verstoße eindeutig gegen bundesgesetzliche Regelungen zum Staatsschutz.

Nun, die Bußgeldregel sei in der Praxis bislang ohnehin nicht angewendet worden, sagt Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU). Dreimal in fünf Minuten betont er, wie gelassen die Staatsregierung mit dem Urteil umgehe. Von einer "Schlappe" sei nicht zu reden, findet Herrmann, wo das Gesetz doch "im Kern bestätigt" worden sei - etwa beim Prinzip des Förderns und Forderns von Flüchtlingen. Auch Innenminister Joachim Herrmann sagt: "Die Verfassungsrichter haben das Konzept der Leitkultur bestätigt." Tatsächlich bleibt dieser politisch umstrittene Begriff juristisch unangetastet.

"Bedauerlich" nennt Staatskanzleichef Herrmann die Aufhebung von verpflichtenden Teilnahmen an sogenannten Wertegrundkursen. 83 Personen wurden zu solchen Kursen verpflichtet, etwa nach frauenfeindlichen Äußerungen. Aber auch da gilt: "Das nehmen wir hin", sagt Herrmann. Der stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger, dessen Freie Wähler in der Opposition noch gegen das Gesetz gestimmt hatten, sagt nun: Der Staat sollte "sich vorbehalten, eine gewisse Integrationsbereitschaft einzufordern".

Die Kläger von SPD und Grünen urteilen anders. "Wir konnten das Integrationsgesetz zwar nicht als Ganzes verhindern, aber wir haben heute einen Teilerfolg erzielt", sagt Gülseren Demirel, die integrationspolitische Sprecherin der Grünen. Dass der Verfassungsgerichtshof die Vorgaben bezüglich der Integrationsziele nur als "allgemeine Zielvorschrift" definiert, die für den Einzelnen nicht verbindlich seien, das sei für die Staatsregierung nicht weniger als "eine symbolische Ohrfeige". Gleiches gelte für die Definition einer Leitkultur.

Juristische Paraden

Das Urteil zum Integrationsgesetz ist nicht die erste Entscheidung, mit welcher der Bayerische Verfassungsgerichtshof einer Staatsregierung juristisch in die Parade fährt. Im Juni 2011 beanstandeten die Richter die sogenannten Resonanzstudien. Die Staatsregierung hatte Meinungsumfragen in Auftrag gegeben, um den Willen der Bevölkerung zu erkunden. Die Opposition fühlte sich in ihrer Kritik bestätigt, die Staatskanzlei habe unter CSU-Regie dadurch unzulässig Regierungs- und Parteiinteressen vermengt. Einen Dämpfer musste die CSU-geführte Regierung Ende November 2016 hinnehmen. Die Richter untersagten unverbindliche Volksbefragungen, in denen Ministerpräsident Horst Seehofer ein Instrument der Bürgerbeteiligung sah. Allerdings sollten die Befragungen zu landesweit wichtigen Themen nur von der Landtagsmehrheit und Staatsregierung veranlasst werden können, nicht von der Opposition. Zwei Wochen nach diesem Urteil verabschiedete die CSU das Integrationsgesetz, das nun in Teilen einkassiert wurde. wiw

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Horst Arnold drückt sich eine Spur deftiger aus: Er spricht von einer "schallenden Ohrfeige für den Gesetzgeber". Das Gericht habe festgestellt, dass die in der Präambel definierte Leitkultur "kein unmittelbar anwendbares Recht" darstelle, sondern dass hier lediglich "deskriptive, appellative und programmatische Aussagen" getroffen worden seien. Und was den Artikel 1 des Integrationsgesetzes mit der Definition der Integrationsziele betreffe, so habe der Verfassungsgerichtshof im Grunde eine Nichtigkeitserklärung ausgesprochen.

Häme kommt von Martin Hagen, dem Fraktionsvorsitzenden der FDP. "Die CSU hat heute die Quittung für ein handwerklich schlecht gemachtes Gesetz bekommen", sagt er. Eine Leitkultur lasse sich nicht von oben verordnen. "Schon gar nicht durch Einschränkungen der Meinungs- und Rundfunkfreiheit." Gleichwohl gelte: "Die Werte des Grundgesetzes müssen Grundlage unseres Zusammenlebens sein." Ganz anders hingegen die Stellungnahme der AfD: "Die deutsche Mehrheitsgesellschaft kann und muss Integrationsleistungen von Zuwanderern einfordern, um ein friedliches Zusammenleben auf der Grundlage von Werten und Auffassungen nach unseren Vorgaben sicherzustellen", sagt Christoph Maier, der Parlamentarische Geschäftsführer.

Eines steht indes nach der Gerichtsentscheidung fest: Der Parteienstreit um das Integrationsgesetz geht weiter. Sowohl SPD-Fraktionschef Arnold als auch die Grüne Demirel machten das deutlich. Es gelte nun, "die bayerische Integrationspolitik neu aufzustellen".

Dennoch: Das Gericht teilt in einigen entscheidenden Punkten die Rechtsauffassung von CSU und Staatsregierung. Bayern habe sich - von der im Integrationsgesetz vorgesehenen Bußgeld-Sanktion einmal abgesehen - nicht über die Gesetzgebungskompetenz des Bundes hinweggesetzt. Nichts einzuwenden sei auch dagegen, Buben und Mädchen in Kindertagesstätten mit Werten vertraut zu machen, die den christlich-abendländischen Kulturkreis prägen. Hier gehe es ja nicht darum, ihnen "spezifisch christliche Glaubensinhalte nahezubringen". Nicht zu beanstanden ist laut Gericht unter anderem auch, dass Bayerns Polizisten "zur Abwehr dringender Gefahr" Wohnungen von Asylbewerbern oder geduldeten Flüchtlingen betreten dürfen - etwa um die Identität der dort angetroffenen Personen festzustellen.

Geht es nach SPD-Mann Arnold, so kehrt die Auseinandersetzung wieder in den Landtag zurück: "Dort müssen wir dieses Integrationsgesetz jetzt so renovieren, dass man damit tatsächlich integrativ arbeiten kann." Die CSU erweckt allerdings nicht den Eindruck, dass sie dieses Thema noch einmal aufmachen will: "Die hitzigen Debatten sind zum endgültigen Abschluss gekommen", sagt Florian Herrmann.

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SZ vom 04.12.2019/fema
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