Süddeutsche Zeitung

Parteitag in Bayern:Jüngstes Grünen-Duo will an die Macht

Die bayerischen Grünen wählen Thomas von Sarnowski zum neuen Landesvorsitzenden neben Eva Lettenbauer. Mit dem Anspruch aufs Kanzleramt und ohne parteiinternen Streit will die Klimapartei im Wahlkampf punkten. Auch Robert Habeck ist zu Gast.

Von Johann Osel, Augsburg

Mit einem neuen Landesvorsitzenden und dem Anspruch aufs Kanzleramt gehen die bayerischen Grünen in den Bundestagswahlkampf. Bei einem Parteitag am Wochenende in Augsburg, größtenteils digital, wurde Thomas von Sarnowski an die Spitze gewählt. Er folgt auf Eike Hallitzky, der nach sechseinhalb Jahren nicht mehr antrat, und führt die Grünen im Freistaat künftig zusammen mit der Landtagsabgeordneten Eva Lettenbauer. Sarnowski, der 87,9 Prozent der Delegiertenstimmen erhielt, versprach, "jetzt an einer neuen, nachhaltigen, bunten Gesellschaft zu bauen".

Per Video zugeschaltet wurde der Bundesvorsitzende Robert Habeck - es dürfte einer seiner letzten Auftritte gewesen sein, bevor am Montag die Frage der Kanzlerkandidatur zwischen Annalena Baerbock und ihm entschieden werden soll.

Thomas von Sarnowski, 33, ist ein grünes Gewächs, wenn man es so nennen will. Als Jugendlicher war er 2003 im Landkreis Ebersberg zur grünen Jugend gekommen, aus Ärger über ein Verkehrsprojekt, "ganz konkretes Erleben von Politik vor Ort". Als er damals in die Politik hineinschnupperte, regierte zudem die CSU unter Edmund Stoiber mit Zwei-Drittel-Mehrheit - auch das, dieser Machtblock, sei für ihn ein Antrieb gewesen. Dass Lokalpolitik wirke, erwähnte Sarnowski nun in seiner Bewerbung - das hätten zuletzt ein Straßenneubau bei ihm im Kreis und das Schicksal einer 300 Jahre alten Eiche gezeigt. Die sollte weichen, doch Protest wirkte. Wenn er jetzt daran vorbei radele, "steht die Eiche da, wo sie immer stand", die Straße mache einen Bogen. "Das freut mich narrisch."

Schwerpunkt der Rede war die Umwelt- und Klimapolitik. Sarnowski sprach unter anderem von "ausufernden, ewig tristen Gewerbegebieten" in Bayern, schmelzenden Gletschern wie auf der Zugspitze, Defiziten bei Rad-, Bahn- und Nahverkehr und einer Fokussierung aufs Auto. Konsequenter Klimaschutz sei nötig - "nicht irgendwann, sondern jetzt". Das Ziel müsse daher eine grün geführte Regierung sein, "in uns allen steckt die Ungeduld. Die Zeit ist da fürs Machen". In der Corona-Politik warf Sarnowski Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor, durch "Gegockel" und Zaudern im Handeln das Land zu gefährden: "Söder lässt uns im Stich und lähmt das ganze Land." So würden etwa auch Hilferufe aus den Intensivstationen "verhallen".

Ähnlich wie wohl die K-Frage lösten die bayerischen Grünen ihre Vorsitzfrage mit enormer Disziplin und nach außen hin ohne Streit - obwohl aus der Vergangenheit bekannt ist, dass bei den Grünen sehr wohl die Fetzen fliegen können. Lange war Sarnowski der einzige Kandidat, kürzlich kam Hans Jürgen "Hajü" Hödl aus Perlesreut im Bayerischen Wald dazu. Er sitze dort als einziger Grüner im Gemeinderat und warne davor, dass sich im Land und auch in seiner Region "rechts ein bedrohlicher Mob gebildet" habe, sagte er. Den gelte es durch politische Bildung zu bekämpfen.

Ein weiterer Fokus von Hödl ist die Queer-Politik, er argumentierte, dass ein schwuler Landesvorsitzender auch ein Signal sein könne. Das Ergebnis für den überregional eher unbekannten Hödl war achtbar. Sarnowski, ebenfalls Kommunalpolitiker, war als Bezirksgeschäftsführer der oberbayerischen Grünen schon bekannter.

Dass beide Bewerber aus der Kommunalpolitik kommen, ist indes nicht verwunderlich. Als Überbleibsel der grünen Trennung von Amt und Mandat ist noch die Regel erhalten, dass nur eine Person aus dem Führungsduo in Landtag oder Bundestag sitzen darf. Das ist bei Sarnowskis Co-Chefin Lettenbauer, 28, der Fall. Nun bilden die beiden das jüngste Vorsitzduo in der Geschichte der bayerischen Grünen. Es ist aber auch ein symptomatischer Fingerzeig: Die Kommunalwahl vergangenes Jahr hat den Grünen in Bayern starke Zuwächse gebracht, vor allem in Städten.

Dort dürfte mancherorts allmählich auch ein Maximum im Wählerpotenzial erreicht sein, auf dem Land gibt es trotz Erfolgen und einem Boom an neuen Ortsvereinen aber noch einige weiße Flecken. Sarnowski will daran arbeiten, es gehe ihm darum, die Mitglieder an der Basis zu "ermutigen und zu befähigen". Sein Ansatz: Wenn in Orten, auch in kleinen Gemeinden, eine Grundstruktur da sei, eine "Keimzelle", dann könne sich das schnell verstärken: neue Mitglieder und auch Wähler würden begeistert, glaubt er, "dann geht's los und dann kann auch richtig viel gehen".

Auf Erinnerungen an den Kommunalwahlkampf kam auch Robert Habeck zu sprechen. Die "Leidenschaft, die Energie, das Wollen" müsse man auch bei der Bundestagswahl "wieder auf die Straße bringen". Habeck sagte, dass die Corona-Politik der Bundesregierung und der Ministerpräsidentenkonferenz (diese gleichwohl mit grüner Beteiligung) das "Vertrauen in die demokratische Leistungsfähigkeit" gefährdeten. Hier sei "Schadenfreude" aber unangebracht, weil diese Defizite auch das Handeln in der "größten Menschheitskrise" beträfen - den Klimawandel.

Habeck spannte den Bogen zu den Herausforderungen, gesellschaftlich und bei der Transformation der Wirtschaft. Was auf keinen Fall eintreten dürfe sei eine Ansage der Art: "Jeder ist seines Glückes Schmied und wer damit nicht klar kommt, hat versagt." Habeck warb unter anderem für die Abschaffung von Hartz IV und für eine "neue politische Idee" für die Gesellschaft. Über die K-Frage bei den Grünen: kein Wort, auch keine Anspielung. Nur so viel: Die Grünen kämpften für die Macht, aber ohne dass Macht als "Selbstzweck" gesehen werde. Unzweideutig ein Seitenhieb auf die Union. Auch Landeschefin Lettenbauer machte grüne Ambitionen auf "Platz eins" klar. Der scheidende Hallitzky kündigte zum anstehenden Wahlkampf an: Da "werfen wir alles rein. Denn alles ist drin."

Der Parteitag wählte außerdem die bayerische Bundestagsliste. Fast 60 Grüne bewarben sich, darunter viele neue Gesichter. Die Partei setzt an der Spitze auf das bewährte Duo aus Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und dem Chef der Bundestagsfraktion, Toni Hofreiter. Roth rief dazu auf, "den Wahlkampf unseres Lebens" zu machen. "Es geht um verdammt viel."

Derzeit sitzen elf Grünen-Abgeordnete aus Bayern im Bundestag. Nach aktuellen Umfragewerten - die Meinungsforscher sehen die Grünen auf Bundesebene derzeit jenseits der 20-Prozent-Marke - würde ein Listenplatz um 25 im Freistaat noch für den Einzug reichen. Dann wäre mit der Nürnbergerin Tessa Ganserer, 43, auch eine Transsexuelle im deutschen Parlament - die Delegierten wählten die Landtagsabgeordnete auf den aussichtsreichen Platz 13 der Liste.

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