Bayern in Brüssel:Die Lobbyisten aus dem Schloss

Wie Bayern versucht, in Brüssel das Beste für sich herauszuholen - mit Charme, Chuzpe und Raffinesse.

Cerstin Gammelin

Für den einen ist sie ein heimeliges Fleckchen in der Fremde, für den anderen der protzige Bau eines an Selbstüberschätzung kaum zu überbietenden deutschen Provinzvolkes. An der "Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union" scheiden sich die Geister.

Bayerische Vertretung in Brüssel, dpa

Die Bayerische Vertretung in Brüssel.

(Foto: Foto: dpa)

"Schloss Neuwahnstein" titelte die Presse, als das herrschaftliche Anwesen, bestens gelegen zwischen Parlament und Ministerrat, im Jahr 2004 eröffnet wurde. Tatsächlich pilgert inzwischen beinahe jeder Deutsche, der nach Brüssel kommt, neugierig zu dem vielbeschriebenen Schlösschen mit den Türmen.

Ihr Haus als Touristenattraktion? Bayerns Europaministerin Emilia Müller (CSU) sitzt auf dem antiken Sofa im Kaminzimmer der Vertretung und lächelt ein wenig empört. "Wir begleiten mit unseren Leuten hier die Gesetzgebung im Parlament, im Ministerrat und natürlich in der Kommission", doziert sie. "Wir setzen bayerische Interessen durch." Wenn die Vertretung schon eine Hochburg sein soll, dann aber bitte schön eine der bayerischen Interessenvertretung.

12.000 Besucher pro Jahr zählt sie, 600 Veranstaltungen. "Auch Kommissare kommen gern." Eine Million Euro kostet das Haus den bayerischen Steuerzahler im Jahr, zuzüglich Personalkosten natürlich. "Unsere Landsleute dürfen gute Ergebnisse erwarten", sagt Müller.

Am Mittwoch vergangener Woche reiste der Ministerpräsident persönlich an. "Wenn der MP kommt, geht nichts anderes mehr", sagt eine Verwaltungsangestellte. Das Programm wird straff und streng nach Protokoll durchorganisiert. Um 14 Uhr soll Horst Seehofer landen, dann fährt er in das gläserne Raumschiff der Kommission. Gespräch mit Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel über "die äußerst schwierige Lage der deutschen Milchbauern, insbesondere der bayerischen".

Gespräch mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso über die Landesbank des Freistaates, deren Kollaps die Bayern kürzlich nur mit zehn Milliarden Euro Steuergeld verhindern konnten. Jetzt drohen strenge Auflagen aus Brüssel - die will Seehofer verhindern. Man plaudert bei Kaffee und belgischen Pralinen. Später gewährt Barroso dem Bayern als besonderes Schmankerl noch eine "VIP-Corner" im Foyer. Seehofer steht dort, wo sonst die Regierungschefs Europas dem Kommissionspräsidenten die Hand schütteln. Er lächelt stolz in die Kameras. Bayern ist auf Augenhöhe mit Brüssel.

Ein Wermutstropfen trübt die Freude: Anders als bei europäischen Regierungschefs flattert bei Seehofers Besuch vor der Kommission nicht die weißblaue Fahne neben der Europas. Der Mast ist leer.

Eine Stunde am frühen Abend sieht das Protokoll vor, um Brüsseler Journalisten die Erfolge des MP in die Feder zu diktieren. Seehofer sitzt sehr aufrecht in der Mitte des großen Tisches im Konferenzzimmer, er hat die Unterarme übereinander geschlagen und auf dem Tisch abgelegt. "Erfolgreich" habe er der Kommissarin Zugeständnisse an die Milchbauern abgerungen. Barroso werde Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, die über die BayernLB entscheidet, seine Bitte nach "mehr zeitlicher Flexibilität bei der Umstrukturierung" übermitteln.

Er lächelt zufrieden, bis die Frage kommt, warum er, Seehofer, vehement kranke Wirtschaftsstrukturen verteidige, gar Planwirtschaft fordere? Der Bayer faltet die Hände vor der Brust, stützt die Ellenbogen auf den Tisch, holt tief Luft. "Ich kann doch als Ministerpräsident nicht sagen, ich gucke dem Strukturwandel zu und schaue dann, was übrig bleibt." Dann fliegt er zurück nach München.

München redet mit

In einem Nebengelass brennt da noch Licht. Dort lässt Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) über europäische Bildungsreformen diskutieren. Emilia Müller schaut aus dem Kaminzimmer zum ehemaligen Marstall. "Es ist uns gelungen, vorab die europäischen Papiere zu bekommen", sagt sie stolz. Spaenle habe bereits bei Bildungskommissar Jan Figel protestiert. "Europa will offensichtlich Unterricht und Schulformen beeinflussen. Aber wir lassen uns von niemanden in unser Bildungssystem reinreden", sagt die Europaministerin.

München diktiert Brüssel die Gesetzestexte? Müller lächelt geschmeichelt. Na, ganz so sei es nicht. "Wir achten darauf, dass Europa seine Kompetenzen nicht überschreitet." Und kooperiere. "Unser Pilotprojekt zur Gesetzesfolgenabschätzung hat die Kommission als Vorbild genommen."

40 sogenannte Spiegelreferenten sind in der Vertretung beschäftigt, um Kontakte zu knüpfen, Gesetzesvorhaben früh zu erfahren, die Staatskanzlei zu informieren, gegenzusteuern. Jeder hat sein Fachgebiet. Hausherrin Müller erzählt offen, worüber andere Lobbyisten lieber schweigen - wie sie versuchen, eigene Interessen in Gesetzestexten unterzubringen.

Sie erzählt, wie die Vertretung zusammen mit der CSU-Abgeordneten Angelika Niebler Widerstand gegen den Plan der Kommission organisierte, Energiekonzerne zu zerschlagen. Dass das Haus den Parlamentariern ein Forum bot, gegen strenge Klimaauflagen für Audi und BMW zu werben. "Diese Erfolge schreiben sich auch andere auf ihre Fahnen, die Unternehmen selbst, Verbände, Lobbyisten", sagt ein EU-Diplomat. "Nur eben nicht so deutlich." Unstrittig sei jedoch, "dass die Bayern die beliebteste Vertretung in Brüssel betreiben".

Und wer wird künftig das Haus leiten, nun, da sich die FDP im Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht für den einflussreichen Posten gesichert hat? Leuchten die Türmchen bald gelb?

Emilia Müller drückt ihr Kreuz gerade. "Ich bin Ministerin und werde auch künftig hier sein. Unsere Dienststellenleiterin macht gute Arbeit. Es gibt derzeit keine Personaldiskussion." Pfeift die CSU also auf die Zusage an die FDP? "Nochmal, ich bin die Chefin." Das Haus stehe allen Parteien offen. Die bayerischen SPDler seien dagewesen und Reinhard Bütikofer von den Grünen. Das Maifest feierten auch Freie Wähler mit. Aber das Sagen habe die CSU, "denn es ist natürlich klar, dass wir hier in Brüssel die bayerischen Interessen vertreten".

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