Süddeutsche Zeitung

Digitales Stadterlebnis:Wenn Aliens Bayreuth angreifen

In Franken haben junge Menschen Spiele fürs Smartphone kreiert, denen ihre Heimat als Kulisse dient. Das Projekt ist Teil der Bewerbung Nürnbergs zur europäischen Kulturhauptstadt 2025.

Von Maximilian Gerl

Als Ziel haben sich die Invasoren Bayreuth ausgesucht. "Von da drüben kam's", sagt ein Augenzeuge und fährt mit dem Finger durch die Luft. Ein anderer: "Keine Ahnung, das Ufo war einfach da." Zu düsteren Klängen schwebt das Raumschiff über die Stadt. Plötzlich schießt es eine Energiekugel auf die "Schokofabrik" ab und hüllt das Gebäude in eine Art Schutzschirm. Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte rücken an.

Außerirdische, die ein Jugendzentrum angreifen? Mit diesem selbstgedrehten Video beginnt ein Smartphonespiel, das junge Bayreuther über ihre Heimat kreiert haben. Und nicht nur sie. Auch in Bamberg, Erlangen, Nürnberg, Roth und Schwabach haben Jugendliche im Alter zwischen neun und 16 Jahren zum Teil monatelang getüftelt, wie sich virtuelle und reale Welt spielerisch verknüpfen lassen. Neun Games sind so im Zuge des Projekts "GameOn2025" entstanden. Dahinter steckt mehr als Daddelei: Das Programm ist Teil der Bewerbung Nürnbergs zur europäischen Kulturhauptstadt 2025.

Auf das Ufo angesprochen, lacht Christoph Deeg. "Das war deren Idee, ich habe extrem wenig vorgegeben. Das war wichtig." Normalerweise berät der 45-Jährige aus Nürnberg Firmen bei der Entwicklung digitaler Strategien. Diesmal war es ein wenig anders. Als Mentor begleitete Deeg rund 100 Jugendliche und ihre Betreuer bei der Entwicklung der Spiele. Die funktionierten im Grunde "wie eine digitale Schnitzeljagd", sagt Deeg, man müsse Rätsel lösen und Fragen beantworten. Welche - und wo - entschieden die Jugendlichen selbst.

Das Ergebnis sind sogenannte "local based games", also positionsbezogene Spiele. Die Spieler müssen sich aktiv durch die Gegend bewegen, um im Spiel voranzukommen. Die Umgebung wird dabei ins Erlebnis eingebunden, die eigene Heimat zur Kulisse. So haben im Fall des Bayreuther Spiels die Entwickler überall auf dem Gelände der "Schokofabrik" Hinweise versteckt. Diese müssen die Nutzer mithilfe der GPS-Funktion ihres Handys finden, um mehr über die Alien-Invasion zu erfahren. In Bamberg dagegen ist der Spieler als zwangsversetzter Geheimagent unterwegs, der nach versteckten Portalen in eine andere Dimension sucht.

Ein Spiel zu entwickeln, das klingt nach Spaß. "Es ist aber auch Arbeit", sagt Deeg. Die Technik zählte dabei eher zu den kleineren Herausforderungen. Alle Spiele laufen über die gleiche App. In diese lassen sich nach dem Baukastenprinzip Inhalte einpflegen. Programmierkenntnisse sind nicht nötig, aber ein bisschen Einarbeitungszeit. Die konzeptionellen Hürden waren da schon größer; nicht nur für die jungen Entwickler selbst, sondern auch für ihre Betreuer. Die Jugendlichen sollten motiviert werden, sich aktiv mit ihrer Heimat auseinanderzusetzen. Also sprachen sie in Workshops über ihre Stadt, über ihre Lieblingsplätze. "Über einen fiktionalen Zugang fällt das leichter", sagt Deeg. "Nur wenn sie die Orte verstehen, können sie diese auch verändern" - und so lernen, dass sie ihre Heimat selbst gestalten könnten. Gewohnte Mechanismen aufbrechen, um in der Wahrnehmung Raum für Neues zu schaffen.

Vor allem in Nürnberg hat Spielen Tradition, zumindest in seinen klassisch-analogen Varianten. Seit dem Mittelalter gilt die Stadt als ein Zentrum der Spielzeugproduktion. Die Spielwarenmesse ist ein Branchenereignis und zog zuletzt 2900 Aussteller aus aller Welt an. Das Spielzeugmuseum wurde nach eigenen Angaben schon von mehr als 5,5 Millionen Menschen besucht. Diesem Erbe wolle man besondere Beachtung schenken, heißt es im rund 60 Seiten starken Bewerbungsbuch der Stadt. Und: "Unsere Vision ist es, dass im Jahr 2025 die ganze Region in einem großen Spiel zusammenfindet." So gesehen kann das "GameOn2025"-Projekt als ein Versuch gewertet werden, die Spieltradition der Stadt wachzuhalten, indem sie ins Digitale transformiert wird. Man habe "nicht irgendetwas machen, sondern die Menschen einbeziehen" wollen, sagt Deeg dazu. "Wir wollten, dass auch die jüngeren dabei zu Wort kommen."

Ein schöner Nebeneffekt der Spiele ist, dass mit ihnen jetzt auch Erwachsene etwas lernen können - nämlich wie junge Menschen ihre Stadt wahrnehmen. Trotzdem bleibt ungewiss, ob und wie es mit dem Projekt weitergeht. Es wird derzeit evaluiert. Sicher ist, dass sich das Konzept für weitere Episoden eignen würde, es gäbe noch viele Orte zu erkunden. Vielleicht haben sie in Bayreuth auch schon eine Idee, wo das nächste Raumschiff landen könnte?

"gameON2025" gibt es kostenlos im Apple App Store und Google Play Store. Die Anwendung benötigt unter anderem Zugriff auf Standortdaten und Kamera. Die Spiele selbst werden per QR-Code heruntergeladen. Eine Übersicht bietet die Website www.gameon2025.de.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019/vewo
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