Süddeutsche Zeitung

Fehlendes Unterrichtsmaterial:Schulbücher? Dauert noch

Das neunjährige Gymnasium läuft schon seit ein paar Jahren wieder. Doch in vielen neunten Klassen fehlen Lehrbücher. Einige von ihnen sind noch nicht einmal auf dem Markt erhältlich. Wie kann das sein?

Von Gregor Grosse

Man stelle sich vor, nach monatelangem Homeschooling beginnt endlich wieder der Präsenzunterricht - und dann gibt es keine Schulbücher. Sei es für den Chemie-, Physik- oder Geschichtsunterricht. Was sich anhört wie ein blöder Witz, ist in Bayern teilweise Realität. An mehreren Gymnasien fehlen die Lehrbücher. Betroffen sind vor allem die neunten Jahrgangsstufen. In einigen Fällen fehlt das Material auch beim Französisch-, Latein- oder Informatikunterricht.

Hintergrund des Mangels ist die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G 9), das zwar schon seit dem Schuljahr 2018/2019 wieder die Regel ist, das Kultusministerium und die Schulen aber weiterhin vor Probleme stellt. Denn mit der Lehrplan-Umstellung mussten neue Bücher her. Das entsprechende Zulassungsverfahren aber ist kompliziert und langwierig. Die entsprechenden Werke müssen auf ihre fachliche Qualität und Übereinstimmung mit den Lehrplänen überprüft werden. So soll nach den Worten des Kultusministeriums "Werbefreiheit, Ausgewogenheit sowie fachliche und inhaltliche Korrektheit" gewährleistet werden.

"Das ist schon eine schwierige Situation gerade", sagt ein Schulleiter

Nun ist der erste G-9-Jahrgang in die neunte Klasse eingetreten, und viele Klassen stehen ohne Schulbücher da. "Das ist schon eine schwierige Situation gerade", sagt Christian Kramer, Schulleiter des Graf-Münster-Gymnasiums in Bayreuth. Bei den Kernfächern gebe es zwar keine Probleme. Aber in anderen Fächern seien noch nicht alle Bücher erhältlich, "da die Zulassungsverfahren oft noch nicht zu Ende gebracht worden sind". Das könne sich bis tief in den Herbst hineinziehen. Auch in den vergangenen Jahren sei das immer mal wieder vorgekommen, erzählt Kramer. Problematisch sei das aber in Verbindung mit dem neuen Lehrplan. "Da kann man als Lehrer jetzt nicht unbedingt sagen: Ich weiß genau, was ich machen soll und auf was ich sonst zurückgreife", erklärt der Schuldirektor.

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) zeigt sich empört über die derzeitige Situation. "Für die Schulen und die Schülerinnen und Schüler ist dies nicht hinnehmbar", schimpft BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann, "seit Jahren ist der Lehrplan der neunten Klasse am Gymnasium veröffentlicht. Auch der Termin des ersten Schultages dürfte den Verantwortlichen bekannt gewesen sein. Verlage und Ministerium hätten genügend Zeit gehabt, die Bücher zu entwerfen, zu genehmigen und in Druck zu bringen." Dagegen lobt Fleischmann jene Schulen, die nun in Eigeninitiative versuchten, Schulbücher des G 8 und anderes Material zusammenzustellen, "um die schulbuchlose Zeit zu überbrücken".

Dazu kommt, dass einige bereits zugelassene Bücher noch nicht auf dem Markt erhältlich sind. Die Geschichtsbücher für die neunten Klassen vom Cornelsen Verlag und vom Westermann Verlag zum Beispiel erscheinen "voraussichtlich im September". Bis dato können sie nur vorbestellt werden. Das gleiche gilt für das Chemiebuch von Cornelsen, das erst im Oktober erhältlich sein soll. Der Cornelsen Verlag räumt Verspätungen "in den genannten Einzelfällen" ein. Man habe die "mit uns in Kontakt stehenden Schulen darüber informiert und proaktiv im Vorfeld mit gleichen digitalen Schulbuchausgaben versorgt", teilt eine Sprecherin auf SZ-Nachfrage mit. Der Prozess, den Schulbücher bis zur Zulassung und zum Druck durchlaufen, sei komplex. "Dass die Verzögerungen hier ausgerechnet die gleiche Klassenstufe im Gymnasium Bayern betroffen haben, ist sehr unglücklich", sagt die Sprecherin. Der Westermann Verlag hat sich noch nicht zu den Verzögerungen geäußert.

Bayerischer Philologenverband kritisiert den Zustand zum Schulstart

Für die neunten Klassen sind in der katholischen Religionslehre noch gar keine Bücher zugelassen. Neben der staatlichen müssen sie auch einer kirchlichen Prüfung standhalten. Auch der Bayerische Philologenverband kritisiert den Zustand zum Schulstart. "Es kann nicht sein, dass die Schulen in den Ferien palettenweise Corona-Selbsttests angeliefert bekommen, bei Lehrwerken vielfach aber leer ausgehen", sagt Philologenchef Michael Schwägerl, "wir fordern daher eine Klärung und verlässliche Aussagen vonseiten des Kultusministeriums."

Das Kultusministerium erklärt auf SZ-Nachfrage, dass 29 Schulbücher von den Verlagen "finalisiert" werden müssten. Minister Michael Piazolo (FW) sprach am Dienstag von "Einzelfällen, die jedes Jahr vorkommen". Angaben dazu, wann die Schulen mit Büchern rechnen können, machte das Ministerium nicht.

Ein Rundruf bei bayerischen Gymnasien zeigt, dass tatsächlich nicht alle mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Es hängt auch davon ab, für welches Buch sich die Schulen entscheiden. Im schlechtesten Fall ist es eben noch nicht oder zu spät zugelassen worden. Dann nützt es auch nichts, wenn es für das Fach auch von einem anderen Verlag ein Schulbuch gäbe. Ein bisschen wie bei einer Lotterie - nur um Bildung. Der Cornelsen Verlag will den Schulen, die das falsche Los gezogen haben, entgegenkommen: "Wir bedauern dies sehr und stehen gerne für einen Austausch mit den Schulen zu Verfügung, die wir noch nicht erreichen konnten", sagt die Sprecherin. Betroffene Schulen können sich per Mail an den Verlag wenden: service@cornelsen.de.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2021
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