Die Liste der Bestreikten ist so prominent wie lang. Autobauer stehen darauf wie das BMW-Werk in Regensburg; Zulieferer wie Schaeffler im fränkischen Höchstadt; Vertreter der Luft- und Raumfahrt wie Airbus Helicopters in Donauwörth; Standorte wie der von BSH Hausgeräte in Traunreut. In bayernweit 107 Betrieben hatte die Gewerkschaft IG Metall für Donnerstag die Beschäftigten aufgerufen, ihre Arbeit vorübergehend niederzulegen – im „bisher größten Warnstreiktag“ in der laufenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie.
Daran beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben bis zum Nachmittag rund 15 000 Menschen. Allein in Nürnberg gingen demnach rund 3500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von MAN Truck & Bus, Robert Bosch, Siemens Mobility und 32 weiteren Firmen auf die Straße. Für den Freitag sind weitere Aktionen geplant. Die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie sollen bayernweit ihre Arbeit früher als üblich beenden. Unter anderem wird die Spätschicht bei BMW in Dingolfing gemeinsam mit den ansässigen Kontraktlogistikern zweieinhalb Stunden früher Schluss machen, wie die Gewerkschaft IG Metall Bayern mitteilte. Im Allgäu sollen sämtliche Schichten von AGCO Fendt, Robert Bosch und Liebherr Aerospace ihre Schichten drei beziehungsweise zwei Stunden früher beenden. An einigen Orten seien Kundgebungen geplant. Beschäftigte in 36 Betrieben seien zu Warnstreiks aufgerufen, im Mittelpunkt stünden Niederbayern und das Allgäu.
„Die Unternehmen spüren die Wucht der Solidarität der bayerischen Beschäftigten“, sagte Bayerns IG Metall-Bezirksleiter Horst Ott. Nur mit „Bewegung in der Entgeltfrage“ könnten die Arbeitgeber diese Tarifrunde „gemeinsam mit uns zu einem guten Ende bringen“.
Ein gutes Ende würden sich auch viele Unternehmen wünschen, spüren sie doch derzeit mehr als den Unmut ihrer Beschäftigten. Seit der alte Tarifvertrag und die Friedenspflicht ausgelaufen sind, ruft die IG Metall immer wieder zu Warnstreiks auf. Sie fordert unter anderem sieben Prozent mehr Lohn, mit Verweis auf gestiegene Preise und Lebenshaltungskosten. Inoffiziell aber geht es mancherorts längst um mehr – um Jobs.
Denn die Industrie gilt derzeit als Sorgenkind der Wirtschaft. Zu viele Probleme haben sich aufgeschaukelt, die Geschäftsaussichten sind oft schwierig. Vor allem dem in Bayern so wichtigen Autobau fehlt die Nachfrage, China, über Jahre ein verlässlicher Kunde, kauft lieber die eigenen Fahrzeuge. Die Reaktion: Sparmaßnahmen, Kurzarbeit und Stellenstreichungen. So wurde am Mittwoch bekannt, dass Bosch Rexroth bayernweit mehr als 300 Stellen abbauen will. Dies dürfte laut Gewerkschaftern wohl vor allem das Werk für Mobilhydraulik im unterfränkischen Haßfurt hart treffen. In Neustadt an der Saale beim Automobilzulieferer Preh sollen 420 Arbeitsplätze wegfallen. Unternehmensleitung und Betriebsrat einigten sich dazu kürzlich auf ein Freiwilligenprogramm und einen Sozialplan. Auch bei ZF oder Schaeffler stehen etliche Jobs auf der Kippe.
Entsprechend groß ist die Unsicherheit, die viele Beschäftigte in der Industrie gerade verspüren, nicht nur an den von Kürzungen betroffenen Standorten. Manch Unternehmer wiederum äußert zwar Verständnis für die Forderung nach mehr Lohn, bezweifelt aber, ob dafür jetzt, so mitten in der Krise, der passende Zeitpunkt sei. Ende Oktober – mit Scheitern der dritten Verhandlungsrunde – teilten die bayerischen Metall- und Elektroarbeitgeberverbände Bayme und VBM mit, dass der Branche seit Jahresanfang gut 7500 Arbeitsplätze verloren gegangen seien. „Zur Disposition stehen noch deutlich mehr Arbeitsplätze und Schließungen von Standorten, womit insgesamt der Verlust von zehntausenden Arbeitsplätzen in Bayern droht.“ Bayme und VBM hatten als Gegenangebot eine Tabellenerhöhung in Höhe von 3,6 Prozent in zwei Stufen und bei einer Laufzeit von 27 Monaten vorgelegt.
Das aber ist aus Sicht der IG Metall deutlich zu wenig, um die auch künftig steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen. Mehr Lohn, so die Argumentation der Gewerkschaft, könne außerdem helfen, den Binnenkonsum wieder ankurbeln. Am 11. November möchten sich beide Seiten in Hamburg wieder treffen, geplant ist eine gemeinsame Verhandlungsrunde der Bezirke Küste und Bayern. Sollte auch diese ohne Lösung enden, gilt laut eines Gewerkschaftssprechers: „Wir streiken, bis es ein Ergebnis gibt.“
Hinweis der Redaktion: Der Text wurde um den Aufruf zu Aktionen am Freitag erweitert.