Also doch kein Wohnzimmer mit gemütlicher Couch, alten Tapeten und viel Nippes drumherum. Als die Grünen-Fraktion angekündigt hatte, ihre Winterklausur nicht im Landtag abzuhalten, sondern im Münchner Veranstaltungssaal Ampere, hatte mancher das erwartet: Dass die Landtagsgrünen sich an die Kulisse anlehnen, die Robert Habeck und Annalena Baerbock beim digitalen Bundespartei wählten. Cool und etwas bürgerlich sollte das damals wohl sein, was viele prompt als schwarz-grünes Indiz werteten.
Bei der Grünen-Fraktion, die am Freitag zum Klausurabschluss lädt, ist es nur cool. Die Tanzhalle mit ihrem Industriecharme, Bilder und Slogans im Comicstyle auf dem Podium, Scheinwerfer mit Grünblende bestrahlen die beiden Fraktionschefs Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, eine Discokugel tut kreisend ihren Dienst. Nun, die hängt vermutlich immer da. Doch wie ist es mit dem Bürgerlichen?
Das ist tatsächlich die Frage, wann immer man derzeit auf Grüne trifft. Der Elefant im Raum, auch im Ampere. Oder passender: eine unübersehbare Population geschützter Juchtenkäfer, Haselmäuse oder Mauereidechsen. Die Grünen haben einen Lauf, 19 Prozent in der Sonntagsfrage ergab der jüngste BR-Bayerntrend, nur ein kleines Minus in Krisenzeiten, von denen in der Regel Regierungen profitieren. Klimaschutz gilt Bayerns Bürgern als drittwichtigstes Thema hinter Corona und Bildung, es hat die Migration überholt. "Und das trotz Corona-Jahr", betont Hartmann. Dass die CSU und Ministerpräsident Markus Söder auch dieses Thema besetzen, ist aber nicht die einzige Annäherung zwischen Schwarz und Grün.
In der Pandemie zeigten sich die Grünen als Musterknabe der Opposition, haben alle Regierungsbeschlüsse mitgetragen oder sich höchstens enthalten. Neulich im Plenum gab sich Hartmann derart staatstragend, dass der Einwurf von AfD-Mann Gerd Mannes, er sehe ein "Kuscheln", allgemeine Heiterkeit auslöste. Der Grünen-Fraktionschef und sein CSU-Pendant Thomas Kreuzer versuchten daraufhin recht bemüht klarzustellen, dass dem nicht so sei. Wie zwei Teenager, die beim heimlichen Schmusen an der Waldlichtung erwischt werden und erschrocken von einem zufälligen Treffen reden.
Von Kompromissen und dergleichen hört man nichts
Eine Klausur ist immer auch Sortierung für das Jahr. Wie ist also die Stimmung mit Blick auf die Wahl, Regierungsverantwortung, ein Bündnis mit der Union? Als bayerische Grüne, sagt Schulze dazu, "setzen wir auf Grün pur, auf unsere Inhalte". Es gehe bei der Bundestagswahl darum, Zukunft zu gestalten - Klima, die Verteidigung der Demokratie, soziale Gerechtigkeit. Hartmann fällt keine geeignete Wortmeldung ein, dafür Anton Hofreiter, dem aus Berlin zugeschalteten Fraktionschef im Bundestag. "Führende Kraft", das sei das Ziel. Von Kompromissen und dergleichen hört man nichts. Nach dem Bundesparteitag freilich hatte Hofreiter gesagt, man wolle "weg von der Politik der Brechstange". Auch das neue Grundsatzprogramm machte zuweilen den Eindruck, die Grünen wollten sich regierungsfein machen. Nicht das Thema jetzt, auf dieser "Arbeitsklausur", wie sie Hartmann nennt.
"Yes, we care: Den Dienst am Menschen aufwerten!" ist das Motto, unter dem sich die Abgeordneten getroffen haben; 90 Prozent von ihnen aus dem Home-Office. Drei Papiere zeigen, was sich ändern müsse in Gesundheit, Pflege, Jugendhilfe und Erziehungsberufen. Ausbildung, Vergütung, Arbeitsbedingungen, Qualität - ein Bündel an Reformen stellen sich die Grünen vor, um Attraktivität und Ansehen zu steigern. Diese Kräfte "leisten schier Unmenschliches", sagt Schulze. Es reiche nicht, auf Balkonen zu klatschen wie im Frühjahr. In der Pflege stellt sie sich etwa eine Landespflegekammer als Interessenvertretung oder Akademisierung vor, auch eine Landesregierung könne da viel tun. Schulze tadelt Söders Corona-Bilanz, die angesichts der vielen Toten nicht zum Nimbus des Krisenmanagers passe.
Ein wichtiges Thema beackern die Grünen, aber kein polarisierendes - keiner spricht sozialen Berufen den Wert ab, wenngleich sich beim Geld oft die Geister scheiden. Ideen wie "gendersensible Berufsorientierung" dürften schon das Einzige sein, das Konservativen den Puls treibt. Auch dem Klima widmete sich die Fraktion; Hartmann rügt, dass aus Söders geplanten Windrädern in Staatsforsten nach anderthalb Jahren nichts wurde: "große Ankündigungen, wieder gar nichts dahinter". Das war's schon fast.
Interessant wird 2020 auch auf Ebene des Landesverbands. Im April wird ein Nachfolger für Parteichef Eike Hallitzky gewählt; der 61-Jährige hatte bereits im Sommer seinen Rückzug angekündigt. Er und seine Co-Chefin Eva Lettenbauer gaben kürzlich einen eigenen Jahresauftakt, etwa mit Ideen, um ehrenamtliches Engagement zu stärken. Das Format war ein Novum - und wohl ein Signal für mehr Sichtbarkeit der Parteiebene, die im Schatten der sehr präsenten Fraktionschefs steht.
Wie es läuft, im Verhältnis zwischen Schulze/Hartmann und Lettenbauer/Hallitzky? Die doppelte Doppelspitze habe sich bewährt, sagte Hallitzky, es könnten "nicht vier Superstars" in einem Landesverband agieren. Wieder Harmonie, und die deutet sich auch bei der Wahl des Nachfolgers an. Thomas von Sarnowski, Geschäftsführer der oberbayerischen Grünen und Kreisrat in Ebersberg, hat Ambitionen angemeldet. Sonst bisher keiner. Den fänden viele gut, hört man etwa in der Fraktion. "Besser, als wenn tausend Personaldebatten rumgeistern. Wir machen das sicher ohne Buhei."