Süddeutsche Zeitung

Justiz in Bayern:So geht Bayerns Justiz gegen Hass im Internet vor

Die Zahl der Hate-Speech-Ermittlungen ist im Freistaat erneut gestiegen. Vor allem fremdenfeindliche und antisemitische Inhalte überschwemmen das Netz. Die Justiz gibt sich bei der Verfolgung dieser Straftaten kompromisslos.

Von Thomas Balbierer

Zwei Polizisten sind tot, erschossen bei einer zufälligen Fahrzeugkontrolle im rheinland-pfälzischen Kusel. Um zu vertuschen, dass er und ein Komplize zuvor Wildtiere illegal gejagt und getötet hatten, feuerte ein 38-Jähriger am frühen Morgen des 31. Januar 2022 mit einer Schrotflinte und einem Jagdgewehr mehrmals auf eine junge Polizeianwärterin und einen Oberkommissar. Er traf beide am Kopf, sie überlebten den Schusswechsel nicht. Der Doppelmord von Kusel löste öffentliches Entsetzen aus, das Motiv der blutigen Tat war kaum zu begreifen. Doch neben Anteilnahme und Bestürzung machte sich im Internet bald auch eine ganz andere Stimmung breit: Hass. "Das geschieht denen recht!!!!!!!!Voll geil", schrieb ein Nutzer aus Bayern auf Facebook und fügte sieben Tränen lachende Smileys hinzu. Ein anderer kommentierte: "zwei grüne weniger was soll's".

Es ist nur ein winziger Ausschnitt aus einer Gedankenwelt, die von brutaler Rohheit zeugt. Die Posts sind am Donnerstag in einer Präsentation der Münchner Staatsanwältin Teresa Ott zu sehen. Die sogenannte Hate-Speech-Beauftragte der bayerischen Justiz zeigte diese und weitere Beispiele von Hass im Internet, um deutlich zu machen: Wer sich menschenverachtend, gewaltverherrlichend oder hetzerisch äußert, muss mit Strafen rechnen - auch im digitalen Raum. Die Urheber der Facebook-Posts seien juristisch verfolgt worden.

Und nicht nur sie. In insgesamt 2435 Fällen von Hasskriminalität im Internet ist Bayerns Justiz im vergangenen Jahr tätig geworden, wie aus einer am Donnerstag von Staatsminister Georg Eisenreich (CSU) präsentierten Bilanz hervorgeht. In den meisten Fällen (401) geht es um fremdenfeindliche Inhalte. "Hass und Hetze halten sich im Internet auf erschreckend hohem Niveau", konstatierte Eisenreich. Im Vorjahr lag die Zahl der Ermittlungsverfahren bei 2317. Doch die Statistik bildet wohl nur einen Bruchteil der tatsächlich kursierenden strafrechtlich relevanten Darstellungen ab. Wie die Hate-Speech-Beauftragte Ott sagte, sei das "Dunkelfeld sehr hoch", zu wenige Fälle würden überhaupt angezeigt. Und auch die angezeigten bleiben häufig ohne Konsequenzen: 840 Ermittlungen musste die Justiz im vergangenen Jahr einstellen - weil beispielsweise kein Täter zu ermitteln war.

Was bei der Bilanz heraussticht: Die rasant gestiegene Zahl der Verfahren, in denen ein antisemitischer Hintergrund eine Rolle spielt. Sie ist im Vergleich zu 2021 um 78 Prozent auf 387 angewachsen - was vor allem an Verschwörungserzählungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie liegt, die wild auf Facebook, Telegram und Co. wuchern.

Mit dem Krieg in der Ukraine habe der Hass einen "zusätzlichen Nährboden" bekommen

Die leise Hoffnung, dass die Verrohung im Netz nach dem Wegfall vieler Corona-Einschränkungen nachlasse, habe sich nicht erfüllt. Mit dem Krieg in der Ukraine habe der Hass stattdessen einen "zusätzlichen Nährboden" bekommen, so Justizminister Eisenreich. Er sieht in der Vergiftung des Meinungsklimas eine "Gefahr für die Demokratie". Deshalb hat er die Strafverfolgung auf mehreren Ebenen forciert.

Zum einen soll es für jede Bürgerin und jeden Bürger möglichst einfach sein, verdächtige Posts oder Nachrichten zu melden. Seit vergangenem Juli können Betroffene auf einer Plattform namens "Respect!" Fälle unbürokratisch anzeigen und sich beraten lassen. Fast 1300 Mal wurde das Angebot im ersten halben Jahr genutzt. Zudem gibt es eigene Meldewege für Kommunalpolitiker und Abgeordnete, für Betroffene von Antisemitismus, für queere Menschen und für Medienhäuser.

Außerdem hat Eisenreich im Jahr 2020 Sonderdezernate bei den 22 bayerischen Staatsanwaltschaften geschaffen und einen Beauftragten installiert, der die Verfolgung von Hate Speech zentral koordinieren soll. Seit dem Herbst hat dieses Amt die Münchner Staatsanwältin Teresa Ott inne. Ihre Botschaft am Donnerstag lautete, dass der Staat bei Hassbotschaften im Netz keinen Spaß verstehe - egal, ob ein 15-jähriger Schüler leichtfertig ein Hitler-Bild in der Whatsapp-Gruppe teile oder ein 80-Jähriger per E-Mail gegen Flüchtlinge hetze.

Die bislang höchste Strafe für Hate Speech bekam im vergangenen Jahr ein Mann aus Nordbayern. Er hatte unter falschem Namen zahlreiche Mails an Politikerinnen und Parteien gesendet, in denen er Geflüchtete als "Ungeziefer" und Empfängerinnen als "dreckige Flüchtlingshure" bezeichnet hatte. Am Ende verurteilte ihn die Justiz zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten.

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