Fridays for Future:"Krank wichtig"

Fridays for Future: "Friday for Future" erreicht nicht alle Jugendlichen gleichermaßen. Dennoch spricht Bildungsforscher Klaus Hurrelmann von der breitesten Straßenbewegung junger Menschen seit der 1968er Generation.

"Friday for Future" erreicht nicht alle Jugendlichen gleichermaßen. Dennoch spricht Bildungsforscher Klaus Hurrelmann von der breitesten Straßenbewegung junger Menschen seit der 1968er Generation.

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Die Angst vor dem Untergang treibt die Jugend auf die Straße, Forscher sehen eine ähnliche Politisierung wie zuletzt 1968. Doch bisher ist die Fridays-for-Future-Bewegung vor allem ein Aufstand der privilegierten Schicht.

Von Benjamin Emonts und Jakob Wetzel, Regensburg

Es ist Freitag, kurz nach elf Uhr, als die Regensburger Schüler die historische Altstadt erobern. Zu Hunderten ziehen sie mit Plakaten und Megafonen durch die Gassen. Auf einem Auto ist eine Anlage montiert, immer wieder dröhnt "Fridays for Future" von den Rappern Finnomen & Semo aus den Boxen. In der Gesandtenstraße schnappt sich ein junger Mann ein Megafon und brüllt: "Wer nicht hüpft, der ist für Kohle, hey, hey." Und eine ganze Gasse hüpft.

Hier in der Altstadt zeigt sich: Protest kann auch wie Party aussehen, bunt, ausgefallen, mit Freunden und lauter Musik. Dieses Gefühl steckt offenbar auch Passanten an. Die Erwachsenen am Straßenrand klatschen, einige müssen grinsen, als die Jugendlichen mit ihren Fahnen und selbst bemalten Kartons vorbeiziehen. "Fischers Fritz fischt Plastik", steht auf einem der Schilder geschrieben. Oder auf einem anderen: "Oma, was ist ein Schneemann?" Oder ein berittener Elefant gibt den Hinweis: "Ich bin Elefant, kein Entertainer."

Es sind genau die Themen, die die jungen Menschen von "Fridays for Future" beschäftigen: Globale Erwärmung, Umweltverschmutzung, Tierquälerei. In Regensburg demonstrieren sie zum neunten Mal innerhalb eines Jahres. An diesem Freitag sind es nach Schätzung der Veranstalter 500 Demonstranten, die global wie lokal ein radikales Umdenken in der Klimapolitik fordern. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut", skandieren sie. Wie Zehntausende andere in Deutschland folgen sie dem Beispiel der schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die seit ihrem ersten Schulstreik im August 2018 zum Gesicht der internationalen Klimaschutzbewegung geworden ist. Seit Thunberg zum Unterrichtsboykott aufgerufen hat, schwänzen weltweit Jugendliche freitags die Schule.

Pessimismus gehört zur DNA dieser jungen Bewegung

Doch was ist das für eine Bewegung? Wer geht in ihrem Namen auf die Straße? Und was ist es für ein Lebensgefühl, das die Menschen dorthin treibt?

"Wir spüren Angst und Panik", sagt die 14-jährige Milena, "aber das ist wichtig, weil sonst macht man nie was." Sie ist mit ihrer Freundin Hannah zum ersten Mal ohne ihre Eltern auf einer Demo, mit dem Zug sind sie aus dem Umland angereist. In der Grundschule, erzählen sie, hätten sie mal eine Partei namens "Die Bunten" gegründet und Geld für Flüchtlinge gesammelt. Doch jetzt treibt sie der Klimawandel um. "Das Rezo-Video hat uns klar gemacht, wie krank wichtig das alles ist. Ich hätte gerne, dass ich meinen Kindern noch zeigen kann, wie schön unsere Welt ist", sagt Hannah und klingt dabei schon ziemlich erwachsen. Wie andere Demonstranten auch tragen die beiden Mädchen echte Ängste in sich, sie fürchten Stürme, Hitze, Hungersnöte, Überschwemmungen und, wie Milena, sogar fremdartige Mücken. Tatsächlich warnen Mediziner davor, dass mit dem Klimawandel exotische Insekten auch in Europa heimisch werden und tropische Krankheiten verbreiten können. Außerdem hat Milena Angst, dass wegen Missernten und Hungersnöten immer mehr Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen.

Dieser Pessimismus gehört zur DNA dieser jungen Bewegung. Immer wieder äußern die Demonstranten Sätze wie: "Unsere Zeit läuft bereits ab." Oder: "Es ist vielleicht schon zu spät." Doch neben dieser Verzweiflung sind gleichzeitig auch Zuversicht und Mut zu spüren. Die Hoffnung lautet: Gemeinsam können wir etwas verändern und diese Welt retten. Das beginnt bei ihnen selbst.

Übereinstimmend erzählen die jungen Demonstranten, sie würden bereits seit Monaten kein oder kaum noch Fleisch essen. Sie würden häufiger als bisher mit ihren Fahrrädern fahren, Flüge und Plastikmüll vermeiden. Auf der Kundgebung aber geht es ihnen um die Politik. Zum Beispiel um den Ausstieg aus der Kohle-Energie. "Hoch mit dem Klimaschutz", rufen die Demonstranten und strecken die Arme nach oben. "Runter mit der Kohle", und alle gehen in die Knie. Man kennt solche Choreografien ja aus den Fußballstadien.

Aber wer sind diese Demonstranten? Wissenschaftler gehen davon aus, dass "Fridays for Future" vorwiegend aus gebildeten, jungen Menschen besteht. Im März stellten das Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin und das Forschungszentrum Socium der Universität Bremen in einer Studie fest, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmer an den Demos jünger als 20 Jahre war - und die Mehrheit der Protestierenden weiblich. Dabei gelten Demos gemeinhin als Männerdomäne.

Auch der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, Mitautor der Shell-Jugendstudien, hat die Bewegung untersucht. Er spricht von der breitesten Straßenbewegung von jungen Menschen seit der 1968-er Generation. Das Interesse an Politik nehme generell zu. Einer aktuellen Umfrage zufolge bezeichneten sich demnach 45 Prozent der zwölf- bis 25-Jährigen als politisch interessiert, das seien 15 Prozentpunkte mehr als 2002. Das liege auch am Wohlstand, vermutet der Wissenschaftler. Wegen der guten wirtschaftlichen Lage gebe es derzeit ausreichend Arbeitsplätze. "Das macht den Kopf frei und erhöht die Bereitschaft, sich um das Gemeinwohl zu kümmern", sagt Hurrelmann. "Je besser die wirtschaftliche Perspektive, desto politischer werden die Menschen." Das sei bei der 1968-er Generation auch so gewesen.

In Regensburg scheint sich das zu bestätigen. Die große Mehrheit der Demonstranten sind Gymnasiasten und Studenten. Viele bestätigen, sich keine wirtschaftlichen Sorgen zu machen. Sie haben das Gefühl, mit ihren Anliegen endlich beachtet zu werden. Mehrere Journalisten von Zeitungen, vom Radio und vom Lokalfernsehen sind zur Kundgebung gekommen. "Das gibt uns Motivation", sagt die 14-jährige Allegra, eine Gymnasiastin.

"Fridays for Future" erreicht nicht alle Jugendlichen

Gekommen sind auch viele Erwachsene. Oft sind es Eltern und Großeltern, die mit ihren Kindern und Enkeln auf die Straße gehen. Mit dabei sind Vertreter vom Bund Naturschutz sowie von "Scientists for Future" und "Parents for Future", beides Gruppen, die sich in Reaktion auf die Proteste der Jugendlichen gegründet und inzwischen gut vernetzt haben. Roland Thürmel, 47, trägt an diesem Mittag das grün-weiße Banner der "Parents for Future". Er ist Vater von vier Kindern, alle hätten schon für den Klimaschutz demonstriert, betont er. Deswegen sei auch er hier. "Es kann nicht sein, dass sich meine Kinder den Arsch für eine lebenswerte Zukunft aufreißen, und ich bleibe daheim hocken und mache gar nichts." Er werde weiter demonstrieren, bis sich endlich etwas ändert, sagt er.

"Fridays for Future" sei vielleicht auch deshalb so stark, weil die Bewegung bei den Älteren auf viel positive Resonanz stoße, vermutet Martina Gille, Soziologin am Deutschen Jugendinstitut in München. Umfragen zufolge steige das politische Interesse auch bei den Älteren. "Die Politisierung zeigt sich nicht nur bei der Jugend." Mit Blick auf die Zukunft glaubt Gille, dass die jetzigen Erfahrungen in den jungen Menschen noch lange nachwirken werden. "Es ist zu vermuten, dass Fridays for Future einen Effekt auf die politische Bewusstseinsbildung haben wird", sagt sie. "Die Erfahrung, sich artikulieren zu können, Teil einer Gruppe zu sein und Erfolg zu haben, Auseinandersetzungen mit den Eltern und den Lehrern zu führen, das Know-how, Demonstrationen zu organisieren" - diese Erfahrung könne dazu führen, dass die Menschen auch später politisch aktiver sind.

Livestream

An diesem Freitag endet das Schuljahr in Bayern mit einem wichtigen Termin: "Bayern 2050 - das Klima der Zukunft". Unter diesem Titel lädt die Süddeutsche Zeitung in Kooperation mit der Mediaschool Bayern zu einer Diskussion ins Pirckheimer-Gymnasium in Nürnberg ein. Im Mittelpunkt stehen dabei der Klimawandel, seine Folgen für Bayern und die Frage, was die Politik dagegen unternehmen kann. Auf dem Podium: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, Georg Feulner vom Potsdam-Institut für Klimaforschung und Fridays-for-Future-Aktivist Moritz Angstwurm. Die Veranstaltung wird von 13 Uhr an bis 14.30 Uhr als Livestream unter SZ.de/fff sowie auf der Homepage der SZ zu sehen sein. SZ

Manches deutet schon jetzt darauf hin. Von politischen Parteien hält sich "Fridays for Future" zwar bewusst fern. Die Regensburger Ortsgruppe hat beschlossen, dass auf ihren Klimaschutz-Demos keine Parteien auftreten sollen, auch in anderen Städten sind Fahnen oder Logos von Parteien verpönt. "Fridays for Future" will überparteilich sein und sich weder für Wahlkampfzwecke missbrauchen lassen noch sich dem Vorwurf aussetzen, von einer Partei vereinnahmt oder gar gesteuert zu werden. Trotzdem verzeichnet insbesondere die Grüne Jugend in Bayern enormen Zulauf, seit es "Fridays for Future" gibt. Allein seit Jahresbeginn hat sich die Zahl der Mitglieder um etwa 500 auf 2394 erhöht; seit Anfang 2018 hat sich die Grüne Jugend in Bayern personell fast verdoppelt. Sprecherin Saskia Weishaupt führt das neben "Fridays for Future" auch auf andere große Demos zurück, zum Beispiel in München gegen das Polizeiaufgabengesetz.

Die bayerischen Jusos hingegen haben seit dem vergangenen Jahr gut 500 Mitglieder verloren. Derzeit seien sie 7208, sagt ein Sprecher. Die Junge Union wiederum richtet aus, seit Jahresbeginn sei die Zahl ihrer Mitglieder deutlich gestiegen, auf jetzt 22 145.

"Fridays for Future" erreicht nicht alle Jugendlichen. Manche stehen am Straßenrand, rauchen und schauen unbeteiligt zu. "Die sind doch dumm", sagt einer. Alles nicht so schlimm mit dem Klima, findet ein anderer. Der Stadt zufolge leben etwa 26 000 Menschen zwischen 15 und 25 Jahren in Regensburg. Auf der Kundgebung sind 500 Teilnehmer, die Polizei spricht gar von 350.

Von 26 000 Regensburgern zwischen 15 und 25 Jahren gehen ein paar Hundert auf die Straße

Der elfjährige Johannes ist einer von ihnen. Der Fünftklässler besucht ein Regensburger Gymnasium und ist an diesem Freitag mit seinem Freund Gregor zur Demonstration gekommen. Aus ihrer Klasse mit 31 Schülerinnen und Schülern seien sie aber die einzigen hier, erzählt er. Dabei habe ihr Lehrer extra einen "Eselsbrief" verschickt, wie Johannes sagt, um die Klasse ans Demonstrieren zu erinnern. Die einschlägigen Sprechchöre haben er und Gregor alle drauf. Beim Umzug laufen sie beide in vorderster Front. Aber dass kaum Mitschüler mitmachen, "das ist ein bisschen armselig", sagt Johannes.

An Erik zieht der Protestmarsch dagegen vorüber. Er habe keine Zeit, deswegen sei er nicht zum Demonstrieren gegangen, sagt der 14-jährige Gymnasiast. Jetzt sei Pause. "Ich hab einfach krass Hunger." Und er fügt hinzu: "Ich glaube, dass das eh nichts bringt. Die Politiker nehmen uns doch gar nicht ernst."

Doch die Schüler auf der Demo zeigen sich entschlossen. Bei der Kundgebung vor dem Regensburger Albrecht-Altdorfer-Gymnasium fordern sie per Megafon lauthals konkrete Maßnahmen von der Lokalpolitik, etwa einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr oder verkehrsberuhigte Bereiche. "Wir werden erst aufhören, wenn von der Politik radikale Entscheidungen zugunsten der Umwelt getroffen werden", sagt Mitorganisator Jakob Bornschlegl; der 18-Jährige hat in diesem Jahr Abitur gemacht. An diesem Freitag haben sie den Autoverkehr in etlichen Straßen der Stadt kurzzeitig lahmgelegt.

Während der Sommerferien sind in mehreren bayerischen Städten weitere Demos geplant, auch ohne Schule. Anfang August wollen sich Tausende Schülerinnen und Schüler zum "Fridays for Future"-Sommerkongress in Dortmund treffen - auch Regensburger. Die nächste Kundgebung in der Stadt ist aber erst für Freitag, 20. September, geplant. Nach dem 15. März und dem 24. Mai ruft "Fridays for Future" an diesem Tag erneut auf der ganzen Welt zu Streiks für mehr Klimaschutz auf. In Regensburg werden sie gewiss wieder hüpfen.

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