Landtagswahl:Bayerns Grüne wollen mitregieren

Landtagswahl: Grüne mit Regierungsanspruch, von links: Landesvorsitzender Thomas von Sarnowski, das Spitzenkandidaten-Duo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sowie die Co-Landeschefin Eva Lettenbauer.

Grüne mit Regierungsanspruch, von links: Landesvorsitzender Thomas von Sarnowski, das Spitzenkandidaten-Duo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sowie die Co-Landeschefin Eva Lettenbauer.

(Foto: Lukas Barth/dpa)

Die Partei legt ein Programm vor, das die Distanz zur CSU deutlich macht. Dennoch gibt es wohl nur eine Machtoption für die Grünen - um die ist es trotz guter Umfragewerte aber schlecht bestellt.

Von Johann Osel

Der Countdown bis zur Landtagswahl läuft sichtbar auch für alle Besucher der grünen Parteizentrale in München. 202 Tage, sechs Stunden, 55 Minuten und 51 Sekunden lautet die Anzeige, als am Montag die Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann mit den Landesvorsitzenden Eva Lettenbauer und Thomas von Sarnowski den Konferenzraum betreten.

Stand jetzt, mit Blick auf Umfragen, wäre das Szenario im Oktober ja so: Die Grünen schaffen ein achtbares Ergebnis wie 2018, etwas unterhalb der 20-Prozent-Marke, und werden zweitstärkste Kraft; aber fernab jeder Machtperspektive, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) regiert mit den Freien Wähler komfortabel weiter. Dass sich das bis zum Oktober ändert, wollen die Grünen mit ihrem Wahlprogramm erreichen. "Der Treibstoff für unseren Wahlkampfmotor", sagt Katharina Schulze bei der Vorstellung des Entwurfs. Die 85 Seiten formulieren den Anspruch im Titel: "Regierungsprogramm".

Auf die Genese des Programmentwurfs, dem im Mai noch ein Landesparteitag in Erlangen zustimmen muss, ist das grüne Führungsquartett mächtig stolz: Fast ein Jahr habe der Beteiligungsprozess gedauert, in dem sich mehr als 1000 Mitglieder eingebracht hätten, dazu Bürgerinnen und Bürger, Experten wie Handwerker, Gründerinnen oder Sozialarbeiter. "Kein Programm von drei Parteifunktionären im Hinterzimmer", meint Schulze. Landeschef Sarnowski klingt bei seinem Lobpreis gar wie in der Kinderschokolade-Werbung. Das Programm beinhalte "frische Ideen, gute Lösungen - und eine Extraportion Nachhaltigkeit".

In besagter Reklame ließ sich darüber streiten, wie groß die Extraportion Milch am Ende ausfällt. Durchs grüne Programm zieht sich die ökologische DNA der Partei tatsächlich ganz klar. Das Wort Klima findet 141 Mal Erwähnung, die Natur 56 Mal. Klimakrise, Wasserkrise, Bodenkrise führt Ludwig Hartmann auf, das alles "schreit" nach einer anderen Politik.

Die Partei will einen "Wassercent" und "Luxus-Straßenbau in Bayern beenden"

Die Grünen wollen unter anderem einen "Wassercent" zur Entnahme der Ressource einführen, um der Industrie endlich einen "Anreiz zum sparsamen Umgang" zu geben. Erneuerbare Energien, Schienen-Ausbau, dafür "Luxus-Straßenbau in Bayern beenden", Bio-Essen in staatlichen Kantinen, Maßnahmen gegen Flächenfraß, "eine Politik, die denkt, bevor der Bagger kommt" - all dies, so Hartmann, sei hier in Bayern machbar, sei nichts, wo man die Verantwortung auf Berlin oder Brüssel schieben könne. Die Partei fordert einen "Klima-Check" für alle Gesetze im Freistaat. Und sogar eine Lockerung der Schuldenbremse in der bayerischen Verfassung - für eine "begrenzte Kreditaufnahme" bei Zukunftsinvestitionen wie für klimafreundliche Mobilität oder Energieversorgung.

Weitere "Highlights", wie es Schulze nennt: Wahlalter 16 Jahre, eine landeseigene Antidiskriminierungsstelle. Das Polizeiaufgabengesetz soll reformiert, die bayerische Grenzpolizei abgeschafft werden. Kinder und Jugendliche müsse man "aus dem toten Winkel der Gesellschaft holen". Beispiel im Kleinen: Es könne nicht sein, dass Kinder nach der Grundschule nicht schwimmen können. Abhilfe bieten soll da: kommunale Bäder sanieren, Lehrkräfte fortbilden, klüger mit Vereinen kooperieren.

Und die Migration? Seit Wochen geistert ein "Memorandum für eine andere Migrationspolitik in Deutschland" durch die Partei, auch in Bayern. Das Papier fordert Ordnung und Steuerung, auch mehr Abschiebungen. Und dass sich die Grünen ehrlich machen sollen bei dem Thema und Probleme der Zuwanderung nicht tabuisieren dürften. Abschied vom "Multikulti-Idealismus", sagt manch Unterzeichner dazu. Im Programmentwurf, für den Mitglieder nun Änderungsanträge stellen können, scheint sich diese Debatte nicht zu spiegeln: Die gut zwei Seiten, zwischen Frauenhäusern und Queer-Politik platziert, bringen zum Ausdruck: Migration sei quasi nur eine Frage des Managements. Kein Anlass für Kurskorrekturen.

Migration sei eine "produktive Kraft" angesichts der alternden Gesellschaft, sagt Schulze. Hauptproblem sei: Die CSU habe in Staatsregierung und großer Koalition im Bund ignoriert, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Daher fehlten nun "leistungsfähige Strukturen". Das Programm sei abgestimmt mit Grünen in den Kommunen. Es fordert etwa die Auflösung der sogenannten Ankerzentren - Sammelunterkünfte, die Abschiebungen schon im Namen tragen. Flüchtlinge sollen stattdessen dezentral untergebracht werden.

Bliebe noch der Regierungsanspruch. Die Grünen kämpfen bekanntlich dafür, "so stark zu werden, dass niemand an uns vorbeikommt", Hartmann hatte das im Januar bei einer Fraktionsklausur konkretisiert: "20 Prozent plus ein sehr, sehr dickes X." Bei der Schwäche des Ampel-Lagers zeigt sich derzeit keine andere Machtoption, als dass sich Söder seine Absage an Schwarz-Grün noch mal überlegen müsste. Grüne in einer Staatsregierung, "die für ein Weiter-so steht", werde es aber garantiert nicht geben, beteuert Hartmann am Montag auf Nachfrage. Das gebundene Programm hat übrigens ein grünes Deckblatt, samt Sonnenblümchen. Und wird von schwarzer Pappe und Bindung zusammengehalten.

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