Wirtschaft in Bayern:„Jetzt ist bei uns tote Hose“

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In Bayern haben in den vergangenen zehn Jahren zwischen 35 und 40 Prozent der Gastronomiebetriebe auf dem Land aufgegeben, heißt es vom Branchenverband. So befindet sich die ehemalige Gastwirtschaft Mooser im oberbayerischen Gebensbach im Dornröschenschlaf. (Foto: Sebastian Beck)

In der bayerischen Gastronomie ist die Stimmung schlecht: Wirtshäuser schließen, Personal fehlt, Kosten sind hoch. Verantwortlich macht die Branche dafür vor allem die Politik in Berlin. Allerdings gibt es nicht nur Verlierer.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Fiegenstall hat 200 Einwohner und liegt im Fränkischen Seenland südlich von Nürnberg. Von dort aus sind es zehn Autominuten zum Südufer des Großen Brombachsees. Der alteingesessene „Gasthof zur Sonne“ mitten im Dorf und gleich gegenüber der Nikolauskirche profitierte viele Jahre lang von dieser Nähe; nicht mittendrin im touristischen Trubel, aber auch nicht abseits. Das bodenständige Lokal hatte einen guten Ruf; auch im Rest des Jahres steuerten Busse und Reisegruppen den Familienbetrieb an. Nicht nur die Fiegenstaller feierten dort ihre Feste, sondern auch viele Familien aus den Nachbardörfern. Bis zuletzt war das Gasthaus erfolgreich – und trotzdem ist alles vorbei.

Das Wirtsehepaar hörte 2018 altersbedingt auf. Nachfolger fanden sich nicht; „die Sonne“ stand monatelang leer, wurde schließlich verkauft und wird nun als Wohnhaus genutzt. „Früher war sie das Zentrum, wo sich das ganze Dorf traf“, sagt Bürgermeister Hans Seibold. „Jetzt ist bei uns tote Hose. Das Schlachtschüsselessen am Donnerstag, Weihnachtsfeier, Faschingsball, Dorftheater, Kegeln – das gibt es alles nicht mehr.“

Fiegenstall ist vielerorts im Freistaat. Überall im Land sterben langsam aber sicher die Dorfwirtshäuser aus; es ist ein schleichender Prozess. Allein in den vergangenen zehn Jahren seien „zwischen 35 und 40 Prozent der Gastronomiebetriebe auf dem Land aufgegeben worden“, sagt Thomas Förster, erster Vizepräsident des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Bayern. Von „stillen Betriebsaufgaben“ spricht er und davon, dass die meisten dieser Lokale „unwiederbringlich verloren“ seien. Etwas anders sei die Situation in den Großstädten, in denen es Restaurants, Bars und Wirtshäuser „an allen Ecken“ gebe. Auch dort sei allerdings „die klassische Gastronomie auf dem Rückzug“, sagt Förster, dafür gebe es inzwischen Dönerbuden, Snack- und Fastfood-Anbieter „wie Sand am Meer“. Für das schnelle Essen unterwegs und zwischendurch.

Es sind viele und zum Teil sogar widersprüchliche Entwicklungen, die das Gastgewerbe im Freistaat aktuell bestimmen. Eine Branche, die von den Corona-Lockdowns schwer gebeutelt wurde, einerseits noch immer in der Krise steckt, andererseits aber steigende Zahlen meldet. Man muss genau hinschauen. 2024 haben 4400 von fast 35 000 gastronomischen Betrieben im Freistaat geschlossen, sagt Dehoga-Vize Förster. Andererseits habe die Zahl der Erwerbstätigen in bayerischen Hotels und Gaststätten mit 447 000 in etwa wieder das Niveau wie vor der Pandemie erreicht. Allein in Mittelfranken wurden binnen zwei Jahren 25 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen. Und Thomas Geppert, der bayerische Dehoga-Landesgeschäftsführer, sagt: „Unsere Betriebe könnten sofort weitere 50 000 Leute einstellen, wenn es sie gäbe. Jeder hat Bedarf.“

Der Restaurantbesuch kommt gerade Familien teuer zu stehen

Das ist auch der Grund, weshalb die dreitägige Hoga, die mit mehr als 500 Ausstellern größte süddeutsche Fachmesse für Hotel- und Gastgewerbe, die diesen Sonntag in Nürnberg beginnt, auch eine Job- und Ausbildungsbörse ist. Sogar wer nicht in der Branche arbeitet, erhält kostenlosen Zutritt, wenn er sich registriert und sich erklärtermaßen für einen Job in Hotels und Gaststätten interessiert. Vor allem Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, sind willkommen. Selbst im benachbarten Ausland haben die Messemacher für einen Hoga-Besuch geworben.

Dass Fachmessen branchenfremde Besucherinnen und Besucher reinlassen, ist normalerweise ein No-Go und damit ein Indiz, wie groß der Leidensdruck in der Gastro-Branche ist. Umgekehrt aber macht sie es ihren Gästen gerade auch nicht leicht. Die Preise für Speisen und Getränke haben in den vergangenen Monaten in nahezu allen Betrieben stark angezogen und machen den Besuch in einem durchschnittlichen Restaurant vor allem für Familien zur teuren Angelegenheit.

So kann es nicht weitergehen, findet auch Thomas Förster. „Wir waren gezwungen, an der Preisschraube zu drehen, aber die Umstände erlauben uns nicht weiterzudrehen“, sagt der Dehoga-Vizepräsident, der selbst bis vor Kurzem das Bratwurst-Röslein in Nürnberg betrieb und sich jetzt auf Autobahnraststätten und Systemgastronomie konzentriert. Förster äußert Verständnis für die Hoteliers und Wirte. Denn deren Kosten seien zuletzt davongaloppiert; Energie, deutliche Lohnerhöhungen, der Mindestlohn, die allgemeine Inflation und die damit verbundene Konsumzurückhaltung. Höhere Preise auf der Speisen- und Getränkekarte waren die Folge.

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Im vergangenen Jahr ist der Gesamtumsatz der bayerischen Gastronomen dem Dehoga-Verband zufolge um 9,9 Prozent gestiegen. Bereinigt um die genannten Preissteigerungen sei er jedoch um 15 Prozent gesunken, so Thomas Förster. Gewinner des vergangenen Jahres waren mit einem Umsatzplus von 4,9 Prozent die Beherbergungsbetriebe, die von Sondereffekten wie der Fußball-EM und großen Konzertevents wie in München mit Taylor Swift und Adele profitiert hätten.

Er und seine Kolleginnen und Kollegen stünden „für Lebensqualität und Lebensfreude“, sagt Förster. Getrübt wird beides nach Ansicht des Verbands von der Bundespolitik, speziell der Bundesregierung. „Ich hoffe, dass die nächste Regierung besser wird wie die in den letzten drei Jahren“, sagt Förster. Dass die Ampel den während der Pandemie von 19 auf sieben Prozent reduzierten Mehrwertsteuersatz wieder auf das alte Niveau anhob, verzeiht ihr die Branche nicht. Sie fordert dauerhaft das niedrigere Niveau. Überhaupt stoße man in Berlin und speziell bei SPD und Grünen auf null Verständnis, klagen die bayerischen Dehoga-Vertreter. Im Gegensatz zur Staatsregierung und vor allem der CSU. „Kein Dehoga-Landesverband in Deutschland hat zu seiner Landesregierung ein so gutes Verhältnis wie wir in Bayern“, sagt Thomas Förster. Und Landesgeschäftsführer Geppert sekundiert: „Sie versuchen wenigstens, für uns etwas zu tun, während wir auf Bundesebene gar nix sehen.“

Beispiel Arbeitszeit. Nach zehn Stunden am Tag ist Schluss, sagt der Gesetzgeber. Im gastronomischen Alltag aber, etwa bei Hochzeitsfeiern bis weit in den Morgen, sei diese Regelung jedoch extrem hinderlich und realitätsfern, sagen die Wirte. Schlimmstenfalls müssten sie mitten in der Nacht ihr Service-Team austauschen. Nur, wer will schon beispielsweise nachts um 11 am Wochenende zu arbeiten beginnen? Hoteliers und Wirte fordern stattdessen eine flexibel zu handhabende Wochenarbeitszeit. „Nicht nur wir wollen das, sondern auch unsere Beschäftigten“, sagt Förster. Und was die Lohnsteigerungen und den Mindestlohn angehe – „bei unseren Leuten bleibt davon viel zu wenig netto übrig“.

In vielen Dörfern ohne Wirtshäuser wie Fiegenstall im Fränkischen Seenland behilft man sich mit Ehrenamtlichen. Gott sei Dank öffne der örtliche Sportverein sporadisch sein Sportheim auch für gemeindliche Veranstaltungen und auch der sonntägliche Stammtisch aus der Sonne ist dorthin umgezogen, sagt Bürgermeister Hans Seibold. Doch Ehrenamtliche könnten natürlich nicht leisten, was ein professioneller Wirt biete. Und außerdem liege das Sportheim weit außerhalb des Dorfes. Anders als früher der Gasthof zur Sonne. Der war mittendrin.

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