Süddeutsche Zeitung

Immobilien in Bayern:Wohnen bekommt "gesellschaftliche Sprengkraft"

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Der Verband der Wohnungswirtschaft beklagt die hohen Baukosten und mahnt die Politik, mehr gegen die Wohnungsproblematik zu unternehmen. Doch es geht auch günstig, wie ein Projekt in Bad Aibling zeigt.

Von Maximilian Gerl und Matthias Köpf, München

Das Dilemma, wie es Hans Maier nennt, ist auf Folie 21 dokumentiert. Für seine Jahrespressekonferenz hat der Verband der Wohnungswirtschaft (VdW) Bayern am Montag ein Paket aus Statistiken und Grafiken geschnürt: Mal gehen die Graphen runter, mal gehen sie hoch, aber besonders steil gehen sie auf Seite 21. Um rund 80 Prozent haben sich die Bauwerkskosten seit 2000 verteuert - mit Folgen für Bauherren wie Bewohner gleichermaßen. "Wenn wir hohe Baukosten haben, müssen wir die an unsere Mieter weitergeben", sagt Verbandsdirektor Maier. Auch wer nicht auf Gewinnmaximierung setze, sei gezwungen, die Steigerungen nach den "üblichen Kalkulationen" zu refinanzieren. "Das ist das Dilemma."

Dass in Bayern die Preise für Wohnimmobilien steigen und steigen, spüren vor allem die Menschen in Ballungsräumen im Geldbeutel. Das Plus hat nach Ansicht von Experten viele Gründe: steigende Bodenpreise etwa, Spekulation oder dass das Angebot an Wohnraum oft der Nachfrage hinterher hinkt. Aber eben auch: hohe Kosten fürs Bauen selbst.

Im VdW sind vor allem genossenschaftliche und kommunale Wohnungsunternehmen organisiert. Ihnen gehören gemeinsam 468 000 Wohnungen im Freistaat, ein gutes Viertel davon öffentlich gefördert. Trotzdem tun sich viele Unternehmen offenbar zunehmend schwer, günstigen Wohnraum tatsächlich günstig anzubieten. Das liegt auch daran, dass die Kosten fürs Bauen zuletzt wuchsen, doch die Fördersummen nicht. Laut VdW stellte der Freistaat im vergangenen Jahr 548 Millionen Euro für Wohnraumförderung bereit, genauso viel wie 2019 und 2018. Die Mittel des Bundes für Bayern sanken sogar, von 886 im Jahr 2019 auf 848 Millionen Euro in 2020. Dabei sei das von der Staatsregierung angepeilte Ziel von 70 000 neuen Wohnungen pro Jahr noch immer nicht erreicht, sagt Maier. Für 2020 weist die Statistik 64 013 Baufertigstellungen aus.

Dafür bleibt die Nachfrage nach günstigem Wohnraum hoch. In Augsburg stehen mehr als 6000 Haushalte auf der Warteliste für geförderte und Genossenschaftswohnungen. In Ingolstadt sind es 2400, in Kempten 1527. Maier sieht in der Frage bezahlbaren Wohnraums "gesellschaftliche Sprengkraft". Damit ist er nicht allein, auch die Staatsregierung möchte ja mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Zusätzliches Tempo soll seit Februar eine reformierte Bauordnung bringen: Wenn Behörden nicht innerhalb von drei Monaten auf einen Bauantrag reagieren, gilt er als genehmigt. Die neue Bauordnung sieht zudem ein, zwei Erleichterungen vor, so beim Ausbau von Dachgeschossen oder beim Bauen mit Holz.

An der Komplexität des Bauens insgesamt ändert sich dadurch trotzdem wenig - und wenig an den Preisen, die inzwischen für Wohnimmobilien fällig werden. Laut eines Berichts des Oberen Gutachterausschusses für Grundstückswerte stiegen die Preise trotz Corona-Krise vielerorts weiter. Demnach wurden in Regensburg Ende 2020 Eigenheime für 650 000 Euro im Median weiterverkauft, gut 100 000 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Entsprechend hält in der Branche die Diskussion an, wie sich Bauen einfacher, günstiger und trotzdem klimafreundlich gestalten ließe; darüber, wie komplex staatliches Regelwerk sein sollte. Als abschreckendes Beispiel müssen dann meist die strengen Vorgaben bei Brand- und Lärmschutz herhalten.

Tatsächlich geht Bauen auch einfacher, wie der Blick ins oberbayerische Bad Aibling zeigt. Dort stehen drei Modellhäuser der Technischen Universität München, eines aus Holz, eines aus Ziegel und eines aus Leichtbeton. Geplant hat sie der Architekt und TU-Professor Florian Nagler. Ihm geht es im Projekt "Einfach Bauen" darum, unnötigen Aufwand zu vermeiden und mit unkomplizierten, teils eigentlich altbekannten Methoden zeitgemäße, energiesparenden und klimaschonende Gebäude zu entwerfen.

Nagler und seine Kollegen und Studierenden verzichten dabei möglichst auf allzu viel Technik wie Lüftungsanlagen, Fußbodenheizungen und Ähnliches, was das Bauen aufwendig, langwierig und teuer macht. Es gibt schlichte, sanft geneigte Satteldächer, klare Fassaden mit teils oben bogenförmigen Fensteröffnungen, die sich wie schon bei den alten Römern statisch selber tragen und ohne Fensterstürze aus Stahl auskommen. Auch ohne aufwendige Dämmung aus irgendwelchen schwer zu beschaffenden und ebenso schwer wieder zu entsorgenden Verbundwerkstoffen soll es gehen.

Einschließlich des Energieverbrauchs für die Herstellung sollen diese Häuser - auf eine Lebensdauer von 100 Jahren gerechnet - trotzdem sparsamer und klimaschonender sein als das, was heutzutage mit teils enormem technischen Aufwand als Plusenergiehäuser gebaut wird. Für genügend Licht sorgen schlicht und einfach Fenster. Vergleichsweise üppige Raumhöhen halten im Sommer kühl und verringern im Winter den Lüftungsbedarf mit entsprechendem Wärmeverlust. Was in den jeweils drei Stockwerke hohen Häusern in Bad Aibling an aufwendiger Technik steckt, ist hauptsächlich ihrem experimentellen Charakter geschuldet: Was sie auf Dauer wirklich leisten können, sollen Sensoren exakt erfassen. Den zahlreichen Vorschriften rund ums Bauen entsprechen sie auch ohne großen Aufwand.

"Wir brauchen nicht immer die neueste Norm der Norm", sagt Verbandschef Maier: Man müsse aufpassen, Vorgaben nicht zu überziehen. Wie sich günstiger bezahlbarer Wohnraum schaffen lässt, will der VdW am Mittwoch auf einer Tagung diskutieren. Gefordert wird unter anderem eine "Baukostenbremse". Politische Entscheidungen sollten zudem künftig auf deren Einfluss auf die Baukosten untersucht werden. Wenn der Kostenanstieg generell so weitergehe, sagt Maier, "ist für die Wohnungsunternehmen der Neubau irgendwann nicht mehr möglich".

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Quelle:
SZ vom 27.07.2021
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