Gesundheit:Bayern schnieft und hustet

Gesundheit: Erkältungsmittel gehören derzeit zum Alltag vieler Menschen - sofern sie angesichts der Arzneimittelknappheit verfügbar sind.

Erkältungsmittel gehören derzeit zum Alltag vieler Menschen - sofern sie angesichts der Arzneimittelknappheit verfügbar sind.

(Foto: Susann Prautsch/dpa)

Eine beispiellose Krankheitswelle sucht den Freistaat heim. Sie stellt nicht nur Kliniken vor Herausforderungen, sondern führt in der letzten Woche vor den Ferien auch zu Unterrichtsausfällen an den Schulen.

Von Sebastian Beck, Lisa Schnell und Patrick Wehner

Ausfallende Zugverbindungen, geschlossene Kindertagesstätten, leere Büros - eine beispiellose Krankheitswelle sucht derzeit Bayern heim und beeinträchtigt zunehmend das öffentliche Leben. Erst am Wochenende hatte der Intensivmediziner Christian Karagiannidis von einem historisch hohen Krankenstand gesprochen: "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin. Ursache dafür ist eine Kombination aus Grippe, RS-Virus, Corona und andere Atemwegserkrankungen.

In der Stadt Augsburg bedeutet das konkret: Die städtischen Kitas mussten zum Teil geschlossen werden, weil sowohl Personal als auch Kinder erkrankt sind. Martina Wild (Grüne), Bürgermeisterin und Referentin für Bildung, spricht von einer "noch nie dagewesenen Herausforderung". Selbst zu Hochzeiten der Corona-Pandemie sei die Krankheitsrate in den städtischen Kindertageseinrichtungen von Augsburg nicht so hoch gewesen wie jetzt, sagt sie. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten in den städtischen Einrichtungen seien derzeit krank. Fast täglich meldeten sich zwischen 15 und 20 Personen, weil sie nicht zur Arbeit kommen können - eine "enorm hohe Quote". Von mehr als 50 Einrichtungen sind derzeit vier ganz geschlossen, neun weitere Kitas schließen früher, weil das Personal fehlt.

In der letzten Woche vor Ferienbeginn haben die diversen Viren auch die Schulen heimgesucht. Die Situation an den Grundschulen sei mehr als ernst, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV. Kinder müssten nach der dritten Stunde nach Hause geschickt oder vom Hausmeister und der Sekretärin bespaßt werden. Dass es im Winter Krankheitswellen gebe, darauf sei man vorbereitet, jetzt aber habe man eine Situation, "die es so noch nie gab". Das liegt nach ihren Worten zum einen daran, dass die Krankheitsfälle dieses Jahr besonders hoch sind, zum anderen am "eklatanten Lehrermangel", den es ohnehin gebe, sagt Fleischmann. "Die meisten Schulleiter haben Angst vor der Zeit nach den Weihnachtsferien", weil es da immer besonders viele Krankheitsfälle gebe.

Probleme gibt es auch im Zugverkehr. Der hohe Krankenstand könne leider regional zu betrieblichen Einschränkungen führen, teilte die DB Regio in München mit. In Nürnberg beispielsweise kommt es zu Ausfällen bei Bus und Bahn, weil so viele Fahrer krank sind, sagt Barbara Lohss von der VAG Nürnberg. Zwischen 18 und 20 Prozent des Personals seien krankgemeldet, das sei "schon außergewöhnlich". Jeder, der eine Fahrberechtigung habe, fahre derzeit, sagt Lohss, auch Mitarbeiter der Verwaltung, aber es reiche trotzdem nicht. Sie hoffe zwar, dass sich die Situation in den Weihnachtsferien etwas entspanne, weil dann die Schülerfahrten wegfielen, aber sie sagt auch: "Wir müssen schon darüber nachdenken, ob wir den Fahrplan wieder anpassen." Im Oktober hatten sie in Nürnberg die Taktung bereits krankheitsbedingt einschränken müssen, sodass Züge im 20-Minuten-Takt statt im Zehn-Minuten-Takt fuhren. Eine neue Anpassung würde - falls sie denn kommt - von Mitte Januar an gelten.

Auch bei Audi in Ingolstadt ist der Krankenstand höher als gewöhnlich, zu Produktionseinschränkungen kommt es aber laut einer Sprecherin nicht. Catherine Schrenk, Leiterin der IHK-Geschäftsstelle in Ingolstadt, berichtet dagegen von Betrieben, bei denen vor drei Wochen bis zu 80 Prozent der Belegschaft ausgefallen seien. Ein Problem sei häufig auch, dass Mitarbeiter nicht kommen könnten, weil ihre Kinder krank seien. Auch manche Restaurants und Cafés müssten ihre Öffnungszeiten anpassen, weil zu den Krankheitsfällen noch der Fachkräftemangel komme.

In Cham und Hof ist die Erkältungs- und Influenzawelle ebenfalls längst angekommen. "Die Aktivität der akuten Atemwegserkrankungen steigt in den vergangenen Wochen deutlicher an als in den Saisons vor der Covid-19-Pandemie. Besonders die Influenza ist tendenziell steigend," teilt eine Sprecherin der Sana Kliniken mit, die beide Kliniken betreibt. Erste Fälle von Influenza traten in Hof schon im November auf - mehr als einen Monat früher als bisher bei Influenza üblich. Zum aktuellen Zeitpunkt gehe man davon aus, dass die Grippewelle weiter ansteigen und sich in diesem Winter voraussichtlich stärker auswirken wird als im Vorjahr. Der Krankenstand des Personals ist dem Betreiber zufolge auch höher als üblich zu dieser Jahreszeit.

Hinzu kommt, dass im Landkreis Cham wieder mehr Menschen an Corona erkranken. Das bringt für Pflegekräfte und Ärzte ein erhöhtes Infektionsrisiko und zusätzliche Arbeitsbelastungen mit sich. Die Zahl der Covid-19-Patientinnen und Patienten steigt der Sprecherin zufolge derzeit zwar moderat, die Anzahl der intensivmedizinisch behandelten Corona-Fälle sei aber stabil. Auf der Isolierstation, die sich in der Sana Klinik Cham befindet, werden derzeit 32 Erkrankte behandelt. Die Versorgung von akuten und Notfallpatienten sei im Moment noch gesichert. Man stelle sich aber auf eine steigende Doppelbelastung ein.

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