Süddeutsche Zeitung

Widerstand gegen Hochwasserschutz:Sturzflut und Sturheit

Nach Naturkatastrophen ist die Bestürzung oft groß, doch die Menschen vergessen schnell - und der Widerstand gegen Schutzmaßnahmen wie die Polder an der Donau hält an. Dabei ist Vorsorge zwingend nötig.

Von Christian Sebald

Beim ersten Hören klingt es seltsam: Auf die Sturzflut in Schönau am Königssee (Kreis Berchtesgadener Land) antwortet Thorsten Glauber mit einer Beratungsoffensive. "Wir intensivieren die Sturzflut-Beratung für unsere Kommunen", sagt der Umweltminister. "Denn wir wollen eine noch größere Dynamik bei der Vorsorge erreichen." Es ist aber nicht seltsam, was der FW-Politiker sagt. Denn es sind die Landgemeinden, die sich gegen Naturkatastrophen wie im Berchtesgadener Land wappnen müssen. Denn sie sind für die Bäche und kleinen Flüsse zuständig, die sich bei Starkregen plötzlich in braune Ströme verwandeln können und dann alles mit sich reißen. Viele Kommunen haben diese Gefahr noch nicht wirklich erkannt.

Der Freistaat indes unterstützt die Landgemeinden bei der Gegenwehr. Und zwar üppig: Er übernimmt 75 Prozent der Kosten für kommunale Sturzflut-Schutzkonzepte und kleinere Dämme, Rückhaltebecken und andere Gegenmaßnahmen. Bisher sind zwölf Millionen Euro aus dem Fördertopf abgerufen worden. Das ist eher wenig.

Glauber setzt darauf, dass die schlimmen Bilder von den Sturzfluten jetzt die eine oder andere Gemeinde dazu bringen, die Angebote des Freistaats anzunehmen. Denn die Hochwasserschützer machen immer wieder die gleiche, schlimme Erfahrung. "Nach einer Flutkatastrophe hast du zwei oder drei Jahre Zeit, um in der Bevölkerung und der Politik neue Dämme, Rückhalteflächen oder andere Schutzprojekte durchzubringen", sagt ein Experte. "Danach sind alle Schäden und das Leid vergessen, die sie angerichtet hat, der Widerstand gegen Schutzprojekte wächst, bis man sie nicht mehr durchsetzen kann."

Der Freistaat dagegen hat seine Lektion beim Pfingsthochwasser 1999 gelernt. Nach tagelangen Regenfällen in Oberbayern und im Allgäu überströmten damals erst die Donauzuflüsse aus den Alpen, dann die Donau selbst Dämme und Deiche. Besonders schlimm traf es Neustadt an der Donau. Auch Neu-Ulm und Teile von Augsburg wurden überflutet, ebenso kleine Orte wie Sonthofen, Weilheim oder Eschenlohe. Bayernweit starben fünf Menschen in den Fluten, 100 000 waren direkt betroffen, der Schaden betrug eine Milliarde Euro. Das Pfingsthochwasser ist die Zäsur im Hochwasserschutz in Bayern. Danach legte die Staatsregierung das Schutzprogramm 2020 auf. Sein Volumen: 3,4 Milliarden Euro.

Das Programm war ausschließlich für die Donau und die anderen großen Flüsse gedacht, für die der Freistaat zuständig ist. In seinem Rahmen sind 340 Kilometer Deiche saniert worden. 190 Kilometer Deiche wurden neu errichtet, dazu weitere 70 Kilometer Hochwasserschutz-Wände. Knapp 1300 Kilometer Gewässerstrecke und 2700 Hektar Auwald sind renaturiert worden, damit die Flüsse wieder mehr Platz haben. Vor allem an der Isar unterhalb von Freising sind viele Kilometer Deiche zurückverlegt worden. Dort und an anderen Flussabschnitten wurde so zusätzlicher Stauraum für 25 Millionen Kubikmeter Hochwasser geschaffen. Für 8000 Kilometer Flussstrecke hat der Freistaat Hochwasser-Gefahrenkarten herausgegeben - mit allen potenziellen Überschwemmungsflächen.

Der letzte Schwerpunkt des Programms war die Donau zwischen Straubing und Vilshofen. Seit dem verheerenden Juni-Hochwasser 2013 sind in der Region 480 Millionen Euro in neue Dämme und Deiche geflossen. Weil aber der Hochwasserschutz eine Daueraufgabe ist, hat Glauber das Programm verlängert. Bis 2030 sollen weitere zwei Milliarden Euro in neue Dämme und Deiche, vor allem aber in Renaturierungen von Auwäldern und Deichrückverlegungen fließen. Der sogenannte natürliche Hochwasserschutz kommt Umweltschützern bisher viel zu wenig zur Geltung.

"Außer in Auen muss der Regen künftig sehr viel mehr in Feuchtgebieten, Mooren und naturnahen Bächen zurückgehalten werden", sagt Richard Mergner vom Bund Naturschutz. Man müsse auch die Aufnahmefähigkeit der Böden verbessern, etwa indem Drainagen aus Agrarflächen entfernt werden, durch die Regenfälle abgeleitet werden statt im Erdreich zu versickern. Mergner erinnert daran, dass CSU und FW in ihrem Koalitionsvertrag 2018 versprochen haben: "Unsere Hochwasserstrategie werden wir stärker auf dezentrale Regenrückhaltung ausrichten."

Im selben Koalitionsvertrag haben sich CSU und FW allerdings ein schlimmes Versagen geleistet. Angesichts massiver Proteste aus der Region Neuburg an der Donau und im Kreis Regensburg verständigten sie sich darin, auf drei Polder an der Donau zu verzichten. Das sind gigantische Rückhaltebecken, die Millionen Kubikmeter Hochwasser aufnehmen können. Sie werden nur geflutet, wenn alle anderen Schutzmaßnahmen nicht ausreichen. Sie sind gleichsam Notventile. Mit ihrer Hilfe soll der Scheitel einer Hochwasserwelle gekappt werden, die ansonsten Dämme und Deiche zu überfluten oder gar zu brechen droht. Experten halten sie für einen unverzichtbaren Bestandteil jedes modernen Hochwasserschutzes.

Was die Polder so unbeliebt macht

In den Regionen, in denen Polder errichtet werden sollen, sind sie dennoch denkbar unbeliebt. Die Gründe sind immer dieselben. Viele zweifeln grundsätzlich ihre Wirksamkeit an. Hausbesitzer befürchten ein Ansteigen des Grundwasserspiegels und dadurch eine Gefahr für ihre Gebäude. Die Bauern wollen ihren Grund nicht hergeben, denn es sind ihre Äcker und Weiden, die im Ernstfall geflutet werden. In Neuburg an der Donau und bei Regensburg ist der Widerstand gegen die dort geplanten Polder sehr hart. Andere in der Region wollen den Verzicht auf die Bauwerke nicht hinnehmen, weil sie sich Schutz davon erwarten. Auch die Fachwelt insistiert auf den Plänen. Also einigte sich das Kabinett auf ein neues Gutachten - das Ergebnis bestärkt Glauber darin, die Polderpläne weiter zu verfolgen.

Der Umweltminister kann sich dabei auch auf Hochwasserschützer mit viel Praxis berufen. Auf den Passauer Stadtbrandrat Andreas Dittlmann etwa. Er hat am Wochenende mit großer Sorge beobachtet, wie schnell der Innpegel in seiner Stadt angeschwollen ist. "Der Freistaat hat in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in den Hochwasserschutz investiert", sagt Dittlmann. "Aber die Gewalten der Natur kann auch der Freistaat nicht bezwingen." Dem Stadtbrandrat machen die immer kürzeren Vorwarnzeiten große Sorgen. "Früher hat es mehrere Tage Dauerregen in den Bergen haben müssen. Dann haben wir gewusst, dass wir mit Hochwasser rechnen müssen", sagt er. "Inzwischen sind es noch 24 Stunden." Dittlmann hofft, dass man mit Poldern gegensteuern kann, wenn sie denn einmal gebaut werden.

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SZ vom 20.07.2021/van/syn
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