Baukultur in Bayern:Heimatpfleger starten Abstimmung über „Abriss des Jahres“

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Viele Zuschauer verfolgten am 16. August 2024 die Sprengung der Kühltürme des stillgelegten Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Nach nur 30 Sekunden war das Spektakel beendet. (Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago)

Kirchen, historische Gasthöfe, Wohn- und Handwerkerhäuser: Der Landesverein für Heimatpflege sammelt traurige Beispiele verlorener Baukultur. Auch auf der Liste: die Kühltürme eines stillgelegten AKW.

Was hätte da alles seinen künftigen Platz finden können: Eine Kletterhalle, eine Kneipe, ein Becken zum Tauchtraining, ein cooler Club. Doch die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld wurden im zu Ende gehenden Jahr gesprengt – zurückblieben Tonnen zertrümmerten Betons. Wie die Kühltürme verschwinden alljährlich historische Gebäude, die Städte und Landschaften geprägt haben.

Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege lässt die Öffentlichkeit nun erneut über den bedauernswertesten Abriss des Jahres abstimmen. Zur Wahl stehen zwölf Gebäude, die 2024 in Bayern abgerissen wurden – darunter eben die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks nahe dem unterfränkischen Schweinfurt. Die Abstimmung läuft vom 27. Dezember bis 9. Januar auf der Webseite des Vereins. Danach soll das Ergebnis verkündet werden.

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„Wir haben in Bayern so viele geniale Architektinnen und Architekten. Sie hätten bestimmt tolle Ideen, wie man zum Beispiel prägende Teile des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld neu, kreativ und sinnvoll nutzen kann und sie als Industriedenkmal und als geschichtliches Zeugnis eines vergehenden Energiezeitalters erhalten werden können“, sagt Geschäftsführer Rudolf Neumaier. „Allein für Kultur und Sport böten sich viele Möglichkeiten, man denke an Kletterhallen oder Clubs.“ Den Heimatpflegern gehe es darum, jeden Abriss zunächst infrage zu stellen und Vorhandenes sinnvoll zu nutzen.

Neben Grafenrheinfeld stehen aus Sicht des Vereins weitere Abrisse stellvertretend für den Umgang mit bayerischer Baukultur. In Planegg etwa fiel mit der Alten Schlosswirtschaft ein laut Verein historisches Gebäude aus dem 16./17. Jahrhundert. „Ein trauriges Muster-Beispiel für schmählichen Umgang mit einem Gebäude, das nicht nur das Ortsbild geprägt hat, sondern als Wirtshaus und somit als Zentrum sozialer Begegnung auch den Ort selbst“, kommentiert Neumaier. Auch die Wagnergasse in Landshut habe mit einem jahrhundertealten Handwerkerhaus mit Renaissancegiebel ein bedeutendes Stück ihres baulichen Erbes verloren.

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„Abriss ist immer die fantasieloseste Lösung. Und es ist pure Energieverschwendung, nämlich die Vernichtung von grauer Energie“, sagt Neumaier. Außerdem gehe Baukultur verloren, die „das Gesicht unserer Orte und unseres Landes ausmachen“, sagte Neumaier weiter. Der Bürgermeister von Grafenrheinfeld, Christian Keller (CSU), geboren 1979, kannte die Gemeinde gar nicht ohne die markanten Kühltürme des Atomkraftwerks – wie viele andere auch. Er sagte im Sommer zum Abriss: „Die Zwillinge waren für mich und sicherlich auch für viele Menschen aus der Region immer auch ein optischer Ankerpunkt.“ Für die spektakuläre Sprengung der rund 34 000 Tonnen Stahlbeton, Metalle und Kunststoffe waren 1340 elektronische Zünder und 260 Kilogramm Sprengstoff nötig, wie das Landratsamt Schweinfurt damals mitteilte. Es entstanden etwa 55 000 Tonnen Bauschutt, hauptsächlich Beton. Der Rückbau des AKW insgesamt soll bis 2040 dauern. Dann soll vom gesamten Standort nichts mehr zu sehen sein.

Die Aktion „Abriss des Jahres“ hatte der Landesverein 2022 ins Leben gerufen. Damals gewann die Radrennbahn in Nürnberg den Negativpreis, im vergangenen Jahr war es ein Fachwerkhaus in Bayreuth-Rödensdorf. „Politologen halten es für die derzeit wichtigste Aufgabe der Politik, bei den Menschen Heimatgefühle zu erzeugen“, sagt Neumaier. „Welche Rolle die Baukultur dabei spielt, unterschätzen viele Politiker gerade auf kommunaler Ebene.“

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