Süddeutsche Zeitung

Sanierungsstau:Wo Bayerns Hochschulen vor sich hin bröckeln

  • In Bayern soll es eine Hochschulreform geben, damit mehr Universitäten in der Exzellenz-Liga mitspielen können.
  • Allerdings: Viele der vorhandenen Hochschulen sind baufällig, es bröckelt an der Fassade und in den Hörsälen.
  • Seit Jahren gibt es einen Sanierungsstau, Gelder für Sanierungen sind nicht freigegeben.

Von Anna Günther und Claudia Henzler

Das Erlanger Schloss, Sitz der Universitätsverwaltung und prominentestes Baudenkmal der Stadt, ist von einem Bauzaun umgeben. Es sieht aus, als würde es hier gleich losgehen mit den Sanierungsarbeiten. Wäre ja auch kein Wunder, schließlich wurden der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im vergangenen Jahr 1,5 Milliarden Euro für Baumaßnahmen versprochen. Der Eindruck täuscht: Der hohe Zaun rund ums Schloss ist dazu da, Passanten vor bröckelnden Fassadenteilen zu schützen. Noch ist das Geld für die Sanierung des Schlosses nicht freigegeben. Es wird Jahrzehnte dauern, bis die Universität Erlangen ihren Sanierungsstau behoben haben wird. Denn die verheißungsvoll klingenden 1,5 Milliarden Euro sollen innerhalb von 30 Jahren fließen und müssen für viele Projekte reichen.

Auch Söders Prestigeidee einer neuen Technischen Universität in Nürnberg existiert bisher nur auf dem Papier, da kündigt er wieder etwas Neues an: Eine Hochschulreform soll Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) erarbeiten. Söder will mehr als zwei Exzellenzuniversitäten haben in Bayern. Dieser Titel ging kürzlich wieder an die beiden Münchner Unis, die anderen zehn Universitäten gingen leer aus. Das soll anders werden. Söder will, dass Bayern auch in Zukunft in der Forschung ganz oben mitmischt. Das wollen auch die Präsidenten der bayerischen Universitäten, bei ihnen aber wächst die Sorge, dass bei all diesen Visionen die anstehenden Sanierungen weiter aufgeschoben werden. In Erlangen sollen noch 2019 zumindest einige der wichtigsten Neubauten und Generalsanierungen auf den Weg gebracht werden (das Schloss ist nicht dabei). Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie es zu diesem enormen Sanierungsstau kommen konnte. Und: Ist die Erlanger Situation ein Sonderfall?

Keineswegs. Seit Jahren wird der Sanierungsstau diskutiert, die Opposition prangert an, die Regierung beschwichtigt. Längst ist von fünf Milliarden Euro die Rede, die es kosten würde, alle Sanierungen umzusetzen. Die Unipräsidenten sprechen schon von bis zu zehn Milliarden Euro. Gebaut und gejammert wird fast überall. Drastik hilft beim Geldeintreiben, aber ein zu schlechter Ruf könnte Studenten und Forscher abschrecken. Und das bereitet den Chefs der bayerischen Unis noch mehr Sorgen als bröckelnder Putz oder Brandschutzmängel. "Mit Sorge beobachten wir seit Jahren die Entwicklung des baulichen Zustands", teilen sie aus ihrer Sommerklausur mit, sprechen von "dramatischen Sanierungsfällen", und davon, dass der bauliche Zustand die "nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit" ums Spitzenpersonal behindern werde, wenn nicht rasch etwas passiert. Die Präsidenten fürchten, dass sie die besten Professoren bald nicht mehr nach Bayern locken können, wenn die Infrastruktur nicht mit der internationalen Konkurrenz mithalten kann. Und sie fürchten, dass Studenten sich anderswo anmelden.

Für fast alle Unis sind im Staatshaushalt millionenschwere Investitionen angemeldet. Besonders drastisch lesen sich die Situationsbeschreibungen bei der FAU, der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und der Regensburger Uni. In Regensburg etwa gleicht der Betonkoloss einer Dauerbaustelle, Pfützen im Inneren gehören nach Starkregen dazu wie die Holzbalken, die die Tiefgarage stützen. Von einer Milliarde Euro war mal die Rede. So viel würde es kosten, die Uni komplett zu modernisieren. Die Gebäude wurden in den Sechzigerjahren gebaut und viele sind marode. Regensburg ist die einzige Uni, an der eine Gesamtsanierung läuft. Die Sanierung der Tiefgarage und der angrenzenden Grundmauern soll 2022 fertig sein, für die übrigen Gebäude gibt es noch keinen Zeitplan. Auch in Regensburg wächst die Sorge, auf die Umsetzung der Gesamtsanierung warten zu müssen. Auch dort wachse die Gefahr, dass Räume nicht mehr genutzt werden können, heißt es aus der Universität. Die Infrastruktur habe die Lebensdauer teils schon überschritten, Reparaturen würden teurer und aufwendiger.

Wie es zum Sanierungsstau kommen konnte, kann das Wissenschaftsministerium nicht erklären. Bei 4,3 Millionen Quadratmetern Nutzfläche aller staatlichen Hochschulen und Unikliniken sei der Unterhalt von Gebäuden unterschiedlichsten Alters eine "herausfordernde und langfristige" Aufgabe, die "im Grunde nie beendet sein kann", heißt es. Und im Vergleich zu anderen Bundesländern stehe Bayern nicht schlecht da. Eine Prioritätenliste gebe es, versichert Wissenschaftsminister Sibler. Er habe bei den Haushaltsverhandlungen dafür gekämpft, dass die Hochschulen im kommenden Jahr für große Baumaßnahmen und den Bauunterhalt 179 Millionen Euro mehr haben als gedacht. Insgesamt sind 640 Millionen Euro im Haushalt eingestellt. Er will weiter kämpfen. Zu Söders angekündigter Reform will Sibler nichts sagen. Einen Zusammenhang zu Sanierungen aber gebe es nicht.

Fragt man Unipräsidenten und Studenten, die sich täglich in modernen und baufälligen Hörsälen aufhalten, ist die Lösung einfach: Die Staatsregierung muss deutlich mehr Geld für Baumaßnahmen und Bauunterhalt der Gebäude in die Hand nehmen. Man tut doch schon viel, heißt es dagegen aus dem Ministerium. Neben Bauinvestitionen fließen Millionen in neue Geräte oder die inhaltliche Wissenschaftsförderung.

Wer den FAU-Campus der Erziehungswissenschaften an der Regensburger Straße in Nürnberg besichtigt, dessen Türen, Wände und Decken genauso abgewetzt und schäbig aussehen, wie man das nach 40-jähriger ständiger Benutzung durch Tausende Studenten erwartet, und anschließend auf das Gelände der Universität in Bayreuth fährt, erlebt eine Überraschung: Auch so kann also eine bayerische Universität aussehen. Die Bayreuther Campus-Uni, erst 1972 gegründet, ist in einem guten Zustand. Das liegt zum einen daran, dass die Universität in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive gewachsen ist, weshalb viele Gebäude noch vergleichsweise jung sind.

Vor allem aber steckt die Universitätsverwaltung nach eigenen Angaben "viel Geld in den Unterhalt" - und zwar auf Kosten anderer Bedürfnisse. Die jährliche Bauunterhaltszuweisung für Campus und Außenliegenschaften reiche bei weitem nicht aus, sagt Sprecherin Anja-Maria Meister: 1,6 Millionen Euro pro Jahr bekommt die Hochschule für die Pflege ihrer Gebäude, das decke nur etwa die Hälfte des "absolut dringenden" Bedarfs. "Bisher konnten wir zumindest diese 50 Prozent durch interne Mittelumschichtung kompensieren." Trotzdem steuere auch die Universität Bayreuth mittelfristig auf einen Sanierungsstau zu: Man habe die Erneuerung von veralteten technischen Betriebsanlagen zurückstellen müssen.

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SZ vom 30.07.2019/vewo
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