Natur und Umwelt :Von Igeln lernen

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Hat in bayerischen Gärten oft wenig zu lachen - und zu fressen: der Igel. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa-tmn)

Der Igel in Bayern könnte bald aussterben. Weil die Gärten zu ordentlich sind. Zeit für ein bisschen Verwahrlosung. Und so ein Winterschlaf wäre gerade auch nicht verkehrt.

Glosse von Deniz Aykanat

Es ist jedes Jahr dasselbe: Man fällt immer wieder auf dieselbe Lüge herein, wonach der Herbst eine Zeit des Übergangs ist. Man kauft für diese Zeit auch Übergangsjacken und merkt zu spät, dass das rausgeschmissenes Geld ist. Es gibt keinen Übergang. Das geht ratzfatz! Im Garten zum Beispiel. Im ersten Moment sieht er noch herbstlich verwildert aus. Das Laub leuchtet rot, orange und gelb. Um die Apfelbäume herum türmen sich Laubhaufen. Kastanien und Äpfel liegen herum wie verstreute Bonbons. Die Herbstsonne leuchtet gülden.

Im nächsten Moment sieht es aber aus wie in einem Endzeitfilm. Die verdorrten Tomatenpflanzen wirken im Dämmerlicht wie Untote, Schnecken schleimen sich zu Dutzenden die Regentonne hoch, der Rasen besteht zu 80 Prozent aus Moos statt aus Gras und das bunte Herbstlaub hat sich über Nacht in braune Masse verwandelt. Und: Nebel. Viel davon. Fehlt nur noch, dass Viggo Mortensen mit einem kaputten Einkaufswagen, der seine Habseligkeiten beherbergt, auf der Flucht vor Kannibalen über die Terrasse schlurft. Der Garten schreit: Räum mich auf und mach mich winterfest! Das ist einfach das Schlimmste. Beim Frühjahrsputz herrscht ja wenigstens so etwas wie Aufbruchstimmung. Aber im November will man sich eben, nun ja, einigeln halt.

Wie tröstlich, dass es nun eine Ausrede gibt, den Garten einfach sich selbst zu überlassen: Die Igel könnten in Bayern sonst aussterben. Der westeuropäische Igel wird in der Roten Liste inzwischen als „potenziell gefährdet“ ausgewiesen. Schuld daran sind unter anderem zu ordentliche und aufgeräumte Gärten. Die sind der Tod für das Stacheltier. In gepflegten Gärten ohne Totholz, Laub und Kompost findet der Igel nichts zu fressen. Er kann es sich auch nicht gemütlich machen, um den Winter zu verpennen.

Und Winterschlaf wäre gerade so wichtig. Man möchte es dem Igel ja eigentlich gleichtun. Mindestens den nahenden Winter könnte man gepflegt unter einem Laubhaufen zubringen. Dann müsste man sich die Amtseinführung von Donald Trump nicht reinziehen oder wie Markus Söder jetzt wieder in den Wahlkampf eintritt, indem er – statt seinen Garten winterfest zu machen – enorm viel isst und die Beweise dafür penibel auf Instagram archiviert. Man müsste das alles nicht sehen. Unter so einem Laubhaufen.

Aber es hilft ja nichts, man ist halt leider kein Igel und so stapft man doch in Gummistiefeln in den Garten, um den beim letzten Sturm zusammengekrachten Apfelbaum zu bearbeiten. Doch, was ist das? Krabbelt da etwa ein Hirschkäfer vorbei? Man lässt sofort die Astschere fallen. Für den Tierschutz natürlich. Und das eigene Seelenheil.

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