Bayern: Hausmeister unter Tatverdacht:Der Mord, der keiner war

Manfred G. wird vorgeworfen, eine Rentnerin in Rottach-Egern am Tegernsee auf den Kopf geschlagen und sie dann in einer Badewanne ertränkt zu haben. Er wird verurteilt - obwohl es kein Tatmotiv gibt. Schließlich hebt der BGH das Urteil auf, der Fall muss erneut verhandelt werden. Wiederum fordert die Anklage eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Wie die Staatsanwaltschaft München einem offensichtlich Unschuldigen ein Gewaltverbrechen andichten will.

Hans Holzhaider

Manfred G. hätte allen Grund, mit seinem Schicksal zu hadern. Seit fast drei Jahren sitzt er im Gefängnis, weil das Schwurgericht am Landgericht München II unter dem Vorsitz von Richter Ralph Alt ihn für schuldig hielt, die Rentnerin Lieselotte K. auf den Kopf geschlagen und sie anschließend in ihrer Badewanne ertränkt zuhaben. In diesen drei Jahren ist sein zweiter Sohn geboren und seine Mutter gestorben, weder bei der Geburt noch bei der Beerdigung durfte er dabei sein.

Dann hat der Bundesgerichtshof seine Verurteilung aufgehoben, und der Fall musste ein zweites Mal verhandelt werden, diesmal vor der 2. Großen Strafkammer unter der Vorsitzenden Richterin Petra Beckers, und wiederum fordert der Staatsanwalt Florian Gliwitzky eine Verurteilung wegen Mordes und lebenslange Haft.

Manfred G., aus Mecklenburg-Vorpommern stammend und von Natur aus ein unauffälliger, stiller, bescheiden und höflich auftretender Mann, hat das letzte Wort, ehe das Gericht sich zur Beratung zurückzieht. Er erhebt sich, schaut ein wenig unschlüssig und sagt dann: "Was soll ich noch sagen. Mich ärgern nur so Kleinigkeiten. Der Herr Staatsanwalt hat gesagt, mein Verhältnis zu der Frau K. könne doch nicht so gut gewesen sein, weil wir uns gesiezt hätten. Also, ich habe als Kind gelernt, ältere Menschen mit Sie anzureden." Und dann sagt Manfred G. noch: "Ich bin unschuldig."

Manfred G. ist 50 Jahre alt, Frau K. war 87 Jahre alt. Sie lebte allein in einer Wohnanlage in Rottach-Egern am Tegernsee; ihr Mann war vor einigen Jahren gestorben. Sie war etwas gebrechlich, nicht mehr gut auf den Beinen, aber geistig noch durchaus fit, und in ein Heim wollte sie unter keinen Umständen.

Bei allen praktischen Dingen des Lebens half ihr Manfred G., der Hausmeister der Wohnanlage. Er wusch ihre Wäsche, brachte den Müll raus und die Post rein, kaufte für sie ein, bereitete ihr das Frühstück, holte ihr Geld von der Bank und chauffierte sie zum Arzt. Sie war, kurz gesagt, vollständig auf Manfred G. angewiesen und revanchierte sich hin und wieder mit einem halbwegs großzügigen Trinkgeld.

Ein "Sie" als fragwürdiges Indiz

Am 23. Oktober 2008, früh um halb fünf, rief Frau K. bei Manfred G. an: Sie habe starken Durchfall, er solle den Hausarzt anrufen und gleich zu ihr kommen. Das tat er, der Arzt kam, ein Krankenwagen wurde gerufen. Um halb sieben kam, wie jeden Tag, die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes und zog Frau K. eine frische Hose an, weil die, die sie trug, vom Durchfall verschmutzt war. Dann wurde Frau K. ins Krankenhaus gebracht.

Fünf Tage später holte Manfred G. die alte Dame wieder ab und brachte sie nach Hause. Er kochte Kaffee, leistete ihr noch kurz Gesellschaft und verabschiedete sich dann, weil er seine kranke Mutter besuchen wollte. Es war 15 Uhr. Aus dem Auto rief er den Pflegedienst an, dass Frau K. wieder zu Hause sei.

Als die Pflegerin um 18.30 Uhr in die Wohnung kam, fand sie Lieselotte G. tot in der Badewanne liegend. Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass sie ertrunken war, am Hinterkopf fand der Gerichtsmediziner unter der unverletzten Kopfhaut zwei Einblutungen. Das erweckte beim Staatsanwalt den Verdacht, Frau K. könne eines gewaltsamen Todes gestorben sein, und alsbald wurde Manfred G. beschuldigt, er habe während Frau K.s Krankenhausaufenthalt Geld unterschlagen und sie getötet, um diese Tat zu vertuschen.

Dieser Verdacht wurde eindeutig widerlegt. Flugs zauberte der Staatsanwalt - es war auch damals schon Gliwitzky - ein neues Motiv aus dem Hut: Manfred G. habe sich geärgert, weil Frau G. ihn so herumkommandiert habe, deshalb habe er ihr in seinem Zorn irgendetwas auf den Kopf geschlagen und sie dann in der Badewanne ertränkt.

Weder im ersten noch im zweiten Prozess ergab sich irgendein Hinweis, der diese Behauptung stützen könnte - wenn man nicht, wie der Staatsanwalt, den Umstand, dass Manfred G. "Sie" zu Frau K. sagte, als Indiz für einen Streit mit tödlichem Ausgang werten will.

Als Manfred G. sich um 15 Uhr von Frau K. verabschiedete, war noch heller Tag. Als die Pflegerin kam, brannte in der ganzen Wohnung Licht. Als Manfred G. ging, war das Bett der Frau K. zugedeckt. Am Abend war es aufgedeckt, und im Bett lag eine offensichtlich gelesene Zeitung. Es war, wie die Polizei erst jetzt mit erheblichem Aufwand ermittelte, die Tageszeitung vom 23. Oktober, die Manfred G. mit in die Wohnung nahm, nachdem er Frau K. in den Krankenwagen begleitet hatte.

Akribische Beweisaufnahme - aber kein Beweis für die Mord-These

Als Frau K. aus dem Krankenhaus entlassen wurde, trug sie eine warme Jogginghose - die Außentemperatur betrug nur sechs Grad. Als sie tot in der Badewanne lag, trug sie eine dünne Schlafanzughose. Sie musste sich also umgezogen haben. Im ersten Urteil steht noch, die Tote habe eine Jogginghose getragen. Erst die 2. Strafkammer, mit vier Frauen und einem Mann besetzt, nahm die Hose in Augenschein.

Die Theorie der Verteidigung, Frau K. habe offensichtlich ihre verkotete Wäsche in der Badewanne einweichen wollen, habe dabei einen Schwächeanfall erlitten und sei in die Wanne gestürzt, wischte Staatsanwalt Gliwitzky beiseite: Nirgends in der Wohnung habe es verkotete Wäsche gegeben. Aber die Krankenschwester sagte aus, sie habe die kotbeschmutzte Wäsche in eine braune Plastiktüte gepackt und Frau K. mit nach Hause gegeben.

Auf den Polizeifotos ist eine ebensolche Tüte zu sehen, sie steht im Flur neben einem gefüllten Wäschekorb. Aber niemand hat hineingeschaut, und drei Monate später wurde sie ungeöffnet entsorgt.

Die Annahme des Gerichts im ersten Prozess, bei einem Sturz in die Badewanne könne Frau K. niemals in die Position gelangt sein, in der sie aufgefunden wurde, erwies sich als gänzlich unhaltbar. Sachverständige erklärten unmissverständlich, dass dies durchaus möglich, keinesfalls aber auszuschließen sei. Die Hämatome am Kopf konnte sich Frau K. auf vielerlei Weise, nicht zuletzt durch den Sturz in die Wanne zugezogen haben.

Es blieb also, nach der äußerst sorgfältigen, geradezu akribischen Beweisaufnahme durch die Richterinnen und Schöffen der 2. Strafkammer, buchstäblich nichts, was als Indiz, geschweige denn als Beweis für die These dienen könnte, Manfred G. habe die Rentnerin Lieselotte K. ermordet. Es kam auch nicht ansatzweise irgendein Motiv zutage, das den hilfreichen Herrn G. veranlasst haben könnte, Frau K. zu töten

Der Staatsanwalt Gliwitzky indes, unbeirrt und unbeirrbar, forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes.

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