Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Die Grünen wollen mitregieren im Freistaat, aber wie?

Ministerpräsident Söder will an seiner Koalition mit den Freien Wählern festhalten - und nach einer Mehrheit für eine Ampel sieht es zurzeit nicht aus. Womit die Grünen im Wahlkampf punkten wollen.

Von Johann Osel

Noch 271 Tage, sechs Stunden, 53 Minuten und 41 Sekunden. Exakt das zeigt der Countdown an, als das Spitzen-Quartett der bayerischen Grünen den Konferenzsaal in ihrer Parteizentrale betritt. Es ist der Auftakt-Pressetermin für das Wahljahr, und die bis zum 8. Oktober ablaufende Uhr haben sie im Raum platziert; vielleicht als Motivation der eigenen Leute, vielleicht auch als PR-Gag.

Jedenfalls lassen die Spitzenkandidaten - die Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann - sowie die Parteichefs Eva Lettenbauer und Thomas von Sarnowski keinen Zweifel daran, was ihrer Ansicht nach die Wahl in knapp zehn Monaten bringen soll: einen Regierungswechsel, die Partei wolle "Verantwortung" übernehmen. Und doch stellen sich viele im politischen München eine Frage: Wie genau soll das bitte gelingen?

Die Grünen sind zweitstärkste Kraft hinter der CSU, Oppositionsführerin im Landtag und Koalitionär im Bund, jüngste Umfragen für Bayern zeigten ein Ergebnis von 18 Prozent (in etwa der Wert von 2018) - das alles rechtfertigt den Regierungswunsch im Freistaat, den Tatendrang. Allerdings: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat zuletzt mehrmals klar gemacht, dass er nach Oktober mit den Freien Wählern weiterregieren will und ein schwarz-grünes Bündnis sogar ausschließe - wohl auch, um im Wahlkampf die Grünen als Feindbild und Gegner zu inszenieren.

Das Ampellager dagegen schwächelt, in Umfragen kommen Grüne und SPD zusammen derzeit auf nur 27 Prozent, die FDP würde den Einzug in den Landtag verpassen. Nicht ohne Grund hört man das A-Wort, die Forderung nach einer Bayern-Ampel also, so gut wie nie aus dem Munde bayerischer Grüner. Und noch dazu gelten die Liberalen sicher nicht als fest eingebuchter Partner, um als Dreierbündnis Wahlkampf zu machen: FDP-Chef Martin Hagen will sich dezidiert nicht in einem Ampellager verorten lassen, will offenbar das konservativere Wählerpotenzial seiner Partei nicht vergrätzen.

Kurzum klingt das nach einem Dilemma, weil die Grünen-Wähler doch eine Machtoption aufgezeigt bekommen müssten. Was nun, was tun? Es gebe, sagt Schulze auf die Frage und mit Blick zum Countdown neben ihr, jetzt 271 Tage für den "Wettstreit der besten Ideen". Dabei setze man auf "Grün pur" und wolle "so stark werden, dass niemand an uns vorbeikommt". Es sei aber "sehr falsch", Konstellationen von Vornherein auszuschließen, Demokraten müssten schließlich immer miteinander reden, sagte Schulze direkt an Markus Söder adressiert. Co-Fraktionschef Hartmann wittert "die Arroganz der Macht" - weil "Söder faktisch jetzt schon so tut, als hätten die Bürgerinnen und Bürger bereits gewählt". Zudem, ergänzt er, sei die Staatsregierung derzeit quasi eine "CSU-Alleinregierung, die keiner möchte", die Freien Wähler nur "Beiwerk". Heißt wohl: Mit den Grünen wäre das anders. Abgehakt scheint Schwarz-Grün für sie nicht zu sein.

"Grün wirkt", sagt Lettenbauer am Dienstag und zieht unter anderem bei der Energiepolitik eine positive Bilanz der Bundesregierung, während Söders Regierung nur "einen Berg unerledigter Aufgaben" vorzuweisen habe. Positives vermeldet Sarnowski bei der Parteientwicklung. Seit der Landtagswahl 2018 haben die bayerischen Grünen demnach ihre Mitgliederzahl mehr als verdoppelt, auf aktuell 19 775 Personen (Frauenanteil 42 Prozent). Und die sind jung: Mehr als die Hälfte der neuen Mitglieder im vergangenen Jahr war jünger als 40 Jahre. Dies sei "unglaublich viel Power, mit der wir in dieses Wahljahr starten", sagt der Landeschef.

Die Zahl der Ortsverbände, 549, ist binnen fünf Jahren sogar um 150 Prozent gestiegen. Laut Sarnowski bedeute das Präsenz in der Fläche und mehr Möglichkeiten für einen starken Wahlkampf. Man weiß offenbar um die Schwächen in ländlichen Regionen. Etwa bei der Bundestagswahl 2021 blieben einige Regionen grüne Diaspora, beispielhaft die Wahlkreise Deggendorf (6,7 Prozent), Schwandorf (6,4) oder Rottal-Inn (7,1). Im Wahlkampf engagieren die Grünen übrigens einen Strategieberater aus Österreich, der die dortige Kampagne für den grünen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen erarbeitet hatte.

Zum Auftakt ins Wahljahr stellen die Grünen einen "Kinder-Kickstart" vor, im Wahlkampf will man mit diesem Thema punkten. "Kinder raus aus dem toten Winkel der Politik, Familien ins Zentrum", gibt Schulze als Motto vor. So fordert die Partei etwa ein Investitionsprogramm für Kita-Fachkräfte oder eine Stärkung der Ganztagsbetreuung an Grundschulen. Und einen "50/50-Bonus" - wenn beide Partner 50 Prozent einer Elternzeit nehmen, solle die Familie 3000 Euro Prämie erhalten, einkommensunabhängig; denn nur jeder zehnte Vater nehme derzeit mehr als zwei Monate in Anspruch.

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