Öffnungen im Einzelhandel:"Corona-Chaos perfekt"

Öffnungen im Einzelhandel: Einfach mal wieder ein Bummel: Im Landkreis Aichach-Friedberg wird der Handel nach dem Corona-Lockdown geöffnet, der Inzidenz sei Dank.

Einfach mal wieder ein Bummel: Im Landkreis Aichach-Friedberg wird der Handel nach dem Corona-Lockdown geöffnet, der Inzidenz sei Dank.

(Foto: Florian Fuchs)

In manchen Kommunen kann der Einzelhandel wieder regulär öffnen, volle Tüten werden in Innenstädten gesichtet. Andernorts, oft im Nachbarlandkreis, bleiben die Regeln streng - die Angst vorm Shopping-Tourismus zieht auf.

Von Florian Fuchs, Maximilian Gerl, Elena Kolb und Matthias Köpf

Das gelobte Shopping-Land besteht aus einem sehr großen Parkplatz, einem kleineren Parkplatz sowie unter anderem aus einem Möbelhaus, einem Elektromarkt, einem Sportgeschäft und einem Schuhgeschäft. Ina Brayer steht auf dem kleineren der beiden Parkplätze vor den Toren Friedbergs, schaut rüber zum Möbelhaus Segmüller und sagt: "Da gehe ich jetzt rein. Weil ich Lust habe." Es ist nicht so, dass sie ihre Wohnung neu einrichten müsste. "Aber ich will mal wieder irgendwo rein", sagt sie. Durchschlendern. Schauen. In Friedberg ist das jetzt möglich, im Landkreis Aichach-Friedberg nämlich lag die Sieben-Tage-Inzidenz mit 19,3 so niedrig wie sonst kaum wo in der Bundesrepublik - die Läden haben hier geöffnet.

Seit diesem Montag gilt in Bayern der sogenannte Stufenplan, der für den Einzelhandel eine große Neuerung bringt: Zum ersten Mal seit dem 16. Dezember dürfen viele Läden wieder für Kunden öffnen - zumindest überall dort, wo die Zahl der Corona-Neuinfektionen der vergangenen sieben Tage pro 100 000 Einwohner den Wert 100 nicht übersteigt. Wo die Inzidenz zwischen 50 und 100 liegt, müssen Kunden im Rahmen von "Click & Meet" einen Termin vereinbaren. So sollen Menschenansammlungen vermieden werden. In Regionen unter 50 ist Einkaufen ohne Termin möglich. Maskenpflicht und Vorgaben, wie viele Personen sich im Laden aufhalten dürfen, bleiben unabhängig davon bestehen.

So weit die Theorie. In der Praxis herrschen am Montag mancherorts Verwirrung und Frust, teils ist gar von Einkaufstourismus die Rede. Der Handelsverband Bayern etwa erwartete Ausweicheffekte. "Wo die Inzidenz unter 50 ist, können sich die Händler freuen", sagt Sprecher Bernd Ohlmann. Die anderen könnten sich nur ärgern, gerade wenn in der Nachbarregion die Inzidenz kleiner als 50 sei und damit die Läden normal geöffnet hätten. "Wenn ich zum Beispiel eine Waschmaschine brauche und die in München wegen der Einschränkungen nicht kaufen kann, fahre ich halt nach Starnberg", erklärt Ohlmann das Ausweichverhalten der Kundschaft. "Click & Meet" sei zwar besser als nichts, aber eher etwas für kleinere Läden, der geringeren Personalkosten wegen.

Wie sehr es die Menschen zum Shopping zieht, lässt sich am Montag schwer abschätzen. Schließlich mussten viele arbeiten. So ist in der Ingolstädter Innenstadt der erste Einkaufstag nach dem Eindruck von Thomas Deiser vergleichsweise verhalten verlaufen. Nur vor einzelnen größeren Geschäften, vor allem vor Textilketten, habe es wegen des Kunden-Quadratmeter-Verhältnisses zeitweise Schlangen gegeben, sagt der Vorsitzende des Stadtmarketing-Vereins "In-City". Die Lage in den Geschäften werde sich wohl nur langsam normalisieren. "Ich sehe nach drei Monaten immerhin zum ersten Mal wieder Einkaufstüten", sagt Deiser. Einzelne Kunden trügen sogar drei, vier oder fünf Tüten nach Hause. Dass es nicht gleich am ersten Tag das ganz große Gedränge gibt, hat nach seiner Ansicht auch damit zu tun, dass in der weiteren Umgebung die Inzidenzen ebenfalls niedrig sind und die Geschäfte öffnen durften.

Komplizierter ist genau deshalb die Lage in und um Landshut. Die Stadt liegt mitten im Landkreis, von einer Grenze kann im Alltag keine Rede sein - trotzdem gibt es nun eine. Am Sonntag betrug die Inzidenz im Landkreis Landshut 51,9. Händler im Landkreis müssen sich darum vorerst mit "Click & Meet" begnügen. In der Stadt Landshut lag der Wert dagegen unter 50, dort durften die Läden öffnen. Schon am Montag allerdings drehte sich das Ganze um: Im Landkreis sank die Inzidenz laut Landesamt für Gesundheit auf 49,4 - während sie in der Stadt auf 65,4 stieg.

"Nahezu grotesk", nennt OB Alexander Putz deshalb die Lage. Vor allem, weil anhand des Infektionsgeschehens absehbar gewesen sei, dass die Stadt Landshut am Montag den Schwellenwert von 50 überschreiten werde. Man habe auch versucht, das den zuständigen Stellen in München klar zu machen, "aber das war leider nicht erfolgreich". Putz geht davon aus, dass die Inzidenz in der Stadt auch in den kommenden Tagen über 50 bleiben wird. Die eben erst gemachten Lockerungen müsste er also schon im Laufe der Woche rückgängig machen, so sieht es der Stufenplan vor. "Was soll ich sagen", sagt Putz, "das ist schwierig, den Menschen zu erklären."

Putz sieht vor allem zwei Probleme. Das erste ist die Trennung von Stadt und Landkreis. Putz sähe für sie lieber eine gemeinsame Bewertung und Regelung. Das zweite Problem ist für ihn die prominente Rolle der Sieben-Tage-Inzidenz. Sie ist maßgeblich für alle Öffnungen, dabei schwanke sie in Kleinstädten und im ländlichen Raum erfahrungsgemäß stark hin und her, sagt Putz. Auch dem Landshuter Landrat Peter Dreier (FW) platzte deshalb der Kragen. Erreichbar ist er am Montag nicht, stattdessen wird auf eine Mitteilung vom Sonntag verwiesen. "Es kann niemand verstehen, dass in Altdorf oder Ergolding der Einzelhandel nicht öffnen darf, einen Steinwurf entfernt in Landshut aber alle Läden offen haben", wird Dreier zitiert. Es brauche dann niemanden zu wundern, "dass die Akzeptanz für Corona-Maßnahmen schwindet". Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) für Niederbayern sieht mit den neuen Regelungen "das Corona-Chaos perfekt": Täglich schwankende Inzidenzwerte böten den betroffenen Branchen weder eine verlässliche Planungsgrundlage noch eine tragfähige Perspektive, teilt IHK-Hauptgeschäftsführer Alexander Schreiner mit.

Vergleichsweise eindeutig ist die Lage in Wunsiedel. Nur hilft das niemandem. Der Landkreis grenzt an Tschechien, die Inzidenzzahl liegt bei über 300. Öffnungen stehen hier also erst einmal nicht an - weshalb Händler wie Peter Ludwig wohl weiter auf ihrer Ware sitzen bleiben werden. Mit seinem Bruder führt er in Wunsiedel "Ludwig Schuhe". "Gerade jetzt wollen wir eigentlich Schuhe für Kinder verkaufen, die über den Winter aus ihren alten Modellen herausgewachsen sind", sagt er. Umso frustrierender sei es, dass die Discounter nebenan weiter ihre Schuhe und Klamotten verkaufen dürften. "Wir wurden von der Politik immer weiter vertröstet und sehen keine Perspektive, wenn nicht bald etwas an der Inzidenzregel geändert wird", sagt Ludwig. Kommende Woche würde sein Geschäft eigentlich das 40-jährige Bestehen feiern. Aber zum Feiern, sagt Ludwig, fehle im Moment wirklich der Anlass.

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