Als der Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924) in Prag zur Schule ging, da gab es weder eine Viererkette noch ein Public Viewing, der Fußball war total unwichtig. Nicht einmal zur Kriegsertüchtigung sei er geeignet, motzten damals die Großkopferten. Der Kafka-Biograf Reiner Stach fand heraus, dass das öffentliche Herumbolzen mit einer Lederkugel oder mit einer Saubladern (Schweinsblase) sogar einen Verweis im Klassenbuch nach sich ziehen konnte.
Auch wir Dorfbuben kickten in den 60er-Jahren noch mit einer Saubladern, was belegt, dass der Fußball weit hinter den Belangen von Ackerbau und Viehzucht rangierte. Die Heranwachsenden wurden, damit sie nicht sinnlos dem Ball nachjagten, eifrig zur Feldarbeit herangezogen. Die Gespräche im Wirtshaus kreisten um Heuernte und Viechernot sowie um die Russen, die nach allgemeiner Überzeugung längst im Anrücken waren.
Einer der Stammtischkonsorten war der alte Dammerl, der den Listenreichtum der Jugoslawen sogar noch über den der Russen stellte. Er musste es wissen, schließlich hatte es ihn einst im Krieg auf den Balkan verschlagen. Seit jener Zeit erzählte er ausdauernd von seinen Raufhändeln mit den Partisanen des Marschalls Tito. Lautlos hätten sie sich angeschlichen, flüsterte er verschwörerisch, aber stets habe er sie beim Schlawittl gepackt.
Im Oktober 1967 kämpften die jugoslawischen Fußballer (Jugos) gegen Deutschland um die Teilnahme an der Europameisterschaft. Auf dem grieseligen Schwarzweiß-Bildschirm wirkten sie grimmig, und so spielten sie auch. Danach warteten die Albaner auf die Deutschen. Wir Dorfbuben taten uns nach den Ausführungen des Dammerl schwer, all diese Gegner nicht für Partisanen zu halten. Sicher erschien uns nur, dass sich plötzlich Fußballzwerge aus dem Dunstkreis des alten Habsburgerreichs anschickten, die großen Fußballmächte zu ärgern. Deutschland scheiterte an Albanien und musste bei der EM 1968 zuschauen.
Die Misere endete erst, als Deutschland den Fußball zur Religion erhob, wodurch die Nation endlich den Weg zur wahren Glückseligkeit fand. Schade, dass Franz Kafka diese Fußballseligkeit nicht mehr erlebt hat. Freilich: Viel hätte er wohl eh nicht darauf gegeben. „Das Glück, das dir am meisten schmeichelt“, schrieb er einmal, dieses Glück „betrügt dich am ehesten“.