Overtourism:Ansturm auf die Idylle

Demonstration in Walchensee unter dem Motto: "Uns stinkt`s"

Am Walchensee demonstrierten Anwohner im vergangenen Herbst gegen die Verkehrsbelastung. Foto: privat

Überfüllte Berge, Staus und Parkplatzmangel: Im Corona-Sommer drängen Massen von Touristen in die oberbayerischen Urlaubsgebiete. In einigen Regionen drohen nun Auflagen für Wanderer, Mountainbiker und Autofahrer.

Von Christian Sebald, Florian Fuchs und Matthias Köpf

Oberstdorf

Erst vor ein paar Wochen stiegen an einem Tag 1500 Menschen auf das Rubihorn. Der Berg bei Oberstdorf ist exakt 1957 Meter hoch, 1500 Wanderer an einem Tag verträgt aber auch dieser Gipfel nicht. "Das ist zu viel, das macht ja keinen Spaß", sagt Oberbürgermeister Klaus King. Nebenan auf dem Entschenkopf oder dem Nebelhorn wäre noch Platz gewesen. Diskussionen über die Flut an Touristen und Tagesgästen kennen sie im gesamten Allgäu, in Oberstdorf als einem der meistbesuchten Ferienorte in Deutschland kulminiert sie: 2,7 Millionen Touristen, 1,6 Millionen Tagesgäste pro Jahr, das ist Fluch und Segen zugleich. Oberbürgermeister King sagt deshalb, dass er sich über jeden Gast freue, auch über die oft so unbeliebten Tagesgäste, die die Straßen mit ihren Autos verstopfen. Schließlich tragen sie 40 Millionen Euro pro Jahr zur Wertschöpfung im Ort bei. Aber dass man etwas tun muss, das sagt King schon auch.

"Lenken und reglementieren", das sind zwei Begriffe, die King oft benutzt, wenn er über die Zukunft seines Orts spricht. Ihm schweben eine kurzfristige und eine langfristige Lösung vor. Kurzfristig bauen sie ein Parkleitsystem auf, es gibt einfach noch zu viele Gäste, die unbedingt einen Parkplatz mitten im Ortskern suchen wollen anstatt außerhalb auf den dafür ausgewiesenen Flächen. Langfristig soll der Ortskern geschützt werden, indem die Touristen von Parkplätzen außerorts "mit Wasserstoffbussen, Elektrobussen oder einer kleinen Bahn nachhaltig eingebracht werden", wie es King formuliert. Er sagt aber auch, dass es eine Gesamtüberlegung fürs südliche Allgäu brauche. Vertreter der Allgäu GmbH, der Tourismus-Dachorganisation der Region, treffen sich deshalb noch diesen Monat mit Experten des Fraunhofer Instituts um über Mobilitätskonzepte gegen Staus und wildes Parken zu sprechen. Das wilde Parken an Seen, Flüssen, Wäldern, überhaupt im Naturschutzgebiet ist laut King gerade eines der größten Probleme in seiner Region. "Die stellen sich überall hin und kümmern sich nicht um ihre Hinterlassenschaften." Reglementieren und Lenken soll auch hierbei helfen - zum Beispiel mit großflächigen Halteverboten.

Walchensee

Am Walchensee drängt sich manchen Menschen wegen seines türkisblauen Wassers und wegen seiner Lage inmitten waldiger Bergrücken der Vergleich mit einem norwegischen Fjord auf. Entsprechend gab der Walchensee unter anderem schon die Kulisse für einen Wickie-Film und für Dreharbeiten ab, in denen für "Aktenzeichen XY" ein Verbrechen am norwegischen Geiranger nachgestellt wurde. Doch so viel Trubel wie an sonnigen Ausflugswochenenden am Walchensee herrscht in Norwegens Vorzeigefjord nicht einmal dann, wenn zwei große Kreuzfahrtschiffe und die Fähre gleichzeitig anlegen. Denn anders als der Geiranger ist der Walchensee von München aus bequem mit dem Auto erreichbar - sofern teils kilometerlange Staus und eine längere und oft ohne erlaubte Lösung zu Ende gehende Parkplatzsuche diese Bequemlichkeit nicht trüben.

Nach jahrelangem Druck von Anwohnern und Lokalpolitikern hat der Walchensee inzwischen jedenfalls auch bei der Staatsregierung eine Art Aktenzeichen. Unter anderem prüft das Innenministerium den Vorschlag, ob sich über eine "Tageskurkarte" von den Ausflüglern nicht wenigstens eine Art Eintrittsgeld erheben ließe. Denn zu allem Ächzen über regelmäßige Ausflüglerflut kommt die Befürchtung, dass die vielen Tagestouristen womöglich die seit Jahrzehnten umworbenen Übernachtungsgäste abschrecken könnte, die länger bleiben und - jedenfalls pro Kopf - mehr Geld in der Gemeinde lassen. Von den vielen Menschen, die allerlei Freizeitgerätschaften aus ihren Campingbussen wuchten und dann die Nacht auf einem Parkplatz in Ufernähe verbringen, erwartet man sich da weit weniger. Sie und alle anderen Badegäste, Stehpaddler, Wind- und Kitesurfer - Autofahrer allesamt - sollen künftig wenigstens überall Parkgebühren zahlen.

Was die Parkplätze betrifft, so setzen die Behörden und die Gemeinde Kochel am See fürs Erste auf mehr: Während manche wilden Parkflächen mit Baumstämmen abgesperrt wurden, sollen auf Staatsgrund an der Mautstraße aus der Jachenau und an einigen anderen Stellen auf die Schnelle Hunderte neuer Parkplätze entstehen - ohne dass man dabei Natur zerstöre, wie Innenstaatssekretär Gerhard Eck neulich lobte. Der örtliche Bund Naturschutz warnt trotzdem in einem selbst als "Brandbrief" betitelten Schreiben vor den Folgen: Mehr Parkplätze würden nur noch mehr Verkehr anziehen, befürchtet der BN-Kreisvorsitzende Friedl Krönauer.

Garmisch-Partenkirchen

Vor ein paar Wochen erst ging am Parkplatz beim Skistadion in Garmisch-Partenkirchen gar nichts mehr. Die Ausflügler hatten sich gegenseitig so zugeparkt, dass irgendwann nichts anderes mehr übrig blieb, als viele der Fahrzeuge mitten durch den Zielraum der Sprungschanze hinaus zu lotsen, um so den Knoten doch noch zu lösen. Nicht wenige der Parker werden sich das Spektakel von oben angesehen haben, denn am Skistadion liegt auch die Talstation der vor einem Jahr runderneuerten Partenkirchner Eckbauerbahn. Deren Betreibern, die nach ihrer Investition finanziell schwer unter dem pandemiebedingten Stillstand zu leiden hatten, sind Gäste hoch willkommen, so wie Garmisch-Partenkirchen insgesamt größtenteils vom Tourismus lebt. Der Ort hat sich selbst über Jahrzehnte hinweg mit Seilbahnen und sonstiger alpintouristischer Infrastruktur ausgestattet wie kein zweiter in Bayern. Trotz seiner bald 28 000 Einwohner will er partout keine Stadt sein, sondern aus Marketinggründen unbedingt eine Marktgemeinde bleiben. Doch die so suggerierte Beschaulichkeit leidet schon seit vielen Jahren schwer unter dem Verkehr.

Wer an schönen Wochenenden nicht sehr zeitig dran ist, muss damit rechnen, schon am Ende der A 95 bei Eschenlohe im Stau zu stehen und sich dann langsam Richtung Garmisch zu quälen. Der Bund spendiert deswegen gleich eine ganze Kette teurer Tunnel, doch so lange die Umgehungsröhren für Garmisch durch den Kramer und der für Partenkirchen durch den Wank nicht irgendwann fertig sind, verschiebt sich dadurch nur der Flaschenhals. Das notorische Verkehrsproblem auf der Zufahrt durch die Nachbargemeinde Grainau zum Eibsee wird sich so ohnehin nicht lösen lassen. Der Eibsee bildet einen verlässlich idyllischen Hintergrund für fotografische Selbstbildnisse, fast als hätten all die Instagrammer ihre Aufnahmen im gleichen Studio vor derselben Fototapete gemacht. Außerdem liegt am Eibsee die Talstation der Seilbahn auf die Zugspitze. Diese ebenfalls erneuerte Seilbahn ging Ende 2017 in Betrieb und kann seither noch viel mehr Gäste auf Deutschlands höchsten Berg hieven als ihre Vorgängerin. Unten allerdings waren die Parkplätze auch vorher schon knapp, und inzwischen stehen die Autos all der Berg- und Talgäste entlang der ganzen Straße wild auf Wiesen, Wegen und Einfahrten. Oft genug seien sämtliche Rettungswege komplett zugeparkt, so lautet auch hier das ultimative Argument der Kommunen und Sicherheitsbehörden. Mobile Hinweistafeln auf Staus und überfüllte Parkplätze haben bisher wenig Wirkung gezeigt.

Bayerns Wirtschafts- und Tourismusminister Hubert Aiwanger (FW), der dort in Garmisch-Partenkirchen vor einigen Tagen die Bürgermeister mehrerer Ausflugs-Hotspots getroffen hat, setzt erklärtermaßen auf Besucherlenkung via Internet. So hat etwa der Tourismusverband Oberbayern München mit fünf bayerischen Urlaubsregionen einen Ausflugs-Ticker entwickelt, der neben Wander- und Ausflugstipps auch Hinweise zu Wartezeiten an Bergbahnen oder zur Auslastung von Parkplätzen gibt. Angelehnt daran soll laut Aiwanger die Idee einer bayernweiten App weiter verfolgt werden, die auf Basis von Erfahrungswerten und Echtzeitdaten Informationen für Touristen bereitstelle. Das Ziel müsse es dabei sein, "dass sich insbesondere Tagestouristen vor der Abfahrt in Echtzeit über die aktuelle Situation vor Ort informieren können und wir dadurch eine intelligente Verteilung der Besucherströme erreichen."

Nationalpark Berchtesgaden

Es ist zweifellos eine spektakuläre Szenerie, das kann ein jeder auf den Fotos in den sozialen Medien im Internet sehen. In einer felsigen Gumpe räkelt sich eine junge Frau, bisweilen auch ein junger Mann oder ein Pärchen im eiskalten, glasklaren Wasser des Königsbachs. Im Hintergrund, wo das Wasser über die Felsenkante hinabstürzt, öffnet sich ein gigantischer Tiefblick auf den türkisfarbenen Königssee einige Hundert Meter unterhalb der Gumpe. "Infinitiy Pool am Königssee" oder "einer der schönsten Orte Deutschlands" lauten die Schlagworte, unter denen das Naturschauspiel im Internet gehypt wird. An schönen Sommertagen stehen die meist jungen Leute bisweilen Schlange in dem hochalpinen, felsigen Gelände. Sie alle wollen einen Schnappschuss, wie sie in den Gumpen baden.

Der Rummel am Königsbachfall ist der aktuelle Auswuchs unter den Besuchern im Nationalpark Berchtesgaden. Dabei ist es ein immer wieder lebensgefährlicher und bisweilen sogar tödlicher Rummel. Im Frühjahr 2019 ertranken zwei junge Männer in einer Gumpe. Sie hatten womöglich nicht bedacht, dass während der Schneeschmelze mächtige Wasserwalzen in den Becken herumwirbeln. Auch beim Anmarsch in dem weglosen, teils extrem steilen und ausgesetzten Gelände kommt es immer wieder zu Abstürzen. Dabei hat Nationalpark-Chef Roland Baier schon längst Warnschilder aufstellen lassen. Und im Internet versuchen seine Mitarbeiter mit Sprüchen wie "Ja spinnts ihr" gegenzuhalten. Ohne Erfolg.

Deshalb plant Baier nun eine drastische Maßnahme. "Wir wollen ein Betretungsverbot für das gesamte Gebiet um den Königsbachfall herum erlassen", sagt der Nationalpark-Chef. "Zumindest für die nächsten drei bis fünf Jahre." Denn der Königsbachfall liegt mitten in der Kernzone des Nationalparks. Also dort, wo der Naturschutz absoluten Vorrang hat. "Der Andrang zu den Gumpen dort hat bereits zu großen Zerstörungen geführt", sagt Baier. Allein die Trampelpfade in dem Steilgelände dort summieren sich inzwischen auf zwei Kilometer Länge. Dabei soll es dort keinerlei Pfade oder Wege geben. Und dann der viele Müll. Deshalb die Sperrung. "Denn wir können den Vandalismus nicht mehr hinnehmen", sagt Baier. "Wir werden das Betretungsverbot streng überwachen und Verstöße strikt ahnden."

Der Nationalpark Berchtesgaden ist nicht erst seit Corona ein sehr beliebtes Ausflugsziel. Die aktuelle Besucher-Statistik stammt von 2015. Damals wurden 1,6 Millionen Gäste gezählt, 40 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Nationalpark-Chef Baier sagt, dass der Zuwachs eher deutlich stärker als schwächer geworden ist. Ein Indiz dafür ist das unglaubliche Parkchaos in den Sommermonaten nicht nur am Königssee, sondern zum Beispiel in Ramsau. Der Alpenverein hat die kleine Gemeinde mit dem Prädikat "Bergsteigerdorf" ausgezeichnet, weil sie sich einem sanften, naturnahen Bergtourismus verschrieben hat und auf neue große Hotels, Bergbahnen, Beschneiungsanlagen und dergleichen mehr verzichtet. Vor allem an schönen Sommertagen wird Ramsau von Ausflüglern förmlich überrannt. "Das ist schlimm, wie die auf Wiesen, an Feldwegen und in Halteverboten parken", sagt Bürgermeister Herbert Gschoßmann (CSU). Gschoßmann und sein Gemeinderat wollen dennoch keine neuen Parkplätze einrichten. "Denn das hat ja eher das Gegenteil zur Folge", sagt er. "Dann wird der Ansturm nur noch stärker." Außerdem sieht er nicht ein, "dass wir weitere Wiesen befestigen, damit an 20 Spitzentagen im Sommer möglichst alle Besucher einen Parkplatz finden, die Wiesen aber das ganze Jahr über für uns verloren sind."

Tegernsee und Schliersee

Der Miesbacher Landrat Olaf von Löwis (CSU) will auf den Tourismus nichts kommen lassen. "Kein Bashing" solle es geben, sagte er vor wenigen Tagen zur Eröffnung eines runden Tischs, der zu einem neuen Umgang mit den Mountainbikern rund um Tegernsee und Schliersee finden soll. Denn geschehen soll durchaus etwas, dazu hat Löwis den runden Tisch ja einberufen. Viele Almbauern und Bergwanderer in der Region klagen mittlerweile über die Biker wie über eine Landplage, die da durch die Berge rollt. Die Mountainbiker selbst sehen sich oft zu Unrecht ausgebremst und an den Pranger gestellt, manche berichten von Attacken mit Wanderstöcken oder von regelrechten Fallen, die ihnen gestellt würden. Der Druck wächst mit der stetig steigenden Zahl der Freizeitsportler, die Gereiztheit ist groß, der Ton wird immer rauer.

Wenn die Mountainbiker wirklich mit dem Rad in die Berge fahren würden, dann trügen sie wenigstens nicht zu dem notorischen Verkehrsproblem bei, mit dem sich die Region herumschlägt. Als Verursacher gelten die Tagestouristen und Ausflügler, die von manchen hier schlicht als "Münchner" zusammengefasst werden. Doch ohne Tagestouristen ginge die Rechnung auch nicht auf, denn an ihnen hänge rund ein Drittel des gesamten Umsatzes im Tourismus, gibt Thorsten Schär vom kommunalen Dienstleister "Alpenregion Tegernsee Schliersee" zu bedenken. Auch hier ist viel von Taktverdichtungen und besseren Anbindungen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln die Rede, und auch hier glaubt kaum jemand, dass das große Linderung bringen wird. Die Gemeinde Kreuth, ein Bergsteigerdorf wie Ramsau, hat sich gerade ein Verkehrskonzept vorstellen lassen. Ein Rat des Experten: Weniger Parkplätze anbieten.

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:#bayernklischee

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