Gefängnisskandal:Justizminister Eisenreich räumt mögliche Fehler seines Hauses ein

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Nach den Vorwürfen wegen Häftlingsmisshandlung in der JVA Gablingen ist der Minister unter Druck. Sein Haus wusste schon früh von dem Verdacht, er selbst sei erst kürzlich informiert worden. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Nach den Vorwürfen wegen Häftlingsmisshandlung in der JVA Gablingen ist der Minister unter Druck. Sein Ministerium wusste schon früh von dem Verdacht, er selbst sei erst kürzlich informiert worden. Die JVA-Leiterin wurde suspendiert.

Von Johann Osel

Nach den schweren Vorwürfen gegen Gefängnismitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen soll eine Taskforce im Ministerium die Aufarbeitung vorantreiben. Zugleich räumte Justizminister Georg Eisenreich (CSU) mögliche Fehler innerhalb seines Ressorts ein. „Möglicherweise hat man in der Vergangenheit auch hier im Haus die Dimension der Vorfälle unterschätzt. Rückblickend muss man sagen, dass bei der Kontrolle von Gablingen noch mehr hätte passieren sollen“, sagte er am Donnerstag vor der Presse im Münchner Justizpalast.

Eisenreich nannte die Vorwürfe „gravierend“. Wenn in einem Rechtsstaat der Vorwurf von Übergriffen und Misshandlungen im Raum steht, erschüttere dies das Vertrauen der Menschen in die rechtsstaatlichen Institutionen. „Die Menschenwürde ist unantastbar“, das gelte überall, auch für Gefangene. Die überwältigende Mehrheit der mehr als 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzugsdienst in Bayern leiste täglich vorbildliche Arbeit, gerade im Strafvollzug unter schwierigsten Bedingungen. Auch deshalb müssten die Vorfälle „rückhaltlos aufgeklärt werden“, so Eisenreich.

Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg und disziplinarrechtlichen Verfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft München geschehe dies durch das Ministerium. Mit ersten personellen Konsequenzen: Die Anstaltsleiterin wurde, obwohl sie keine Beschuldigte ist, vorläufig vom Dienst freigestellt – „um die Aufklärung des Sachverhalts zu erleichtern“. Eine neue stellvertretende Leiterin wurde kommissarisch eingesetzt; denn gegen die bisherige Stellvertreterin wird ermittelt.

Eisenreich sprach am Donnerstag exakt 20 Minuten, Fragen von Journalisten waren nicht zugelassen. Eisenreich bat um Verständnis, dies habe auch mit den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu tun. „Natürlich, es sind noch Fragen offen. Wir haben den Aufklärungsprozess aber auch erst am Montag begonnen.“

Vergangene Woche hatte es einen Polizeieinsatz in der JVA Augsburg-Gablingen gegeben, am Wochenende war dann publik geworden, dass die Augsburger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Häftlingsmisshandlung in einem der größten Gefängnisse Bayerns ermittelt. Es besteht der Anfangsverdacht, dass einzelne Gefangene unbekleidet und ohne Matratze sowie teils viel zu lange in einem „besonders gesicherten Haftraum“ untergebracht worden sein sollen, ohne dass die besonderen Voraussetzungen für diese Maßnahme vorlagen.

In Extremfällen dürfen Gefängnisse Häftlingen grundlegende Dinge vorenthalten und diese besondere Unterbringung veranlassen, etwa bei Gefahr für Suizid oder Gewalt gegen Personen. Es gilt quasi als letztes Mittel im Umgang mit Häftlingen. Der Aufenthalt in solch einer Zelle sollte so kurz wie möglich sein. Zudem geht die Staatsanwaltschaft Vorwürfen nach, wonach es zu tätlichen Übergriffen einzelner Bediensteter auf einzelne Gefangene gekommen sein soll.

Es geht um insgesamt zehn Beschuldigte

Wie die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mitteilte, handelt es sich um insgesamt zehn Beschuldigte. Gegen sie laufen Disziplinarmaßnahmen, es gibt auch Betretungsverbote für die JVA. Bei den Ermittlungen geht es um den Anfangsverdacht der Körperverletzung im Amt. Zu den Beschuldigten gehört auch die stellvertretende Leiterin des Gefängnisses, die die Vorwürfe über ihre Anwälte zurückwies. Es gilt für alle Verdächtigen die Unschuldsvermutung. Das Gefängnis in Gablingen hat rund 600 Plätze und wurde erst 2015 eröffnet. Untergebracht sind vor allem männliche Strafgefangene im Erstvollzug.

Das Justizministerium hat bereits seit einem Jahr Kenntnis von Misshandlungsvorwürfen in Augsburg-Gablingen. Die damalige Anstaltsärztin der JVA habe sich Mitte Oktober 2023 mit einer Eingabe insbesondere zu der Unterbringung von Gefangenen in den besonders gesicherten Hafträumen an die Strafvollzugsabteilung des Ressorts gewandt, bestätigte zuletzt eine Sprecherin des Ministeriums. „Dies wurde sehr ernst genommen und nach interner Prüfung umgehend am 26. Oktober 2023 an die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg weitergeleitet, die Vorermittlungen einleitete.“ Die Anstalt habe die erhobenen Vorwürfe im Vorermittlungsverfahren zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg habe im August 2024 mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Straftaten von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen – die Ermittlungen jedoch kurz danach wieder aufgenommen, nachdem weitere Hinweise eingegangen seien.

Eisenreich habe den „Eindruck“, dass einzelne Mitarbeiter der JVA seine Experten getäuscht haben könnten

Minister Eisenreich, so teilte das Ministerium noch am Mittwochabend auf Anfrage der SZ mit, sei „seinerzeit“ nicht über die Hinweise der Anstaltsärztin persönlich informiert worden. „Er hat von der E-Mail erst im Rahmen der Aufklärung der vergangenen Tage erfahren.“ Am Donnerstag erklärte der Minister, nach der E-Mail der Ärztin habe die zuständige Abteilung in seinem Haus unter anderem einen Bericht der JVA angefordert und das Schreiben an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Dies sei „das schärfste Schwert“ und zeige auch, „dass nichts vertuscht“ wurde. „Das hat die Abteilung gemacht. Was sie nicht gemacht hat – mich zu informieren.“

Er habe aber auch den „Eindruck“, dass einzelne Mitarbeiter der JVA seine Experten getäuscht haben könnten, sagte Eisenreich außerdem. Die Anstalt habe alle Unterbringungen gerechtfertigt, sein Haus habe entschieden, dass „kein aufsichtliches Einschreiten geboten“ sei. Auch weil die Staatsanwaltschaft noch im Juni 2024 nach den Vorermittlungen mitgeteilt habe, dass die Vorfälle „eher nicht auf strafrechtliches Verhalten hindeuten“. Womöglich, so Eisenreich, sei es aber auch ein Fehler des Ministeriums gewesen, die Angelegenheit „primär bei der Staatsanwaltschaft“ zu sehen.

Die Staatsanwaltschaft teilte am Donnerstag zum Schreiben der Ärztin mit: „Erst aus deutlich später eingegangenen Anzeigen und Hinweisschreiben, aus deren Inhalt geschlossen werden konnte, dass die Verfasser Kenntnis über interne Abläufe der Anstalt hatten, ergab sich in einer Gesamtschau ein begründeter Anfangsverdacht, der zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens führte.“ Mittlerweile haben Polizei und Staatsanwaltschaft eine zweite Razzia in der JVA abgehalten, es wurden dabei Unterlagen, elektronische Daten sowie Mobiltelefone sichergestellt. Laut der Mitteilung stehe nun auch eine Vielzahl von Zeugenvernehmungen an.

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Inzwischen wurden, so Eisenreich, weitere Maßnahmen seines Hauses ergriffen. In der JVA Augsburg-Gablingen ist nun jede Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum vom ersten Tag an berichtspflichtig, inklusive ärztliche Stellungnahme. In einem schon bestehenden IT-Tool für den Justizvollzug werde nicht mehr nur jede Unterbringung in einem solchen Haftraum erfasst, sondern jetzt auch die Dauer. Die Zahlen sollen monatlich einem Monitoring im Ministerium unterliegen, zusätzlich zu ohnehin erforderlichen Berichten aller Anstalten im Freistaat.

Mangels Fragemöglichkeit der Journalisten bei der Pressekonferenz bleiben aber viele wichtige Fragen offen – etwa, wann und wie der Minister über die Ergebnisse einer Prüfung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter 2022 und dann erneut 2024 persönlich informiert war. Oder, warum es das jetzt angekündigte Monitoring der besonderen Haft-Form bislang nicht gab. Und, wie nach vermehrten Meldungen dieser Unterbringung früher ganz konkret verfahren wurde.

Die Grünen fragen: „Wo ist Markus Söder?“

Derweil wächst der politische Druck auf Eisenreich. SPD und Grüne forderten den Minister schon in den vergangenen Tagen auf, im Rechtsausschuss des Landtags Rede und Antwort zu stehen. Dies dürfte schon kommende Woche am Donnerstag der Fall sein. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Toni Schuberl, teilte nach dem Pressetermin mit: „Wo ist Markus Söder? Wenn eines seiner Ministerien möglicherweise Teil eines solchen Skandals ist, dann ist es allerhöchste Zeit, dass die Aufklärung eine Ebene höher stattfindet. Der Ministerpräsident muss sich einschalten und die Sache in die Hand nehmen.“ Der SPD-Rechtspolitiker Horst Arnold sieht im Auftritt des Ministers „eher ein Dokument der Hilflosigkeit als einen Befreiungsschlag“. Eisenreich sei seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, könne sich „nicht einfach hinter seinen Fachabteilungen verstecken“. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek konterte: „Konstruktive Oppositionsarbeit sieht anders aus.“ Minister Eisenreich habe „die Abläufe plausibel erklärt“.

Die Anwälte der beschuldigten und inzwischen vorläufig suspendierten stellvertretenden Gefängnisleiterin richteten sich zwischenzeitlich in einem Brief an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sie fordern von ihm, dem Justizministerium „die Befugnis zu entziehen, sich weiterhin als Aufsichtsbehörde mit der Prüfung von Vorwürfen in Zusammenhang mit der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen zu befassen“. Das Schreiben liegt der SZ vor. Sie begründen das eben damit, dass das Ministerium eingeräumt hat, schon seit einem Jahr von Vorwürfen gewusst zu haben. Deshalb habe man Strafanzeige gegen die verantwortlichen Mitarbeiter des Ministeriums erstattet – wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.

Die Staatskanzlei wies indes die Forderung der Grünen und der Anwälte, sich in die Causa einzumischen, entschieden zurück. Staatsanwaltschaft und Justizministerium seien für Aufarbeitung und Aufklärung zuständig, sagte ein Sprecher, beide genössen „das volle Vertrauen, dass dies nach Recht und Gesetz geschieht“.

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