Schahraban K., diese junge, schlanke Frau mit den dunklen Locken, soll eine eiskalte Mörderin sein. Oder doch unschuldig? Im Zweifel für die Angeklagte, so lässt sich das Plädoyer der Verteidigung von Schahraban K. am 51. Verhandlungstag zusammenfassen. Hinter so gut wie alles, was die Staatsanwaltschaft der Angeklagten vorwirft, setzt sie ein großes Fragezeichen. Dass sie eine andere junge Frau, die ihr ähnlich sah, als „Doppelgängerin“ ausgesucht haben soll, um ihren eigenen Tod vorzutäuschen und unterzutauchen. Dass sie damit ihrer strengen, jesidischen Familie entkommen wollte. Dass sie eiskalt geplant und gewollt hatte, was der von ihr dafür ausgesuchte Sheqir K. der jungen Frau, Khadija O., antat, die Schläge auf den Kopf, die 56 Messerstiche, das Blutbad. Alles nicht bewiesen, all das nur „eine Geschichte der Staatsanwaltschaft“. Also beantragen sie, Schahraban K. vom Vorwurf des Mordes freizusprechen.
So sagt das Rechtsanwalt Johannes Makepeace in seinem Schlussvortrag vor dem Landgericht Ingolstadt. Etwa eine Stunde redet er und er beginnt mit den DNA-Spuren. Auf Sheqir K. seien überall Blut und DNA der Getöteten gefunden worden, dass er sie erstochen habe, sei durch die Aussagen mehrerer Sachverständiger nachgewiesen. DNA-Spuren auf seiner Mandantin aber? Gut, zwei, Makepeace möchte das nicht unterschlagen, auf der Innenseite ihrer Hand und auf ihrem T-Shirt. Nur: Die hätten auch durch einen einfachen Handschlag entstehen können. Beweiskraft aus seiner Sicht also: null.

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Sicher, die Einlassung seiner Mandantin, wie sich der Mordtag aus ihrer Sicht zugetragen hat, sei vielleicht „abenteuerlich“, sagt Makepeace. Widerlegen aber hätte sie die Staatsanwaltschaft nicht können. Schahraban K. hatte angegeben, dass sie von Sheqir K. bedroht worden sei und deshalb alles getan habe, was er von ihr verlangte. Deshalb habe sie ihn am Mordtag mit ihrem Auto nach Eppingen bei Heilbronn gefahren, wo Khadija O. einstieg. Was mit ihr passieren sollte, davon will K. nichts gewusst haben. Verhindern habe sie die Tat nicht können, weil sie in einen Schockzustand gefallen sei, als Sheqir K. anfing, auf die Frau einzuschlagen.
Warum sie trotzdem das Auto mit der Toten auf der Rückbank nach Ingolstadt fahren konnte? Beim Anfahren soll Sheqir K. ihr Knie runtergedrückt haben, um genügend Druck auf das Pedal zu bekommen. Ein Sachverständiger hat laut Makepeace bestätigt, dass das ginge. Und danach? „Druck und Angst.“ Und die netten Nachrichten, die sich die zwei zuvor geschrieben haben? Schahraban K. etwa: „Digga, morgen geht’s ab“ in der Nacht vor der Tat? Als wäre es „noch nie vorgekommen, dass man Nettigkeit vorspielt, um nicht weiter bedroht zu werden“, sagt Makepeace.
Und die Nachrichten, die zuvor von K.s Instagram-Accounts verschickt wurden? Sie gingen an insgesamt 24 Frauen, die nahezu alle dunkle, lange Haare hatten und im gleichen Alter waren wie die Angeklagte. Sie wurden alle zu einem Treffen aufgefordert, etwa, um eine kostenlose Laserbehandlung im Kosmetiksalon von Schahraban K. zu bekommen. Khadija O. sagte zu, nun ist sie tot. All das hat die Beweisaufnahme ergeben. All das belaste seine Mandantin aber nicht mit absoluter Sicherheit, sagt Makepeace.
Zum einen würden sich Opfer und angebliche Täterin nicht ähnlich sehen. Vielmehr sei es Ausdruck fremdenfeindlicher Vorurteile, alle dunkelhäutigen Frauen als gleich aussehend anzusehen. Dass keine Ähnlichkeit bestehe, hatte auch der Richter am letzten Sitzungstag festgestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankomme, ob eine objektive Ähnlichkeit bestehe, sondern darauf, ob die Angeklagte eine Ähnlichkeit gesehen habe.
Ein Fremder soll laut Verteidiger Zugriff auf den Handy-Account der Angeklagten gehabt haben
Zum anderen sei es durchaus möglich, dass nicht seine Mandantin die Locknachrichten verschickt habe, sondern ein anderer. Dass die Nachrichten von ihrem Handy verschickt worden seien, habe eine Sachverständige nicht nachweisen können. Ja, natürlich, Schahraban K. hätte sie auch über ein anderes Gerät verschicken können, ob sie das getan habe aber, sei „reine Spekulation“. Ein bloßes Indiz nennt er, dass die Locknachricht zwischen den Accounts hin und her geschickt wurde. Ganz sicher aber sei, dass ein Fremder Zugriff gehabt haben müsse auf den Account seiner Mandantin, da auf ihrem Profil ein Beitrag erstellt wurde, obwohl Schahraban K. schon in Haft und damit ohne Handy war.
Und dann kommt Johannes Makepeace zu dem wohl strittigsten und gleichzeitig faszinierendsten Punkt dieses Verfahrens: dem Motiv, die Doppelgänger-Theorie. Dagegen spricht aus seiner Sicht erstens, dass sich die zwei Frauen objektiv nicht ähnlich sahen. Und zweitens, dass Schahraban K. sich keineswegs von ihrer Familie unterdrückt gefühlt habe. Da sind etwa die Nachrichten zwischen Schahraban K. und Sheqir K., die von der Staatsanwaltschaft zitiert wurden. K. klagte darin darüber, dass sie bei ihren Eltern höchstens zwanzig Minuten am Tag hinaus dürfe. Nur: Könnte das nicht auch eine Notlüge sein, weil sie K. nicht treffen wollte? So interpretiert das die Verteidigung.
Und dann ist da der GPS-Tracker, den der Vater an ihrem Auto angebracht haben soll, um sie zu kontrollieren. „Schade nur, dass er nie gefunden wurde“, sagt Makepeace. Sein Kollege, Alexander Stevens, argumentiert später sogar, ein solcher Tracker spräche ja „für die Fürsorge des Vaters“. Überhaupt die Eltern von Schahraban K. Mit Blick auf sie, wird Makepeace emotional. Das Bild, das die Staatsanwaltschaft von ihnen zeichne, sei „beschämend, ekelerregend, einer staatlichen Behörde unwürdig“. Jeden Tag seien sie da, brächten ihrer Tochter Süßigkeiten, einmal hätten sie ihre Tochter treffen dürfen. Alle drei lagen sich weinend in den Armen. Seine Schlussfolgerung aus all dem: „Einen Grund für meine Mandantin, ein neues Leben zu führen, gibt es nicht.“
Die Verteidigung sucht das Mordmotiv in der Clique um Sheqir K.
Und ohne Motiv gibt es auch keinen Mord, so argumentiert sein Kollege Stevens nach ihm weiter. Ein Mord nämlich sei ein vorsätzliches Tötungsdelikt, das einen Vorsatz erfordere. Und ein Vorsatz, setzt Stevens seine „Weiterbildung“ für die Staatsanwaltschaft fort, verlange zwingend nach einem Motiv. Das aber gebe es nicht, dafür „krasse Ermittlungslücken“. Etwa die Pistole im Tatfahrzeug, die erst während des Prozesses entdeckt worden sei. Nur: Warum musste Khadija O. dann sterben?
Es gäbe „zig weitere Gründe und Varianten“, sagt Stevens und bietet mal ein paar an. Die Verteidigung sucht ihr Motiv in der Clique um Sheqir K., in der auch Schahraban K. abhing. Zeugen, die vor Gericht auffällig viele Erinnerungslücken zeigten, die teilweise ihre Handys seltsamerweise „zum Recyceln“ gebracht hatten. Einer von ihnen, Furkan Y. war mit dem Opfer, Khadija O., zusammen, die aber bei sich zu Hause auch noch eine Beziehung hatte. Furkan Y. sei der beste Freund von Sheqir K. gewesen, sagt Stevens und fragt, was passierte, als Y. von der zweiten Beziehung seiner Freundin hörte? „Ausgerechnet dieser beste Freund, bringt dann die Frau um.“
Sheqir K. verteidigen zum Schluss seine Anwälte Thilo Bals und Klaus Wittmann. Bals nimmt sich die Aussagen der Zeugen vor, die sagten, sein Mandant habe ihnen den Mord gestanden. Der prägnante Satz „Ich habe für diese Hure ein unschuldiges Mädchen umgebracht“ etwa sei einem Zeugen erst vor Gericht eingefallen, in all den Vernehmungen zuvor nicht. Ein anderer konnte sich nicht mehr erinnern, ob K. wirklich von Abstechen gesprochen hatte oder nur davon, ob er „Scheiße“ gebaut hatte. Kurz: Alle Aussagen seien laut Bals unglaubwürdig.
Nicht zu gebrauchen ist aus seiner Sicht auch der zweite Punkt, der seinen Mandanten stark belastet: Die vielen DNA-Spuren von ihm, vor allem auf den Wunden des Opfers. Die hohen DNA-Mengen könnten auch durch direktes Spucken auf die Wunde entstanden sein, sagt Bals und verweist auf eine Sachverständige. Und überhaupt, was würden DNA-Spuren schon aussagen? „Dass ein Kontakt stattgefunden haben kann.“ Wann, wo und wie aber, das sei unklar.
Sein Kollege Wittmann beendet die Plädoyers dann mit einem scharfen Vorwurf gegen die Staatsanwaltschaft. Die Anklage sei „zusammengeschludert“. Dazu fehle das wichtigste, was ein Mordvorwurf verlange, ein Motiv. Sein Mandant kannte Schahraban K. nur ein paar Tage, er sei mit einer anderen Frau in einer Beziehung gewesen. Warum hätte er für sie morden sollen? Geld? Liebe? All das hatte die Staatsanwaltschaft als Motiv auch nicht als erwiesen angesehen. Sheqir K. soll dagegen „ohne Anlass und völlig willkürlich“ getötet haben. Für die Staatsanwaltschaft ein niederer Beweggrund und damit ein Mordmotiv. Für Wittmann die Verletzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens: „Wenn sie kein Motiv haben, dann haben sie kein Motiv, sondern eine Lücke in ihrem Beweisverfahren.“ Auch er fordert einen Freispruch.
Das Urteil ist für den 19. Dezember angesetzt.