Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Was stinkt denn hier so?

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Die Freien Wähler haben eine dufte Idee: Sie möchten "landestypische Gerüche und Geräusche" schützen. Wenn das mal nicht schief geht.

Glosse von Johann Osel

Ein schöner Witz erzählt von zwei Bekannten, der eine sagt, seine Frau und er hätten jetzt einen Ziegenbock als Haustier, der im Schlafzimmer übernachte. "Dort muss es ja fürchterlich stinken", entfährt es dem anderen. Antwort: "Ja schon, aber daran wird sich das Tier gewöhnen müssen."

Wie es dagegen um den Geruch von Zoltan, stolzer Anführer einer Ziegenherde in einem Dorf nahe Kulmbach steht, beschäftigte vergangenes Jahr Richter. Den Nachbarn stank Zoltans Bande, die Wäsche auf der Leine rieche nach Bock. Ein neues Kapitel der beliebten Reihe: Anwohner kontra Geruch oder Geräusch auf dem Land. Der famose Kuhglockenstreit in Holzkirchen ging ja durch alle Instanzen und Medien gleichermaßen, Kirchengeläut-Dispute sind bekannt. Oder die Semmel-Affäre vom Tegernsee, "Gestank" einer Bäckerei ließ Zugezogene die Nase rümpfen; andernorts lösten Käsereien oder Brauereien Zwist aus. Das Starnberger Ehepaar, das aus Unmut über Gülle einem Bauern mit Porsche Cayenne und Jeep Wrangler die Zufahrt blockierte, sei nicht vergessen.

Allen Stinkbären und Krachmachern, die qua Beruf oder bayerischer Sozialisation nicht anders können, springen nun die Freien Wähler bei. Sie wollen "landestypische Gerüche und Geräusche" schützen, analog zum "sensorischen Kulturerbe" in Frankreich. Da obliege es den Regionen, welche "Kultur" rund um Ohr und Nase darunter fällt. "Der Klang des Angelusläutens, Kuhglocken auf der Wiese, der Duft des frischen Brots aus der Backstube gehören zu unserem bayerischen Selbstverständnis", schwärmt FW-Fraktionschef Florian Streibl, sie machten "das Liebenswerte und Menschliche unserer Heimat aus". Das "Sinneserbe" sei aber bedroht.

Der Plan klingt gut, aber öffnet ein weites Feld. Ein übel riechendes, lautes Feld, es dürfte prompt eine Fülle an Wünschen auflaufen. Jeder wird sagen, dass gerade sein Beruf oder seine Leidenschaft "landestypisch" sei. Wie ist es etwa mit der Geräuschkulisse eines Bierzelts? Blaskapelle mit Märschen ja, Partyband ("Heyyy Baby, uhh-ahh") nein? Was sagt wohl der Falafel-Mann, wenn der Haxengrill nebenan Narrenfreiheit hat? Auf Facebook unter der FW-Idee kommen indes simplere Thesen. Es gehe nicht um Kulturgut, sondern "ganz einfach unser Leben" - wem's nicht passt, der solle in die Stadt ziehen.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2021
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