Bayerischer Rundfunk:Der Polier aus Rom soll es richten

Portrait von Tassilo Forchheimer,

Tassilo Forchheimer ist neuer BR-Chef in Nürnberg.

(Foto: Vittorio Zannelii)
  • Tassilo Forchheimer, der frühere Leiter des ARD-Studios in Rom, ist seit 1. Oktober Chef des BR-Studios Franken.
  • Er löst Kathrin Degmair ab, die vor fünf Jahren zur Leiterin des ARD-Außenpostens berufen worden war. Ihr Vertrag wurde nicht mehr verlängert.
  • Die 42-Jährige soll von einem hochrangigen BR-Gremiummitglied wiederholt sexuell belästigt worden sein.

Von Uwe Ritzer und Olaf Przybilla

Ohne Zweifel hat Tassilo Forchheimer, 51, die höheren Weihen, die muss einer einfach haben, der so oft und so nah mit dem Papst zusammen war. Jahrelang begleitete Forchheimer als Leiter des ARD-Studios in Rom Franziskus auf seinen vielen Reisen. Und wenn Papst und Vatikan gerade Ruhe gaben, dann widmete sich der vom Bayerischen Rundfunk entsandte Korrespondent italienischen Regierungskrisen. Wie öde erscheint all dem gegenüber Forchheimers neue Dienststelle als Leiter des BR-Studios Franken in Nürnberg. Aber man sollte sich nicht täuschen.

Am 1. Oktober hat Forchheimer den Posten an der Wallensteinstraße im Südwesten der Stadt angetreten. Der größte deutsche ARD-Außenposten, in einem weitläufigen Park gelegen, ist gerade in mehrerlei Hinsicht eine Baustelle - und das nicht nur des schicken Multifunktionssaals wegen, der dort im Entstehen ist und das Studio in ein neues Zeitalter führen soll. Gewissermaßen als Polier hat BR-Intendant Ulrich Wilhelm Forchheimer nach Franken geschickt, einen Mann, der im BR-Kosmos einen formidablen Ruf genießt und unbelastet von regionalen Verquickungen von außen an die Aufgabe herangehen kann.

Ganz unbelastet geriet sein Dienstantritt allerdings nicht. Der Rundfunkrat als zuständiges Aufsichtsgremium hat die Personalie Forchheimer nicht mit der üblichen Einstimmigkeit abgesegnet. Beteiligten zufolge soll in der Juli-Sitzung mehr als ein Viertel der Rundfunkräte gegen den neuen Studioleiter in Franken gestimmt haben, was in diesem Gremium als ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang gilt.

Dem Vernehmen nach aber richteten sich die Gegenstimmen weder gegen den integren Journalisten Forchheimer, noch müssen sie als Zweifel an seiner Qualifikation interpretiert werden. Sie dürften vielmehr eine Reaktion auf die seltsamen und unklaren Umstände sein, unter denen Forchheimers Vorgängerin Kathrin Degmair im Frühjahr nach nur fünf Jahren als fränkische Studiochefin geschasst wurde.

Worüber ist Degmair so kurzfristig wie überraschend gestolpert? Tatsächlich, wie es hieß, über ihren angeblich zu robusten Führungsstil, die Klagen, die dieser bei Untergebenen ausgelöst haben soll und die Unzufriedenheit des Intendanten mit ihrer Art, das Franken-Studio zu leiten?

Die Spekulationen um die Personalie erhielten eine neue Wendung, als vor einer Woche durch die Süddeutsche Zeitung bislang intern behandelte Vorwürfe Degmairs gegen ein einflussreiches Mitglied eines BR-Aufsichtsgremiums öffentlich wurden. Der Mann soll sie mehrfach verbal sexuell belästigt haben, was er vehement bestreitet. Landtagspräsidentin Ilse Aigner kümmert sich in ihrer Eigenschaft als BR-Verwaltungsratsvorsitzende um den Fall, bei dem nun Details durchsickern. Informationen aus Senderkreisen zufolge hat Degmair ihre Vorwürfe konkretisiert.

Demnach habe der Mann ihr bei einem Arbeitsessen in einem italienischen Restaurant erklärt, sie sei "mehr als eine Sünde wert". Degmair behauptet, er habe auf schlüpfrige Weise versucht, sie zu einem Besuch in seinem Appartement zu überreden, auf einen Absacker und um gemeinsam "Spaß" zu haben. Er soll immer wieder explizit mit seiner sexuellen Leistungsfähigkeit und diesbezüglichen Erfolgen bei Frauen geprahlt haben. Nachdem sie die wiederholten Avancen mehrmals abgelehnt habe, soll das Gremiumsmitglied sogar ungebeten mit in ein Taxi gestiegen sein, mit dem Degmair habe nach Hause fahren wollen. Dabei sollen Sätze gefallen sein wie "Es ist nur Sex" - ihr Ehemann werde ganz sicher nichts davon erfahren.

Bei einem anderen Arbeitsessen zum Thema, ob man den Sender ARD-Alpha nach Nürnberg holen könnte, soll der Mann aus dem BR-Gremium Degmair zu gemeinsamem Spaß in seiner Sauna aufgefordert haben. Bei einer dritten Zusammenkunft soll er ihr offenbart haben, gerade auf Partnerinnensuche zu sein.

Bayerischer Rundfunk,Studio Franken - Neubau Multifunktionssaal

Der neue Multifunktionssaal soll das BR-Studio in ein neues Zeitalter führen.

(Foto: BR)

Bei alledem steht weiterhin Aussage gegen Aussage. Der Mann weist auch auf erneute Nachfrage alle Vorwürfe entschieden zurück: "Es gab keinerlei sexuelle Belästigung meinerseits gegenüber Frau Dr. Degmair. Es gab kein Fehlverhalten, keine anzüglichen, intimen, prahlerischen oder grenzüberschreitenden Bemerkungen meinerseits gegenüber Frau Dr. Degmair", erklärt er. "Ich habe nicht versucht, Frau Dr. Degmair zu einer sexuellen Beziehung zu bewegen. Ich möchte nochmals betonen, dass die Arbeitsessen auf Wunsch von Frau Dr. Degmair stattgefunden haben."

Nun ist es nicht ungewöhnlich, wenn sich eine BR-Führungskraft mit einem einflussreichen BR-Gremiumsmitglied zu Arbeitsessen trifft. Im Fall Degmair steht die Frage im Raum, weshalb sie die vorgeworfenen verbalen Übergrifflichkeiten aus den Jahren 2015 bis 2017 intern nicht sofort angezeigt hat. Zumindest einem BR-Kollegen aber soll sich Degmair kurz danach anvertraut haben, wie dieser auf SZ-Anfrage bestätigt. Offiziell aber hat sie die Vorwürfe erst im Februar 2019 erstmals adressiert, beim Gespräch, in dem der Intendant ihr offenbarte, dass ihr Vertrag als Studioleiterin nicht verlängert wird.

Wie ist der BR mit Degmairs Hinweisen umgegangen?

Indessen steht auch die Frage im Raum, wie der Sender in den vergangenen Monaten mit Degmairs Hinweisen umgegangen ist und ob er ihnen von sich aus mit mehr Konsequenz und Nachdruck hätte nachgehen müssen. Nein, heißt es aus dem Sender, zu vage und noch dazu ohne Namensnennung seien diese gewesen. Degmair habe bei den intern zuständigen BR-Stellen keinen ihrer Vorwürfe "konkret eingespeist", erklärte BR-Justitiar Albrecht Hesse vor einer Woche. Man könne Vorwürfen schließlich nur nachgehen, "wenn Betroffene diese auch zur Kenntnis bringen und konkretisieren". Demgegenüber seien "Gerüchte und vage Andeutungen ohne Namensnennung" schwer zu verifizieren.

Dieser Darstellung widerspricht nun Degmair und wirft dem BR über ihren Anwalt Untätigkeit und Gleichgültigkeit vor. "Beginnend im Herbst 2018" habe seine Mandantin "die Thematik intern in geeigneter, dem Sachverhalt nach gebotener Sensibilität/Diskretion anbringen und den BR so in die Möglichkeit versetzen" wollen, den Vorwürfen nachzugehen, teilt Degmairs Anwalt mit. Doch trotz "wiederholter Angebote, nähere Ausführungen zu machen, ist zunächst über einen langen Zeitraum hinweg nichts geschehen".

Wer auch immer bei alledem recht hat - es ist nicht das erste Mal, dass im Zusammenhang mit dem BR-Studio Franken der Vorwurf sexueller Belästigung aufkommt. Nach SZ-Informationen soll eine Führungskraft seines Umgangs mit Frauen wegen schon länger in der Kritik stehen. Einer jungen Frau soll er noch vor deren Dienstantritt als Praktikantin im Studio schwülstige und schlüpfrige Textnachrichten geschickt und dabei auch frivole Bemerkungen zu ihrem Äußeren gemacht haben. Die junge Frau beschwerte sich bei der Gleichstellungsstelle des BR und legte die Nachrichten vor, woraufhin der Mann 2017 eine Abmahnung kassierte. Weder er, noch der BR wollten sich auf Anfrage dazu äußern.

Gesprächsstoff liefern die beiden Vorgänge natürlich trotzdem auf dem fränkischen BR-Areal. Hier ist ein Mann offenbar belästigend auffällig worden, hat seine Abmahnung akzeptiert und ist nach wie vor in Führungsamt und Würden. Eine Studioleiterin, die Vorwürfe erhebt, selbst Opfer sexueller Belästigung geworden zu sein, ist hingegen weg. Wobei der BR betont, dass die erhobenen Vorwürfe nichts mit der Abberufung zu tun haben. Degmair und der BR haben sich nach jener Abberufung auf eine Trennung Ende 2020 geeinigt; bis dahin ist sie freigestellt, erhält weiter ihr Gehalt, plus Abfindung obendrauf.

In dieser Gemengelage erlebt Forchheimer seine ersten Tage in neuer Funktion, und auch wenn er aus Rom heikle Themen gewöhnt ist - die Einstiegsbedingungen in Franken könnten komfortabler sein. Zumal es dort noch andere Baustellen gibt. Wer sich derzeit im fränkischen BR umhört, erfährt Geschichten, die häufig von großer Unzufriedenheit handeln und ihren Ursprung zum Teil lange vor der kurzen Ära der Studioleiterin Degmair nahmen. Manches trägt fast schon unfreiwillig-kabarettistische Züge und würde gut in die Fernsehformate passen, die in Nürnberg aufgezeichnet werden. "Kabarett aus Franken" zum Beispiel, oder "Asül für alle".

Diese Shows werden seit 2000 im Foyer des dortigen Fernsehgebäudes produziert, das dafür etwa zehn Mal pro Jahr zum TV-Studio mit Platz für Besucher umfunktioniert wird. Erstaunlich nur, dass internen Dokumenten zufolge, die der SZ vorliegen, dafür über viele Jahre hinweg weder die vorgeschriebenen bau- noch brandschutzrechtliche Genehmigungen vorlagen. Was im BR entweder lange niemandem auffiel oder womöglich einfach ignoriert wurde.

Am Anfang, so teilt der Sender auf Nachfrage mit, habe man noch "einzelfallbezogene Genehmigungen" bei den Behörden eingeholt. Dann eine lange Zeit wohl nicht mehr. Geregelt wurde die Angelegenheit erst 2017, unter anderem nachdem Experten der Nürnberger Feuerwehr bei einer Ortsbegehung massive Sicherheitsmängel rügten. Seither hat der BR nach eigenen Angaben "eine mittlere fünfstellige Summe" in baulichen Brandschutz investiert. Nun hat alles seine gute Ordnung. Übergangsweise. Bis im Frühjahr 2021 der neue Multifunktionssaal in Betrieb genommen wird.

Spatenstich für neuen Multifunktionssaal des Studio Franken,

Der BR Franken als Baustelle: Im Juni 2018 schritten BR-Intendant Ulrich Wilhelm (zweiter von links) sowie die damalige Landtagspräsidentin Barbara Stamm (Mitte) und Studioleiterin Kathrin Degmair zum Spatenstich.

(Foto: Philipp Kimmelzwinger)

Auch dieses Bauprojekt hat eine ganz eigene Geschichte. 8,25 Millionen Euro soll der Saal kosten. "Wir haben über das Projekt in den vergangenen Jahren gründlich nachgedacht", versicherte Intendant Wilhelm beim Spatenstich 2018. Als dann die Baukosten davonzugaloppieren drohten, kam es intern zu kuriosen Spardebatten. So sollte die Heizleistung im Saal reduziert werden, was bei Veranstaltungen mit weniger als 40 Teilnehmern diese hätte frieren lassen. Zwischenzeitlich wurde auch ein Verzicht auf die Befeuchtungsanlage favorisiert, was die von Anfang an geplanten musikalischen Produktionen mit Flügel und Holzinstrumenten unmöglich gemacht hätte. Auch Abstriche bei der Raumakustik standen im Raum, wodurch Kammermusik-Produktionen unmöglich geworden wären. Und zu guter Letzt wies die Stadt Nürnberg darauf hin, dass maximal zehn Veranstaltungen über 22 Uhr hinaus pro Jahr zulässig wären. Aus Gründen des Lärmschutzes für die Anwohner.

Inzwischen seien für all dies Lösungen gefunden, versichert der BR. Für den Anwohnerschutz gebe es ein Konzept, das mehr als nur zehn Abendveranstaltungen erlaube. Die Raumakustik werde man sinnvoll für "möglichst viele Nutzungen" gestalten, und die Befeuchtungsanlage soll auch eingebaut werden. Alles gut also?

Klar würde man nun gerne wissen, was Tassilo Forchheimer über all das denkt. Und auch darüber, ob der Weg von Rom nach Nürnberg ein wirklich verlockender Karriereschritt ist? BR-Leute sagen: Dass mit Forchheimer einer aus der ersten Riege der BR-Auslandsstudio-Leiter nach Franken gesandt wurde, zeige, welche Bedeutung dem Regionalstudio derzeit beigemessen wird. Forchheimer stehe für diplomatisches Geschick und gute Nerven. Ein Mann eben, den das Haupthaus in komplizierte Gebiete schicken kann: erst Italien - jetzt Franken. Forchheimer selbst mag der SZ dazu nichts sagen. Dass Schweigen mitunter das Beste ist, was man tun kann, das wird er im Vatikan beobachtet haben.

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