Wer das Tagungshotel der Grünen im Würzburger Osten betritt, läuft an einem recht großen Flachbildschirm vorbei, auf dem das Motto dieser Herbstklausur leuchtet: „Zeit, dass sich was dreht!“ Eine Uhr ist zu sehen, die Zeiger auf fünf vor zwölf, und natürlich tanzen jetzt die Assoziationen im Kopf. Es muss sich ja wirklich was drehen für die Grünen, und zwar schleunigst. In Umfragen surfen sie gefährlich nah an der Einstelligkeit, zuletzt zehn Prozent in Bayern. Und jetzt? Hat die CSU den Grünen auch noch den Schlüssel geklaut.
Dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber so schnell wie möglich arbeiten, hatte Fraktionsvize Johannes Becher ja als „Schlüssel“ für Integration bezeichnet. „Lieber hab ich den auf der Baustelle als am Herumsitzen“, sagte er kürzlich über Migranten. Am Mittwoch durfte Becher dann erleben, wie Markus Söder bei der Klausur der CSU-Landtagsfraktion das Motto ausrief: „Weg von der Straße, hin zur Arbeit.“ Der Ministerpräsident möchte mehr Asylbewerber als bisher zu gemeinnützigen Jobs verpflichten – und auch in den Arbeitsmarkt bringen. Man könnte an diesem Donnerstag also einen glücklichen grünen Fraktionsvize erwarten, aber Becher sagt: „Noch glaube ich es nicht.“ Von Söder habe er schon einiges gehört, das am Ende anders gekommen sei.
Natürlich haben die Grünen auch die Entscheidung in der K-Frage der Union registriert – und wissen spätestens jetzt, dass ihnen der Grünenfresser Söder noch eine Weile erhalten bleiben dürfte in Bayern. „Wieder verloren“, stichelt Becher, „gewogen und für zu leicht befunden“. Und dann pinselt er auch schon am Bild eines Ministerpräsidenten, der eigentlich gar keine Lust mehr hat auf seinen Job. Wie ein wechselwilliger Fußballer, sagt Becher. Für Söder sei es nun an der „Zeit, sich wieder auf Bayern zu konzentrieren.“
Knapp drei Autostunden weiter südlich, bei der Klausur der SPD-Landtagsfraktion in München, ist Söder ebenfalls Thema. Auch SPD-Fraktionschef Holger Grießhammer nimmt ihn in die Bayern-Pflicht: „Wir wollen weniger penetranten Fingerzeig nach Berlin, sondern konkrete Lösungen für die Probleme der Menschen im Freistaat.“ Die AfD-Fraktion, die am Donnerstag ebenfalls tagt, fordert diese Lösungen erwartungsgemäß beim Thema Migration. Die Arbeitspflicht, die Söder angekündigt hat, findet man gut. Aber die AfD verlangt ja eine „umfassende Remigration“, am liebsten mit eigenen, „bayerischen Abschiebeflugzeugen“, wie es in einem Positionspapier heißt.
Nachdem die CSU-Klausur in Kloster Banz am Donnerstagmittag zu Ende gegangen ist, möchte die Opposition also den freigewordenen Aufmerksamkeitsraum nutzen. Die Tagungen von AfD, Grünen und SPD gehören zur traditionellen Klausurreihe der bayerischen Landtagsfraktionen, bevor es nach der Sommerpause zurück an die Parlamentsarbeit geht. Man bekommt präsentiert: Eine AfD, die sich nach den Ostwahlen auch in Bayern gestärkt sieht. Eine Grünen-Fraktion, die ihre Probleme erkannt hat, aber noch den Schlüssel für die Lösung sucht. Und Sozis, die einen Neuanfang wagen, was an sich ein starkes Signal wäre, würde sich die Bayern-SPD nicht alle paar Jahre an einem Neuanfang versuchen und verlässlich daran scheitern.
Personell besteht der Neuanfang der SPD diesmal darin, dass Holger Grießhammer erstmals eine Klausur der Landtagsfraktion leitet. Mitte Juli erst haben ihn die Abgeordneten zum neuen Fraktionschef gewählt, nachdem sie zuvor den alten, Florian von Brunn, abgesägt hatten. Inhaltlich neu ist, dass der gelernte Handwerksmeister Grießhammer den „Kaktus“ anfassen möchte, wie er im Vorfeld der Klausur verlautbaren ließ. Wie bitte? Bei den Abgeordneten ist der Kaktus ein geflügeltes Wort, seit sie im Juli bei einem etwas ungemütlichen Treffen mit SPD-Kommunalpolitikern von einer Bürgermeisterin diesen Arbeitsauftrag zu hören bekamen: „Fasst doch endlich den Kaktus an!“ Sie meinte: die Migration. Und bekam dafür Beifall im Saal.
Die SPD-Klausur trägt nun den Titel „Gemeinsam Wachsen“. Und weil die Assoziationen gerade so schön tanzen, kann man auch das als autosuggestive Botschaft sehen. Bei inzwischen sieben Prozent in den Umfragen ist ja, positiv formuliert, durchaus Wachstumspotenzial vorhanden. Im Gegensatz zur Wirtschaft, die laut Grießhammer in „Seitwärtsbewegung“ ist, zeigt der SPD-Trend allerdings nach unten. Mit mehr Profil in Migrationsfragen möchte der neue Fraktionschef dem Trend trotzen – und redet bei einer Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag erstmal Söders Entscheidung klein, mehr gemeinnützige Arbeit zu schaffen. Das sei „keine Neuerung, sondern bestehendes Recht“. Die SPD wolle, dass Migranten „in richtige Arbeit kommen“. Da müsse man schneller werden, sagt Grießhammer, genauso bei Asylverfahren und, ja, auch bei Abschiebungen.
Was die SPD noch fordert: mehr Tempo bei der Energiewende, beim Digitalen, längeres gemeinsames Lernen nach der Grundschule, alles sehr vertraut. Woran man denn nun sehe, dass Grießhammer die Fraktion stärker als bisher in die Mitte rücken wolle, fragt eine Reporterin. Da wirkt der neue Fraktionschef dann doch ein bisschen blank. Das sei „kein Prozess, der jetzt in ein paar Wochen abgeschlossen ist“, eher in Monaten, „vielleicht auch Jahren“, sagt Grießhammer. Anders als die Grünen hat die SPD offenbar noch Zeit, bis sich was dreht. Und in der Partei wabert ja durchaus die Sorge, dass Grießhammer die SPD-Fraktion über die Mitte hinausrücken könnte. Er selbst bestreitet das vehement, auch Landeschefin Ronja Endres betont den Schulterschluss mit Grießhammer. Die Frage, ob die Bayern-SPD den Ruck in die Mitte mitgehe, lässt sie dann aber doch recht offen stehen. „Das werden wir sehen“, sagt Endres. Für die SPD sei jetzt wichtig, sich um „die Leute“ zu kümmern.
Mehr um die Leute wollen sich ja auch die Grünen kümmern, „um die Leit“, wie Fraktionsvize Becher sagt, die Distanz zur Politik abbauen. Die Abgeordneten sollen mehr rausfahren, nicht nur zu den eigenen Ortsvereinen, auch zu Dorffesten, Vereinstreffen. Die AfD dürfe diese Räume nicht kapern, heißt es in der Fraktion. In einem Klausurpapier fordern die Grünen unter anderem ein „Verfassungstreuegesetz“, das sicherstellen soll, dass Staatsbedienstete nicht in ihrer „Freizeit gegen den Staat agitieren“, wie Becher sagt. Außerdem möchten die Grünen die Bürgerbeteiligung, die Söder nicht nur positiv sieht, stärken statt schwächen.
Die AfD gab sich bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Herbstklausur höchst zufrieden mit dem politischen Diskurs in Bayern und Deutschland. Der Wind in der Asyldebatte habe sich für jeden spürbar gedreht, sagte der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion, Richard Graupner. „Das sehen wir mit Freude.“ In Ansprachen von Ministerpräsident Söder will Graupner Versatzstücke von eigenen Reden wiedererkannt haben.
Das Monopol auf die härteste Asyl-Abschreckungspolitik will die AfD aber natürlich nicht aus der Hand geben. Am Donnerstag forderte sie deshalb für Kommunen die Möglichkeit den Notstand auszurufen, wenn sie sich von zu vielen Migranten überfordert fühlen. Überall würden Containerdörfer aus dem Boden gestampft, die Kommunen hätten kaum Möglichkeiten, ein Veto dagegen einzulegen.
Gleichzeitig sollen abgelehnte Asylbewerber möglichst effizient außer Landes geschafft werden, mit eigenen bayerischen Abschiebeflugzeugen, die der Freistaat anschaffen soll. Neuankömmlinge will man am besten direkt an der Grenze abweisen, ob sie nun das Wort Asyl sagen oder nicht. Dafür sollen Deutsche im Ausland umworben werden. „180 000 Deutsche verlassen jedes Jahr unser Land“, klagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner, viele davon hätten einen Hochschulabschluss. Ausgewanderte Bayern sollen deshalb mit Umzugshilfen und Förderkrediten zurück ins Land gelockt werden.