Politik in Bayern:Eine Legislatur zwischen Müdigkeit, Mahnungen und Machtspielchen

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Landtagspräsidentin Ilse Aigner spricht ihre traditionellen Schlussworte vor der Sommerpause. (Foto: Matthias Balk/Bildarchiv Bayerischer Landtag)

Vor der Sommerpause des bayerischen Landtags beklagt Präsidentin Ilse Aigner die „Radikalisierung des politischen Diskurses“. Das zurückliegende parlamentarische Jahr im Freistaat war auch von Polarisierung geprägt – aber nicht nur.

Von Andreas Glas, Johann Osel

Der bayerische Landtag geht in die Sommerpause und Präsidentin Ilse Aigner (CSU) beginnt ihre traditionellen Schlussworte am Donnerstag erst mal weit weg vom Maximilianeum – mit dem Attentat auf Donald Trump, in den USA. Dort wie auch hierzulande schon gebe es eine „Radikalisierung des politischen Diskurses, Feindseligkeit hat Einzug gehalten“, beklagt Aigner. Es dürfe auch in Bayern zu keiner Gefährdung für Leib und Leben und die mentale Gesundheit kommen – von Kommunalpolitikern etwa und generell Menschen, die sich engagieren und in den Dienst der Gesellschaft stellen, egal welcher Partei. „Wir dürfen eben nicht zulassen, dass die Demokratie das Fundament verliert, auf dem sie steht.“ Die Polarisierung der Gesellschaft hat den Landtag in der bisherigen Wahlperiode bewegt – aber nicht nur. Einige Schlaglichter.

Müdigkeit im Hohen Haus?

Parlamentsdebatten können zäh sein. Gähnende Abgeordnete gehören zum Alltagsbild im Landtag, zum Beispiel in den langen Haushaltsverhandlungen. Doch seit Herbst ist bei manchen Beobachtern der Eindruck entstanden, als habe sich eine fast schon chronische Müdigkeit breitgemacht. Wäre nicht verwunderlich nach dem kräftezehrenden Landtagswahljahr 2023 mit seinen zuweilen harten Auseinandersetzungen. Gerade in den ersten Monaten dieser Landtagsperiode gab es mitunter sehr übersichtliche Tagesordnungen im Parlament. Offizielle Zahlen des Landtagsamts bestätigen diesen Eindruck erst mal. Im Dreivierteljahr nach der Landtagswahl 2018 hatten die einzelnen Fraktionen addiert noch mehr als 1212 Anträge gestellt. Nun waren es bis zur parlamentarischen Sommerpause nur 914. Was ist da los?

Ist es wirklich mit Ideenlosigkeit zu erklären, dass CSU und Freie Wähler bislang nur je sechs eigene Anträge gestellt haben? Im Vergleichszeitraum 2018/19 waren es 92 (CSU) und 37 (FW). Den Regierungsfraktionen fehle die Kraft, lästert AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner am Donnerstag prompt, das Aufziehen von Brandmauern gegen ihre Partei koste wohl zu viel Energie. Die Bilanz der AfD? Im selben Zeitraum 456 Anträge.

Es lohnt sich allerdings ein zweiter Blick auf die nackten Zahlen. Tatsächlich fällt die Einzelbilanz von CSU und FW so mager aus, weil die Regierungsfraktionen die meisten ihrer Anträge gemeinsam gestellt haben, vereinzelt sogar zusammen mit SPD und Grünen – insgesamt waren es 372. Dieser Fakt, weitere konkrete Gesetzentwürfe sowie zahlreiche Resolutionen etwa zu Migration oder zum ländlichen Raum zeigen nach den Worten von CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek: „Die CSU ist Taktgeber und hat bereits eine ganze Reihe von Themen im Parlament angestoßen.“

Dazu kommt wohl, dass die Zahl von Anträgen noch nichts über deren Qualität aussagt; die AfD beantragt erfahrungsgemäß gern mal Dinge, die der Freistaat gar nicht zu entscheiden hat. Bei Grünen (238) und SPD (208) waren es in der neuen Wahlperiode zwar auch weniger Anträge als im Vergleichszeitraum 2018/19. Beide Fraktionen sind aber geschrumpft aufgrund ihrer mauen Wahlergebnisse – anders als die AfD, die nun schlicht mehr Leute hat für die Parlamentsarbeit. Und die tatsächlich arbeitsfähig ist im Gegensatz zur vergangenen Periode, wo der interne Richtungskampf alles lähmte. Jetzt führt Ebner-Steiner eine harmonische Fraktion. In Harmonie völkisch-radikal, das muss man dazu sagen.

Der abwesende Ministerpräsident

Sie habe „volles Verständnis“, dass der Ministerpräsident nicht so oft im Parlament sei, sagte Ilse Aigner vor eineinhalb Jahren über Markus Söder. Nachsichtig hörte sich das an, so ein Regierungschef ist ja beschäftigt, aber die Präsidentin schob noch zwei Sätze hinterher. „Unser Parlament kann gar nicht genug von ihm bekommen.“ Sie hoffe deshalb sehr, dass Söder künftig „öfters im Plenum sein kann“. Charmanter kann man Kritik kaum formulieren.

Zeitweise kursierte im Landtag ja die Scherzfrage, ob Söder den Weg ins Maximilianeum überhaupt noch kenne. In 25 von 30 Plenarsitzungen fehlte Söder etwa im Jahr 2022, das ergaben jedenfalls Zählungen der SPD. Er sei „offenbar zu beschäftigt damit, sein Essen zu fotografieren“, spöttelte SPD-Generalsekretärin Ruth Müller damals. Und wie ist Söders Präsenz in der neuen Wahlperiode? Weder Landtag noch Staatskanzlei führen da Statistiken. Auch die Opposition zählt offenbar nicht mehr mit. Der allgemeine Eindruck ist aber: Söder kommt häufiger, wenngleich er dann selten stundenlang auf der Regierungsbank sitzt.

Zwei Regierungserklärungen hielt Söder bislang, bei der Debatte um die Aufarbeitung der bayerischen Corona-Politik war er als Zuhörer anwesend. Ein unzweideutiges Zeichen dafür, dass der Ministerpräsident sich die Kritik zu Herzen genommen hat, ist aber: Die Häme der Opposition über seine Präsenz ist leiser geworden. In der letzten Sitzung vor der Sommerpause ist Söder ebenfalls da und spricht, ganz am Ende. Er rät er den Abgeordneten, die Lebensrealität der Menschen stärker zu berücksichtigen. Der Erhalt der Demokratie sei „nicht in erster Linie etwas Theoretisches“, Demokratie müsse praktische Lösungen bieten. Der Legislative erteilt er ein auffälliges Lob, „der Landtag wird immer besser“. Die persönliche Authentizität von Abgeordneten sei dabei wichtiger als Schwarmintelligenz.

Für die Abgeordneten des bayerischen Landtags geht es nun in die Sommerpause. (Foto: Matthias Balk/Bildarchiv Bayerischer Landtag)

Kampf um die guten Sitten

Aus der Schule ist bekannt: Die reine Ankündigung von Strafen hat schon disziplinierende Wirkung. Entgleisungen oder Störaktionen im Landtag sind durch ein neues Abgeordnetengesetz vom Frühjahr teuer geworden. Die klassische „Rüge“ ist abgeschafft. Stattdessen gibt es erst Ordnungsrufe, bei Wiederholung oder besonders gravierenden Verstößen Geldbußen – bis zu 2000 Euro oder gar 4000 Euro bei Dauerpöblern. Und als letztes Mittel ein Ausschluss aus der Sitzung, auch für längere Zeit. Aigner hatte das angestoßen, die parlamentarische Demokratie lasse sich „von niemandem auf der Nase herumtanzen“. Aus der Erfahrung der vorherigen Wahlperiode heraus: Mit dem Landtagseinzug der AfD 2018 kam es öfter zu Eklats und verbalen Ausfällen, zu einem Rekord an Rügen – 26 Stück, davor gab es mehr als zwei Jahrzehnte lang keine einzige.

Am Mittwoch nun wurden die neuen Regeln mit einer Änderung der Geschäftsordnung quasi scharf geschaltet. Und in der Debatte erkannten viele den vorauseilenden Effekt. Man erlebe seit Änderung des Gesetzes „eine wohltuende Versachlichung, was Zwischenrufe angeht“, sagt CSU-Parlamentsgeschäftsführer Michael Hofmann. Doch „manche führen sich hier mitunter immer noch auf wie pubertierende Halbstarke, die einen Kasten Bier ausgetrunken haben“. Volkmar Halbleib (SPD) erinnerte daran: „Ohne die AfD und ihren Kurs hier im Landtag hätten wir dieses Bündel an Ordnungsmaßnahmen überhaupt nicht gebraucht“. Worauf Christoph Maier (AfD) konterte: Es sei ein „Zeichen der Schwäche des Kartells“ – gemeint sind alle anderen Parteien –, mit derlei Maßnahmen „ihre aktuelle Macht einzufrieren und zu zementieren. Und es wird unser bayerisches Volk sein, das diesen Machtmissbrauch in Bayern dereinst beenden wird“. Allein durch diese drohende Wortwahl sahen sich viele im Landtag bestätigt, richtig gehandelt zu haben mit dem strengeren Kodex.

Skandale und Skandälchen

Mitte April, der Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl hat es durchgezogen. Beziehungsweise einen durchgezogen – auf der Terrasse des Landtags rauchte er zum Feierabend demonstrativ einen Joint. Sein persönlicher Beitrag – für manche pfiffig, für andere kindisch – zum Grundsatzstreit zwischen den politischen Lagern seit der Cannabis-Teilfreigabe durch die Ampel. Später hat der Landtag Kiffen auf dem Gelände untersagt – und auch ansonsten strenge Regeln für den Konsum in Bayern aufgelegt.

Ansonsten war es seit Oktober die AfD, die Unruhe auslöste. Das ging schon am Anfang los, Ende Oktober. Das vorläufige Präsidium in der ersten Sitzung besteht aus dem Alterspräsidenten und den beiden jüngsten Abgeordneten des Hauses als Schriftführer. Einer davon, Daniel Halemba (AfD), wurde damals per Haftbefehl gesucht, es ging um mutmaßliche Volksverhetzung; später kamen weitere Ermittlungen etwa wegen Geldwäsche hinzu. Halemba war dann nicht anwesend. In der AfD gab es indes Ideen, er solle sich von der Polizei demonstrativ im Landtag festnehmen zu lassen. Dies wäre ein einmaliger Skandal gewesen, ausgerechnet am Tag dieses Zeremoniells. AfD-Fraktionsvize Martin Böhm gab später zu, dies Halemba geraten zu haben – um die angebliche Repression gegen Oppositionelle anzuprangern und die Landtagspräsidentin zu „delegitimieren“. Aigner nannte in ihren Schlussworten am Donnerstag Böhms angedachtes Manöver „infam“. Es sei versucht worden, eine Parallele zu 1933 zu schaffen, als politische Gegner im Reichstag weggesperrt wurden.

Außerdem wird erstmals ein amtierender Abgeordneter als Einzelperson vom Verfassungsschutz beobachtet: Franz Schmid. Normalerweise gelten für diese Maßnahme gegen Mandatsträger sehr hohe Hürden durch das Bundesverfassungsgericht. Eine im Fall Schmid eingetretene Ausnahme ist es für das Landesamt, wenn „ein Abgeordneter sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“. Es geht dabei um Verflechtungen mit aktenkundigen Rechtsextremisten in Bayern. Schmid ist wie Halemba erst Anfang 20 – er durfte Ende Oktober die erste Sitzung an der Seite des Alterspräsidenten mit leiten.

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