Professionelle Unterstützung:Direkte Hilfe in seelischen Notlagen

Krisendienste für Menschen in psychischen Notlagen

In allen bayerischen Bezirken gibt es nun ein psychosoziales Beratungs- und Hilfeangebot für Menschen in psychischen Krisen.

(Foto: dpa)

Für psychisch kranke Menschen gibt es nun in jedem Bezirk einen Krisendienst Psychiatrie. Diese Erweiterung soll Betroffenen die Kontaktaufnahme erleichtern - und ist in Corona-Zeiten wichtiger denn je.

Von Dietrich Mittler

Silvio Hartinger ist erleichtert: In jedem Bezirk Bayerns steht nun seit Anfang dieser Woche für psychisch kranke Menschen wie ihn ein Krisendienst Psychiatrie bereit - zuvor gab es solche Angebote nur in Oberbayern und Mittelfranken. Hartinger (Name geändert), der im Großraum Landshut lebt, hat 19 harte Jahre hinter sich. Schizophrene Psychosen ließen seinen Körper regelrecht erstarren, sie raubten ihm die Worte, ließen ihn in der schlimmsten Phase an Suizid denken. "Stress macht Angst, und Angst macht starr", bringt er es auf seine ganz persönliche Formel. Alle sechs Wochen sucht er einen niedergelassenen Psychiater auf, nimmt harte Medikamente und hat dadurch seit etwas mehr als drei Jahren keine schweren Psychosen mehr durchlebt.

Und doch: Die Gewissheit, dass nun im Bedarfsfall in Landshut ein Krisendienst für ihn bereitstünde, lässt Hartinger und seine Mutter Gabriela (Name geändert) ruhiger schlafen. "Viele Jahre habe ich dafür in einer Selbsthilfegruppe gekämpft, dass wir auch in Niederbayern ein solches Hilfsangebot bekommen", sagt die Mittsiebzigerin. Zuvor musste ihr Sohn sich stets an den Krisendienst Psychiatrie Oberbayern in München wenden, der bereits seit 2007 besteht. "Ich war froh, dass mir da endlich jemand zuhörte, als ich über meine Ängste sprach", sagt Silvio Hartinger.

Von nun an genüge "ein Anruf, um sich in einer seelischen Notlage professionelle Hilfe zu holen", sagt Olaf Heinrich (CSU), der Bezirkstagspräsident von Niederbayern über den neuen Dienst in seinem Bezirk. Auch Angehörige und Bezugspersonen könnten sich im akuten Fall an den Krisendienst wenden. Entgegengenommen würden die Anrufe durch ein Team, "das sich aus Psychologen, Sozialpädagogen und psychiatrischen Pflegefachkräften zusammensetzt". Sodann werde mit den Betroffenen besprochen, was in der akuten Krise Hilfe verspricht - beispielsweise Sozialpsychiatrische Dienste oder auch eine psychiatrische Institutsambulanz.

Die Mitarbeiter der nun zur Verfügung stehenden Krisendienst-Leitstellen können zudem mobile Teams aussenden, die die Betroffenen aufsuchen, wenn eine Krisensituation zu eskalieren droht. Gerade jetzt in Corona-Zeiten, in denen auch psychisch kranke Menschen oft extrem isoliert und damit hart gefordert sind, stellt dies eine große Hilfe dar. So sieht das auch Martin Sailer (CSU), Bezirkstagspräsident von Schwaben. "Eine zentrale Anlaufstelle fehlte bisher", sagte er. Erst das bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz von 2018 ebnete den Weg für den landesweiten Krisendienst. "Alle Leitstellen", so sagt Sailer, "werden vom Freistaat finanziert, wohingegen die Kosten der mobilen Teams von den bayerischen Bezirken getragen werden." Josef Mederer (CSU), Bezirkstagspräsident von Oberbayern, betont: "Jeder Cent ist bestens investiert. Endlich gibt es für ganz Bayern ein Notrufsystem für Menschen in seelischen Krisen."

Bezirktagspräsident Franz Löffler (CSU) fasst die Aufgaben der Hilfsteams so zusammen: "Vorrangiges Ziel ist es, Menschen in seelischen Notlagen zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam einen Ausweg aus ihrer Situation zu finden." Die Erweiterung und Neuorganisation der Krisendienste in Bayern soll den betroffenen Menschen auch die Kontaktaufnahme erleichtern. Die Krisendienste sind unter der gemeinsamen kostenlosen Rufnummer 0800/655 3000 erreichbar. Anrufer werden automatisch zu ihrem regionalen Dienst weitergeleitet.

"Wir haben lange für dieses Projekt kämpfen müssen", sagt Alexandra Chuonyo, Geschäftsstellenleiterin des Landesverbands der Angehörigen von psychisch kranken Menschen in Bayern. Warum es so lange dauerte? "Das war immer eine Frage des Geldes", sagt sie. Und sie glaubt: "Wäre die Staatsregierung nicht finanziell eingesprungen, so hätten wir das bis heute nicht." Ärgerlich sei, dass sich die Kassen hier nach wie vor zurückhielten. Silvio Hartingers Mutter weiß um all diese Kämpfe. "Ich musste manchmal auch lästig werden", sagt sie.

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