Der Trend im bayerischen Tourismus geht in Richtung Naherholung. Angela Inselkammer, Präsidentin des bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, hatte am Mittwoch im Münchner Presseclub Erstaunliches zu verkünden: "Derzeit geht es den Betrieben auf dem Land wieder gut, dafür leiden die in der Stadt erheblich unter den Auswirkungen der Pandemie." Jahrzehntelang musste die Branche auf das Wirtshaussterben auf dem Land hinweisen - nun scheint sich der Trend umzukehren, weil die Städter und Touristen aus anderen Bundesländern vermehrt Ausflüge oder gleich einen ganzen Urlaub in Bayern machen: "Die früheren Probleme haben sich umgekehrt."
Das könne man wohl so sagen, meinte Jürgen Lochbihler vom Münchner Kreisverband der Dehoga. Er betreibt am Viktualienmarkt in München das große Wirtshaus Pschorr und berichtete bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Inselkammer von den Nöten seiner gut 40 Kollegen in der Münchner Innenstadt: "Manche haben nur noch teilweise aufgemacht, manche erst mal gar nicht mehr, weil es sich nicht rentiert oder sie sogar draufzahlen." Es fehlten einfach die Städtetouristen, die Messebesucher und Tagungsgäste, die sonst die Innenstadt bevölkern. Nach neun Wochen Lockdown kämen Gäste aus der Stadt fast nur, wenn sie draußen sitzen könnten, und das auch erst seit Kurzem. Lochbihler: "In den ersten Tagen nach der Wiederöffnung kamen nur ein paar Leute, und die hatten sich wahrscheinlich verlaufen."
Generell habe sich die Aufenthaltsdauer im Wirtshaus sehr verkürzt, früher seien die Leute im Schnitt mehr als zwei Stunden geblieben, derzeit seien es "maximal eineinviertel Stunden. Man isst, zahlt und geht." Die Umsatzeinbrüche schätzte Lochbihler auf mindestens 50 bis 70 Prozent, die Hotels seien bestenfalls zu 20 Prozent ausgelastet. In den Urlaubsregionen auf dem Land nähere man sich laut Inselkammer fast schon der Normalität: "Mein Gefühl ist, dass bayerische Spezialitäten wieder ganz besonders gefragt sind. Die Leute kommen zum Genießen."
Bei der Situation auf dem Land wie in der Stadt handele es sich um Momentaufnahmen, keiner könne derzeit sagen, wie sich die Lage weiterentwickle, so Inselkammer. Seit der Zwangsschließung wegen der Pandemie sei ihre Branche mit einer völlig neuen Situation konfrontiert gewesen: "Wir kamen uns alle vor wie aus dem Nest gefallen. Ein totales Berufsverbot hat es zuvor noch nie gegeben." In ihrer Familie, die seit mehr als 200 Jahren den Brauereigasthof Aying betreibt, könne sich niemand an etwas Vergleichbares erinnern. "Und Corona ist nichts, was ratzfatz wieder vorbei ist. Wir werden lernen müssen, mit Corona zu leben."
Jeder 17. Arbeitnehmer ist in der Gastronomie und Hotellerie beschäftigt
Weil die Lage noch unklar ist, wollte sich Inselkammer auch nicht auf Prognosen einlassen, wie viele der Dehoga-Mitgliedsbetriebe im Winter aufgeben müssen, wenn die ersten Kreditlinien auslaufen und die strengeren Insolvenzregeln wieder gelten. "Viele" war das einzige Wort, das sie sich entlocken ließ. Generell seien nach wie vor zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet, auch wenn es hierzulande viele Familienbetriebe gebe. "447 000 Menschen sind bei uns in der Gastronomie und der Hotellerie beschäftigt", so Inselkammer, "und damit jeder 17. Arbeitnehmer in Bayern." Die Staatsregierung sei sich dessen bewusst, so die Dehoga-Präsidentin weiter, mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) arbeite man sehr gut zusammen: "Da herrscht großes Einvernehmen." Auch die Münchner Stadtverwaltung bekam ein Lob für ihre unbürokratische Genehmigung von Freischankflächen in Parkbuchten, die sogenannten Schanigärten.
Inselkammer sieht die Zukunft jedoch positiv, wenn Gastronomie und Hotellerie eine Chance bekämen, sich gewissermaßen neu zu erfinden. "Was mich aber aufregt, ist das dauernde Gerede von der zweiten Welle: Statt Panikmache sollte man viel mehr auf Verantwortung setzen."