Süddeutsche Zeitung

Trotz Hitzewelle:Viele Gemeinden machen ihre Badestellen dicht

  • Wegen eines BGH-Urteils fürchten viele Gemeinden, bei Badeunfällen haftbar gemacht zu werden.
  • Die rechtlichen Vorgaben sind in vielen Punkten uneindeutig. Deshalb greifen die Gemeinden zu teils kuriosen Vorsichtsmaßnahmen.
  • Grund für die Aufgeregtheit der Lokalpolitiker könnte die anstehende Kommunalwahl 2020 sein.

Von Matthias Köpf und Olaf Przybilla

Von Montag an wird Horst Kratzer ruhiger schlafen können. Dann wird ein Zaun um das zuvor frei zugängliche Naturbad mitten im Gemeindegebiet von Postbauer-Heng gezogen, das dem Bürgermeister zuletzt enorme Bauchschmerzen bereitet hat. Denn 2017 hatte der Bundesgerichtshof eine Gemeinde in Rheinland-Pfalz für den schweren Badeunfall einer Zwölfjährigen haftbar gemacht. Mit dem unbeschwerten Badevergnügen ist es vielerorts vorbei, seit sich das Urteil in den vergangenen Monaten in Bayerns Rathäusern herumgesprochen hat.

Im oberpfälzischen Postbauer-Heng sind sie eher zufällig darauf gestoßen und der Zaunziehung gingen erregte Debatten voran. Mit der Rechtskenntnis eines Ex-Polizisten aber gelang es Kratzer, die Leute in der Gemeinde zu überzeugen. So wie die Lage ist, sagt Kratzer, "kann einem keiner genau sagen, was zu tun ist". Wenn aber etwas passiere, dann sage einem ein Richter, was man hätte tun und wie man hätte vorsorgen müssen. Lösung also: Ein 1,20 Meter hoher Zaun ums Becken. Niedrig genug, um das Naturbad mit biologischer Wasseraufbereitung nicht völlig zu verschandeln. Hoch genug, um juristisches Problembewusstsein demonstriert zu haben.

Eine Saisonkraft soll aufs Becken aufpassen, überdies organisiert ein Förderverein ehrenamtliche Rettungsschwimmer. In Zukunft gilt das Bad in Postbauer-Heng als überwacht, wenn die Türen im Zaun geöffnet sind. Und als unbewacht, wenn sie zu sind. Ob das einen Richter im Zweifelsfall milde stimmt, weiß niemand. "Aber der Vorsatz ist auf jeden Fall weg", glaubt der Bürgermeister. Und ob eine Fahrlässigkeit bliebe - wer weiß?

Bei grober Fahrlässigkeit jedenfalls müssen die Verantwortlichen seit dem BGH-Urteil beweisen, dass ihr Fehler nicht zu den Schäden bei den Betroffenen geführt hat, im Fall des Mädchens in Rheinland-Pfalz zu schweren Hirnschädigungen und lebenslanger Pflegebedürftigkeit. Darüber hinaus haben die Richter die jahrzehntelange Rechtsprechung bestätigt.

Warum dieses fast zwei Jahre alte Urteil nun in Postbauer-Heng und in vielen anderen Gemeinden zu so großer Verunsicherung geführt hat, kann man sich beim Gemeindetag auch kaum erklären. Womöglich spiele da auch schon der Wahlkampf für die Kommunalwahl 2020 hinein, sagt Gemeindetagssprecher Wilfried Schober. Auf jeden Fall registriere man aber allgemein ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis und eine wachsende Klagefreudigkeit. Entsprechend wollten Bürgermeister und Gemeinderäte ebenfalls auf der sicheren Seite sein, um nicht am Ende sogar persönlich für irgendwelche echten oder vermeintlichen Versäumnisse verantwortlich gemacht zu werden.

Die Vorgaben sind oft uneindeutig - die Gemeinden greifen zu teils kuriosen Vorsichtsmaßnahmen

Wenn eine Gemeinde dann noch bei ihrer Versicherung nachfragt, in Bayern meist beim De-facto-Monopolisten Versicherungskammer, führt das nach der Erfahrung des Gemeindetags schnell zum Abbau von Badeflößen, zum Verrammeln von Stegen, zur Demontage von Rutschen und zum Sperren von Sprungtürmen, wie es zuletzt etwa am Eitzenberger und am Kirnberger Weiher bei Penzberg, am Dietlhofer See nahe Weilheim, in Herrsching am Ammersee und an vielen anderen Orten geschehen ist.

An einem einsamen Weiher mitten im Wald ließ eine Gemeinde in der Oberpfalz sogar eine einfache Sitzbank abbauen, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, man habe womöglich eine Badestelle eingerichtet. Denn sobald ein Badender diesen Eindruck hat oder haben könnte, muss der Betreiber, meist die Kommune, für Sicherheit sorgen. Mit dem Schild "Benutzung auf eigene Gefahr" ist es ebenso wenig getan wie mit einer regelmäßigen Überprüfung von Stegen und Flößen.

Nötig ist vielmehr eine Aufsicht durch geschultes Personal, doch das ist schwer zu finden. "Was wir da schon alles ausgeschrieben haben - keine Chance!", sagt Rosemarie Biehler als Vorsitzende des Fremdenverkehrsvereins Seehausen, der das Strandbad am Staffelsee im Kreis Garmisch-Partenkirchen betreibt. Neulich hätte sie zu dem hauptamtlichen Badeaufseher und der Aushilfe fürs Wochenende endlich einen weiteren Mitarbeiter gefunden, aber der ist dann durch die Prüfung fürs Rettungsschwimmabzeichen gefallen. "Wenn unser Badeaufseher unter der Woche krank wird, dann müssen wir zusperren, ganz rigoros", sagt Biehler. Das Risiko, morgens und abends ein paar Stunden ohne Eintritt und ohne Aufseher die Tore aufzulassen, gehen sie in Seehausen noch ein, aber spätestens um 21 Uhr wird alles abgesperrt. Rundherum machten aber viele Gemeinden Badestellen einfach ganz dicht, beobachtet Biehler. "Die ziehen alles raus."

So vertrackt die Situation für die Badeseen ist, ein Blick nach Lengfurt im Landkreis Main-Spessart mag optimistisch stimmen. Dort stand das kommunale Freibad kurz vor der Schließung. Dann aber hat sich ein Förderverein gegründet und hilft nun ehrenamtlich bei der Sanierung und der regelmäßigen Reinigung und übernimmt Dienste an der Kasse. Am wichtigsten aber: Eigens ausgebildete Rettungsschwimmer übernehmen zusätzliche Aufsichten. Etwa 25 Helfer haben sich ausbilden lassen, fast 20 arbeiten Woche für Woche mit. Die Kommune als Betreiberin des Bades stellt stets eine hauptamtliche Schwimmaufsicht. Ohne die ehrenamtlichen Rettungsschwimmer aber hätte das Bad längst schließen müssen, "das gäbe es sonst nicht mehr", sagt Dorothea Hock, eine Sprecherin des Fördervereins.

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SZ vom 26.06.2019/lfr
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