50 Jahre China und BayernAls Franz Josef Strauß in China Mao Zedong traf

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Das Jahr 1975, ein Bayer macht Geschichte: der Vorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß (links), und der chinesische Staatschef Mao Tse-Tung.
Das Jahr 1975, ein Bayer macht Geschichte: der Vorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß (links), und der chinesische Staatschef Mao Tse-Tung. (Foto: UPI)

Der CSU-Übervater war 1975 der erste Deutsche, dem der KP-Vorsitzende eine Audienz gewährte. China spielt bis heute eine zentrale Rolle in der berüchtigten bayerischen Nebenaußenpolitik, die Strauß begründete.

Von Roman Deininger und Andreas Glas

Natürlich haben sie das Foto aufgehängt, an einer Pinnwand, unter dem meterhohen Glasdach im Foyer des chinesischen Generalkonsulats in München. Links der schwarze Franz Josef Strauß, rechts der rote Mao Zedong. „Ist das schon 50 Jahre her?“, fragt Max Strauß. Ist es. Deswegen sind ja alle hier, am späten Freitagnachmittag im Konsulat.

Bayern und China feiern ihre Partnerschaft, die mit dem legendären Strauß-Besuch bei Mao begann, am 16. Januar 1975. „Was für eine Ehre für Papi“, sagt Max Strauß, älterer Sohn des früheren CSU-Chefs und Ministerpräsidenten. Wie „ein Treffen von alten Klassenkameraden“, findet der ehemalige Parteivize Peter Gauweiler, Staatssekretär unter Franz Josef Strauß. Und dann erzählt man sich die alten Anekdoten, etwa die vom Besuch des Mao-Nachfolgers als Chef der Kommunistischen Partei, Hua Guofeng, im Wohnzimmer der Familie Strauß in München. Damals, sagt Max Strauß, habe er mit seinem Bruder den Kamin geschürt, aber vergessen, den Abzug zu öffnen, weshalb Hua Guofeng „gut geräuchert“ worden sei.

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„50 Jahre China und Bayern“ heißt die Feier, die laut chinesischem Protokoll den Untertitel „Seminar“ trägt, was die Kulisse adäquat abrundet: Ein Rechteck aus Tischen, viele Namensschilder und Mikrofone, die Redezeit ist rationiert– und wird doch überzogen, zu viele Anekdoten. „In China gibt es so viele Menschen, aber Sie gedenken diesem einen bayerischen Politiker“, sagt Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) zu Generalkonsul Qiu Xuejun, fast ungläubig.

Strauß gilt als bedeutendster Außenminister, den die Bundesrepublik nie hatte

Gut, für gelegentliche Ausbrüche völlig enthemmter Strauß-Verehrung ist die CSU auch fast vierzig Jahre nach dessen Tod immer noch zu haben. Strauß gilt nicht nur als Übervater seiner Partei, sondern eben auch als bedeutendster Außenminister, den die Bundesrepublik nie hatte. Er war es, der die berüchtigte bayerische Nebenaußenpolitik begründete, in der China bis heute – stets unter Berufung auf den Pionier Strauß – eine zentrale Rolle spielt. Wie alle CSU-Anführer nach ihm war Strauß flexibel genug, sich seine internationalen Extratouren nicht von kleinlichen weltanschaulichen Fragen verderben zu lassen. Daheim mag er den Kommunismus mit Inbrunst bekämpft haben, doch auf seinen Reisen kannte er keine Berührungsängste.

Zumal gegenüber der Volksrepublik China, die er als weit geringere Gefahr einstufte als die Sowjetunion, obwohl Maos Herrschaft viele Millionen Chinesen das Leben kostete. Es seien ja wohl „keine chinesischen Truppen“, die auf dem Boden der DDR ständen, argumentierte Strauß. Die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung dürfe also nicht in Moskau enden. Der Kontakt nach Peking sei ihm gleich wichtig gewesen, von „Äquidistanz“ habe sein Vater gesprochen, der „Alt-Lateiner“, sagt Max Strauß.

Einen ähnlich radikal realpolitischen Ansatz verfolgte Anfang der Siebzigerjahre Mao, den die aggressive Expansionspolitik der Sowjets zunehmend verstörte. Also ließ der Vorsitzende der KP Chinas Drähte in den Westen legen – und ein ganz heißer führte eben über den chinesischen Botschafter in Bonn zum umtriebigen CSU-Chef. Dennoch war ein Termin mit Mao zunächst nicht vorgesehen, als Strauß im Januar 1975 mit kleiner Delegation nach China reiste.

Plangemäß traf er den Außenminister und den Vize-Ministerpräsidenten, doch habe sich Strauß darauf verlassen, „dass man ihn nicht einladen würde, um ihn dann öffentlich durch unbedeutende Termine herabzusetzen“, erinnert sich sein jüngerer Sohn Franz Georg. Und tatsächlich, am 16. Januar unterbrachen die Gastgeber unvermittelt das Besichtigungsprogramm an der Chinesischen Mauer und verfrachteten den bayerischen Gast in ein Flugzeug. Laut Zeitzeugen wusste nicht mal Strauß selbst, wohin die Maschine flog.

Plötzlich verfrachteten die Chinesen Strauß in ein Flugzeug

Mao empfing ihn in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, deren mildes Klima im Winter der KP-Chef schätzte. Marianne Strauß, die dabei war, habe fast „Panik“ gehabt „vor der weiten Reise in ein gänzlich unbekanntes Land zu gänzlich unbekannten Gastgebern“, sagt Franz Georg Strauß über seine Mutter. Das Gespräch der beiden, na ja, großen Vorsitzenden soll dann mehr als eine Stunde gedauert haben. Die chinesischen Zeitungen platzierten die Nachricht auf ihren Titelseiten.

Über die genauen Inhalte war zwar Stillschweigen vereinbart worden, Strauß sprach hinterher aber immerhin von einem Erlebnis „in superdimensionalen Ausmaßen“. Und er ließ es sich nicht nehmen, weltpolitische Weiterungen seiner Mission höchst vorsorglich zu dementieren: „Es gibt keine Achse Strauß–Mao mit anti-sowjetischer Stoßrichtung.“ Der DDR-Rundfunk ätzte dennoch, da hätten sich zwei „Seelenverwandte“ getroffen, die beide in der Sowjetunion ihren „Hauptgegner“ sähen.

Strauß war der erste Deutsche, dem die Ehre einer Audienz bei Mao zuteilwurde – und das, obschon er damals nur ein Oppositionspolitiker war, der außer dem CSU-Vorsitz kein Amt vorzuweisen hatte. In China habe man mit Strauß als künftigem Bundeskanzler gerechnet, erzählt sein Sohn Franz Georg. CDU-Chef Helmut Kohl jedenfalls hatte sich vergeblich um ein Gespräch mit Mao bemüht. Vor seiner Heimreise aus China gab Strauß noch eine Postkarte an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) auf, die er mit der mittelfreundlichen Grußbotschaft „Peking ist eine Reise wert“ versah. Der Kanzler wurde dann erst ein dreiviertel Jahr später zu Mao vorgelassen.

Dass die Reise nicht nur in Bayern legendär ist, schimmert in der Rede des Generalkonsuls durch. Qiu Xuejun würdigt Strauß als „Staatsmann mit Vision“, der sowohl die chinesisch-bayerischen als auch die chinesisch-deutschen Beziehungen etabliert habe. Das Treffen mit Mao sei „ein historisches Ereignis“ gewesen.

Strauß gehört seither zumindest im Geiste zu jeder politischen Reisegruppe aus dem Freistaat, die China besucht. Seit 1975 gebe es ein „besonderes Band“ zwischen Bayern und China, betonte Markus Söder bei seinem ersten Besuch als Ministerpräsident 2024. Die chinesische Seite bestätigte dieses Bild insofern, als sie dem Gast Söder einen ziemlich großen Bahnhof bereitete, mit für seine Wagenkolonne gesperrten Straßen und einem begeisterten Echo in der örtlichen Presse („Pluspunkt für die nächste Bundeskanzlerwahl“).

Markus Söder trifft auf Wang Xiaohui, den Parteisekretär der Kommunistischen Partei.
Markus Söder trifft auf Wang Xiaohui, den Parteisekretär der Kommunistischen Partei. (Foto: Peter Kneffel)
Markus Söder knutscht einen Pandabären aus Plüsch, den er zuvor von Wang Xiaohui (r), Parteisekretär der Kommunistischen Partei, als Gastgeschenk überreicht bekommen hat.
Markus Söder knutscht einen Pandabären aus Plüsch, den er zuvor von Wang Xiaohui (r), Parteisekretär der Kommunistischen Partei, als Gastgeschenk überreicht bekommen hat. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der bayerische Anspruch an die besonderen Beziehungen hat sich in fünfzig Jahren allerdings durchaus verändert. Im Gegensatz zum weltpolitisch ambitionierten Strauß begnügte sich schon Edmund Stoiber ganz gern mit der Rolle des Handlungsreisenden. China ist heute der größte Handelspartner des Freistaats in der Welt, vor allem vor diesem Hintergrund sind auch die Partnerschaften mit den Provinzen Sichuan, Shandong und Guangdong zu verstehen.

Einen chinesischen KP-Chef und Staatspräsidenten hat nach Strauß kein bayerischer Gesandter mehr getroffen. Stoiber, Horst Seehofer und Söder freuten sich auch schon über den Empfang beim Premierminister. Begleitet wurden die Herren stets von dem Verdacht, dass sich hier weiß-blauäugige Regionalpolitiker von China instrumentalisieren lassen. Söders Schmuserei mit einem Plüsch-Panda namens „Blume, Blume“ half nicht, den Vorwurf zu entkräften. Ein Beweisfoto aus der Panda-Station in Chengdu hängt nun auch an der Pinnwand im Konsulatsfoyer. „Es gibt immer auch eine Ansprache der schwierigen Themen“, beteuerte Söder damals, also auch der Menschenrechtslage. Er wolle aber „Real- statt Moralpolitik“ machen, es gehe um „Begleitschutz“ für bayerische Unternehmen.

Dass man bei diesem Balanceakt leicht ins Wanken kommen kann, hat Seehofer 2014 auf einer seiner China-Reisen erleben müssen. Von dem Trip blieb vor allem in Erinnerung, dass Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause sich von der bayerischen Delegation absetzte, um den oppositionellen Künstler Ai Weiwei zu treffen. Ein paar Jahre später beugte Seehofer vor und suchte selbst das Gespräch mit kritischen Intellektuellen. Bei der Strauß-Feier im Konsulat konzentrieren sich die Grußworte und Referate auf Freundlichkeiten, die Schwierigkeiten zwischen den Ländern spart man weitgehend aus.

Bayern zeigt China, wie man den ländlichen Raum vitalisiert

Von der vielleicht nachhaltigsten bayerisch-chinesischen Kooperation darf am Freitagnachmittag Holger Magel berichten, emeritierter TUM-Professor und Fachmann für Landentwicklung. Selbstverständlich sei es noch Strauß selbst gewesen („der wahre Urheber von allem“), sagt Magel, der ein Projekt zur Vitalisierung des ländlichen Raums in China angestoßen habe, das seit Ende der 80er-Jahre von bayerischen Behörden und der Hanns-Seidel-Stiftung vorangetrieben wurde. Im Modelldorf Nan Zhang Lou in Shangdong habe man zeigen können, wie man eine Gemeinde erneuert: mit Straßensanierung, Flurneuordnung, Schaffung von Arbeitsplätzen – und sogar mit Bürgerbeteiligung. Was den zuständigen KP-Sekretär im ersten Moment vermutlich etwas überfordert haben dürfte.

Magel versucht gar nicht erst, seinen Stolz darüber zu verbergen, dass mittlerweile „über 1000 Delegationen“ Nan Zhang Lou „besucht und bestaunt haben“.  Auch die aktuelle Strategie, mit der die chinesische Regierung ländliche Regionen stärken will, sei massiv bayerisch inspiriert. Kräftiger Applaus, das halten offenbar alle Seminar-Teilnehmer im Konsulat für eine ziemlich gute Nachricht.

Die Gäste aus Bayern und China geloben dann noch, sich bald wiederzutreffen. Ein halbes Jahrhundert nach seiner Reise zu Mao könnte Franz Josef Strauß sogar noch einmal einen richtigen Gegenbesuch bekommen. Max Strauß lädt Generalkonsul Qiu Xuejun nach Rott am Inn ein, dem Heimatort der Familie, wo sein Vater in einer Gruft begraben liegt.

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