Wirtschaft in Bayern:„Jetzt haben wir den Salat“

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Die Industrie gilt als Bayerns Schlüsselbranche, doch dieser Wachstumsmotor ist gehörig ins Stottern geraten. (Foto: Tom Kirkpatrick/BMW AG)

Lange sicherte die Industrie Bayerns Wohlstand. Nun rutscht sie immer tiefer in die Krise, wie eine Umfrage der Industrie- und Handelskammern zeigt: Zu viele Probleme haben sich gegenseitig aufgeschaukelt.

Von Maximilian Gerl

Die Sonne scheint in München. Damit sind die guten Nachrichten auch schon erschöpft, die Manfred Gößl an diesem Donnerstag mitgebracht hat – und die nun nach und nach hinter ihm als Diagramme und Zahlen über die Wand flimmern. Die Geschäftslage? „Im Abwärtssog“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK). Die Investitionen in heimische Standorte? „Es schaut wirklich bitter aus.“ Und die Jobs? Zu erwarten sei ein Beschäftigungsrückgang, sagt Gößl. Später wird er noch hinzufügen, man solle bitte nicht davon ausgehen, dass es sich hier nur um einen „konjunkturellen Dämpfer“ handle: Das Land befinde sich in einer „Strukturkrise“.

Krise – gerne würde die Wirtschaft im Freistaat mal anderes hören. Stattdessen scheint sie immer tiefer hineinzurutschen, davon zeugt auch der jüngste Konjunkturbericht des BIHK. Dieser erscheint halbjährlich, wer will, kann die Antworten der dazu befragten Unternehmen als Stimmungsbarometer lesen. Und die Stimmung ist demnach nicht mal mehr im Keller – sondern tiefer. Vor allem die Industrie meldet Probleme. Über Jahrzehnte war sie Bayerns Garant für Wohlstand. Aber momentan ist sie ein „Sorgenkind“, so nennt Gößl sie jedenfalls.

Dabei geht es manchen Branchen nicht so schlecht, wie die allgemeine Krisenstimmung vermuten lässt. Der Tourismus etwa verzeichnete zuletzt steigende Übernachtungszahlen. Aber die Industrie gilt eben als Bayerns Schlüsselbranche. Ausgerechnet hier melden besonders viele Betriebe schlechte Geschäfte. Bei mehr als 40 Prozent sind deshalb laut BIHK-Umfrage die Kapazitäten nicht ausreichend ausgelastet. Auch bei den Investitionen herrscht Zurückhaltung. Wenn Firmen trotzdem Geld in die Hand nehmen, dann eher, um es in ausländische Standorte zu stecken. Die Folge, unter anderem: 31 Prozent der Industriebetriebe gehen davon aus, künftig weniger Menschen zu beschäftigen – weil Arbeitskräfte fehlen oder weil sie Stellen abbauen müssen.

Natürlich besitzen solche Umfragen immer gewisse Unschärfen; allerdings passt die neueste zu gut ins Bild. So ist laut Landesamt für Statistik das bayerische Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr real um 0,6 Prozent geschrumpft. Damit gehe die Wirtschaft hierzulande „etwas stärker zurück als in Deutschland“, für das als Ganzes ein Minus von 0,2 Prozent verzeichnet wurde. Mehrere Industrieunternehmen meldeten bereits Kurzarbeit an, darunter Wacker in Burghausen und BSH Haushaltsgeräte in Traunreut. In Regen möchte der Brillenglashersteller Rodenstock in seinem Werk Stellen abbauen, in Augsburg will der Vliesstoffspezialist Vileda sein Werk schließen.

Und die BMW Group lieferte in den ersten neun Monaten des Jahres 4,5 Prozent weniger Fahrzeuge aus als 2023 im gleichen Zeitraum – trotz steigender Absätze im E-Bereich. Die Liste ließe sich fortsetzen. „Die zunehmende Deindustrialisierung in Deutschland kostet immer mehr Arbeitsplätze“, teilte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) vergangene Woche mit, nachdem er sich mit dem Rodenstock-Betriebsrat getroffen hatte. „Der Billigwettbewerb mit anderen Ländern weltweit ist in vollem Gange.“

Inzwischen sind die Probleme der Zukunft in der Gegenwart angekommen

Die Ursachen liegen indes weiter zurück. Der Blick auf frühere BIHK-Umfrageergebnisse zeigt, dass sich 2018 die Stimmung in der bayerischen Wirtschaft auf dem Höhepunkt befand. Kurz darauf äußerten sich aber erste Krisensymptome, unter anderem im für Bayern so wichtigen Autobau. 2019 lud deshalb die Staatsregierung zu einem „Zukunftsforum Automobil“ ein. Die Beteiligten trieb der Wandel vom Verbrennermotor hin zu alternativen Antrieben um, internationale Handelskrisen und langsame Digitalisierungsprozesse.

Inzwischen sind die Probleme der Zukunft in der Gegenwart angekommen. Dazu gesellen sich neue. Betriebe klagen über zu hohe Kosten und zu viel Bürokratie, über Probleme bei der ökologischen und digitalen Transformation, über die teils mangelhafte Infrastruktur. Zudem fehlt bayerischen Produkten die Nachfrage im In- wie Ausland.

Und dann wäre da noch das Dilemma, dass es für Investitionen Optimismus bräuchte, derzeit aber vor allem Pessimismus zu haben ist. „Jetzt kommt alles zusammen“, sagt auch Gößl. Und: „Jahrelang ist nix passiert, jetzt haben wir den Salat.“ Einzelne Hilfsmaßnahmen reichten daher nicht aus. Stattdessen brauche es grundsätzlich andere Rahmenbedingungen, die Raum für mehr Investitionen und mehr Arbeitsvolumen schafften – auch wenn das „Zumutungen“ bedeute. Oder wie es BIHK-Präsident Klaus-Josef Lutz formuliert: Nötig sei eine „gemeinsame Kraftanstrengung“ von Politik und Wirtschaft.

Bleibt die Frage: Befindet sich Bayerns Industrie nun in einer Strukturkrise, die bestenfalls vorübergeht – oder doch in einem Strukturwandel, der sie nachhaltig verändern wird? Auf letzteres deutet zumindest mehr und mehr hin. Autos könnten dann künftig weniger in Bayern gebaut werden, auch energieintensive Branchen wie Glas und Chemie könnten schwinden. Potenziale sieht man beim BIHK hingegen in den Bereichen Rüstung, Künstliche Intelligenz und Deep Tech. „Wir sollten“, sagt Gößl, „uns über alles freuen, das neu ist.“

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