Bildungspolitik:"Als Gesellschaft müssen wir uns streiten können"

Bildungspolitik: In Partnerklassen an der Grundschule Sauerlach lernen und spielen Mädchen und Jungen mit und ohne Förderbedarf gemeinsam.

In Partnerklassen an der Grundschule Sauerlach lernen und spielen Mädchen und Jungen mit und ohne Förderbedarf gemeinsam.

(Foto: Sebastian Gabriel/Sebastian Gabriel)

Ein neues Bündnis will im Landtagswahlkampf für mehr Inklusion werben - und für die Gemeinschaftsschule als Schulform. Die Erfolgsaussichten? "Da sind wir realistisch", sagt Mitgründer Gerald Klenk.

Interview von Maximilian Gerl, Feucht

Dass er sich mit der Idee nicht nur Freunde mache, wisse er, sagt Gerald Klenk. Dazu ist er auch lange genug in der Bildungslandschaft unterwegs. Früher arbeitete er unter anderem am Schulamt Nürnberger Land, heute ist der 70-Jährige Vorstand der Lernwirkstatt Inklusion in Feucht - und hat mit vier anderen Organisationen das "Bündnis Gemeinschaftsschule in Bayern" gegründet, um im Landtagswahlkampf für mehr Inklusion im Schulalltag zu werben.

SZ: Herr Klenk, viele Verbände in Bayern setzen sich für Inklusion ein. Mal ganz provokant gefragt: Warum braucht es da ein weiteres Bündnis?

Gerald Klenk: Die Inklusion ist immer noch nicht in den Schulen angekommen, sondern mit Corona und Krieg in den Hintergrund gerückt. Solche Krisen sind natürlich riesig und werden uns noch lange beschäftigen. Aber sie sind kein Grund, Menschen mit Behinderung zu vergessen.

Im Zentrum Ihres Bündnisses steht die Einführung einer weiteren Schulform: die Gemeinschaftsschule.

Im privaten Bereich gibt es die in Bayern schon, aber noch nicht im öffentlichen Schulwesen. An der Gemeinschaftsschule arbeiten alle Schüler und Schülerinnen gemeinsam. Klassen gibt es nicht mehr, Noten erst ab der achten Jahrgangsstufe.

Die Auflösung von Unterschieden als Vehikel für Inklusion?

Inklusion betrifft ja uns alle, nicht nur Menschen mit Behinderung. Unser heutiges Schulsystem aber tickt nicht inklusiv, sondern separativ. Immer wieder melden Eltern ihr Kind mit Behinderung von der Regelschule ab und bei der Förderschule an, weil es trotz aller Bemühungen nicht funktioniert hat.

Über Gemeinschaftsschulen wird seit Langem gestritten. Kritiker monieren zu viel Vereinheitlichung und ein niedrigeres Bildungsniveau.

Das ist ein klassischer Vorwurf, dabei ist das Gegenteil der Fall: Wir fassen nicht alle unter einem Hut zusammen, sondern schaffen mehr Vielfalt. Jedes Kind wird individuell gefördert. Natürlich sind davon nicht alle begeistert, auch nicht bei den Lehrerverbänden. Aber als Gesellschaft müssen wir uns streiten können.

Bildungspolitik: Gerald Klenk, 70, ist Schulamtsdirektor. a.D. und Vorsitzender der Lernwirkstatt Inklusion in Feucht. Zusammen mit vier anderen Organisationen hat er anlässlich der Landtagswahl ein Bündnis für mehr Inklusion und Gemeinschaftsschulen gegründet. Foto: privat

Gerald Klenk, 70, ist Schulamtsdirektor. a.D. und Vorsitzender der Lernwirkstatt Inklusion in Feucht. Zusammen mit vier anderen Organisationen hat er anlässlich der Landtagswahl ein Bündnis für mehr Inklusion und Gemeinschaftsschulen gegründet. Foto: privat

(Foto: privat)

Um Kinder in der Gemeinschaftsschule individuell zu fördern, bräuchte es mehr Lehrkräfte. Die sind jetzt schon Mangelware.

Natürlich benötigen wir einen besseren Personalschlüssel. Eine Entlastung können multiprofessionelle Teams sein, mit Sozialpädagoginnen oder einem Handwerker, der für ein Projekt die Schüler anleitet. Die Lehrerausbildung muss sich ohnehin verändern. Gebraucht werden Menschen, die Beziehungsarbeit leisten. Mein Sohn ist Mittelschullehrer, manche seiner Schüler haben sich während Corona gewissermaßen verabschiedet. Da kommt noch einiges auf uns zu.

Für Lehrkräfte bieten Sie in der Lernwirkstatt Fortbildungen an. Was machen Sie da?

Vereinfacht geht es darum, eine Haltung auszubilden und den Lehrkräften eine Art Überlebenspaket an die Hand zu geben, wie sie den Gedanken der Inklusion im Alltag spürbar machen können. Aktuell sind viele mit Bürokratie überfrachtet.

Ein Problem bei der Inklusion ist ja, dass Kompromisse schwierig sind. Häufig heißt es: ganz - oder gar nicht.

Deutschland hat 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert, die auch Bayern zu einem inklusiven Schulsystem verpflichtet. Sie gibt keinen Weg vor, sondern einen Maßstab. Nur einen Rollstuhlfahrer in die Klasse zu holen und zu sagen, das ist jetzt inklusiv - das wird dem Menschen nicht gerecht.

So gesehen haben Sie sich die dicksten, weil umstrittensten Bretter zum Bohren ausgesucht.

Da sind wir realistisch: Wir wollen das Thema in die Öffentlichkeit einspeisen, was daraus wird, mal sehen. Es wäre schon ein Erfolg, würde über die Belange von Menschen mit Behinderung wieder gesprochen.

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