Süddeutsche Zeitung

Asylpolitik:Ein Jahr Bayern-Bamf - eine umstrittene Bilanz

Ein Jahr nach der Gründung des Landesamts für Asyl findet Ministerpräsident Markus Söder lobende Worte. Auch für die Ankerzentren. Kritiker aber beklagen dort menschenunwürdige Zustände.

Von Wolfgang Wittl, Manching

Wer verstehen will, was sich innerhalb eines Jahres verändert hat, muss noch einmal weit hinausblicken über diesen holzvertäfelten Kellerraum in der Ingolstädter Peripherie, in dem der bayerische Ministerpräsident und sein Innenminister am Montagvormittag über Sinn und Zweck dieser Behörde sprechen. Oder besser: Man muss ein Jahr zurückblicken.

Die Bundesregierung taumelt im Sommer 2018 am Abgrund ihrer Regierungsfähigkeit - schuld daran ist nicht etwa der Koalitionspartner oder die Opposition, sondern allein die Union. Drei Jahre beharken sich der damalige CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nun schon im Flüchtlingsstreit. Jetzt biegt das bittere Duell auf die Zielgerade ein, in "das Endspiel um die Glaubwürdigkeit", das der bayerische Ministerpräsident Markus Söder selbstbewusst ausruft.

Zu klären ist formal die Frage, ob Deutschland an der Grenze Flüchtlinge zurückweisen darf, die bereits in der Europäischen Union registriert worden sind. Die CSU-Spitze ist dafür, Merkel dagegen. In Wahrheit geht es natürlich um viel mehr. Die CSU will einen symbolischen Sieg über die Kanzlerin erzwingen, die ihr ziemlich auf die Nerven geht.

Die Christsozialen machen Merkel für das Erstarken der AfD verantwortlich, Druck und Panik nehmen kurz vor der bayerischen Landtagswahl gewaltig zu. Die Umfragewerte bröckeln, Abgeordnete fürchten um ihre Wiederwahl, die absolute Mehrheit ist intern bereits abgeschrieben. Nur mit einer rigiden Flüchtlingspolitik, so glaubt man in der CSU-Landtagsfraktion, sei der Schaden noch zu begrenzen. Derweil ziehen Zehntausende Demonstranten durch Münchner Straßen und protestieren gegen die aus ihrer Sicht unchristliche Politik der C-Partei.

Das ist also das Umfeld, in dem Söder vor einem Jahr das "Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen" gründet, das sogenannte "Bayern-Bamf". Es soll Asylverfahren beschleunigen und Abschiebungen durchsetzen. Es soll der Stein gewordene Beweis sein, dass zumindest die CSU für Recht und Ordnung steht, wenn es schon die Bundesregierung nicht schafft.

Wenn Söder heute in kleinen Runden an die Situation vor einem Jahr zurückdenkt mit all den hitzigen Gefechten, kann es vorkommen, dass er sich mit beiden Händen an die Stirn greift und ein fassungsloses "Wahnsinn" stöhnt. Noch vor der Landtagswahl hat er dem "Asyltourismus" abgeschworen. Die Kehrtwende sollte retten, was schwerlich zu retten war. Vorbei: Mit der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer übt Söder demonstrativ den Schulterschluss, bloß kein interner Zoff mehr. Die Parteichefs Seehofer und Merkel sind inzwischen Geschichte, doch das Landesamt für Asyl ist immer noch da. Für Söder zählt es zu den wenigen Instrumenten aus dieser unseligen Zeit, die ihr Dasein bis heute rechtfertigen.

Das Landesamt habe sich bewährt, bilanziert der Ministerpräsident am Montag in Manching voller Überzeugung. Es stehe für eine gesunde "Balance von Humanität und Ordnung". Weniger als zwei Monate dauere nur noch die Bearbeitung von Asylerstanträgen. Das sei Rekord in Deutschland und biete für alle Beteiligten die beste, weil schnelle Lösung. "Wir setzen die Ausreisepflicht konsequent durch, vor allem bei Straftätern", sagt Söder. Andererseits: "Wer bei uns bleiben kann, bekommt bestmögliche Integrationschancen." Das Landesamt für Asyl sei ein "Sprungbrett für einen guten Start".

Innenminister Joachim Herrmann listet auf: 1728 Personen wurden im ersten Halbjahr mit Hilfe des Landesamts abgeschoben, etwas mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr. Gut 40 Prozent seien vorher straffällig geworden. Ziel sei es, Menschen ohne Aufenthaltschancen zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Das waren im ersten Halbjahr 5594 Personen und 2018 insgesamt 11 742. Damit gab es in den ersten sechs Monaten 7322 Ausreisen - ihnen gegenüber stehen 9746 neue Erstanträge.

"Das sind ganz andere Dimensionen als vor vier Jahren", sagt Herrmann: "Wir sind auf einem geordneten Weg." Man befinde sich auch im Austausch mit Helferkreisen, betont Landesamts-Chef Thomas Hampel. Die Vermittlung von Arbeitsplätzen im Herkunftsland soll helfen, die Perspektiven für Rückkehrer zu verbessern - und ihnen die freiwillige Ausreise zu erleichtern.

Söder sagt, die Aufgabe bestehe darin, Verfahren "ethisch, aber auch rechtsstaatlich vertretbar" abzuwickeln. Asylbewerber ohne Aufenthaltstitel, die aber seit Jahren gut integriert seien, dürften in begründeten Einzelfällen im Land bleiben. Das Zusammenspiel aller Maßnahmen - von Grenzkontrollen bis hin zu bayerisch organisierten Abschiebeflügen - führe im Freistaat zu einer stabileren Lage als in anderen Ländern.

"Das ist ein Ertrag auch für die politische Kultur in diesem Land", findet Söder. Die sogenannten Ankerzentren in jedem Regierungsbezirk sollen trotz rückläufiger Zahlen in Betrieb bleiben. Der Oberste Rechnungshof habe schon einmal gemahnt, man müsse solche Strukturen auflösen, erinnert Söder. Dann sei die Zahl der Flüchtlinge massiv gestiegen. "Diesen Fehler machen wir sicher nicht mehr."

Thomas Beyer, der Landeschef der Arbeiterwohlfahrt, hält "diese Art der Massenunterkünfte" hingegen für "menschenunwürdig". Die sogenannten Ankerzentren müssten aufgelöst werden, fordert Beyer. Alexander Thal, Sprecher des bayerischen Flüchtlingsrats, sagt: "Systematisch werden Flüchtlinge entrechtet, kriminalisiert und abschiebefertig gemacht." Die Staatsregierung solle "das Abschiebe-Landesamt" auflösen und mit dem Geld lieber die Integration von Flüchtlingen fördern. Auch die Grünen kritisieren "menschenunwürdige Zustände". Die AfD klagt, es fänden zu wenige Abschiebungen statt.

Bei 30 Prozent liege die Anerkennungsquote, Bayern schiebe mehr Menschen ab als andere Länder, sagt Herrmann. Söder spricht noch einmal von der "schwierigen Zeit" vor einem Jahr. Auch jetzt sei "nicht alles einfach", aber das Landesamt habe "viel zur Beruhigung beigetragen".

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Quelle:
SZ vom 30.07.2019/kaal
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