Energiepolitik:Söders Nebensatz mit Sprengkraft

Energiepolitik: Proteste gegen Fracking gibt es auch in Bayern schon länger, zum Beispiel im Jahr 2015 bei einer Aktion in München.

Proteste gegen Fracking gibt es auch in Bayern schon länger, zum Beispiel im Jahr 2015 bei einer Aktion in München.

(Foto: Marc Müller/dpa)

Bayerns Ministerpräsident bringt auf dem Weg zur Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas Fracking ins Spiel. Allerdings sieht er die Potenziale dieser höchst umstrittenen Technologie weniger im Freistaat als vielmehr in Norddeutschland.

Von Thomas Balbierer, Andreas Glas, Matthias Köpf und Christian Sebald

Manchmal verstecken sich die interessanten Dinge in Nebensätzen. Etwa am Montag, als Markus Söder sich per Video mit dem CSU-Vorstand traf. Die Schalte lief noch, da hatte sich die Nachrichtenrepublik schon auf einen Söder-Satz gestürzt, der nach außen gedrungen war. "Sie blamiert Deutschland", hatte der CSU-Chef in der internen Runde über Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) gesagt. Binnen Minuten fand der Satz seinen Weg ins Netz. "Söder fordert Entlassung von Lambrecht", das waren die Schlagzeilen. Und kaum mehr jemand interessierte sich für diesen Nebensatz, den Söder nach der Videoschalte fallen ließ. Er sprach sich dafür aus, zu prüfen, "ob Fracking in Deutschland möglich ist".

Hoppla, Fracking! In Deutschland! Es heißt, diese Methode zur Öl- oder Gasgewinnung kontaminiere das Grundwasser, könne ganze Landstriche zerstören. Fracking ist ein Reizwort hierzulande. Nun stellen sich Fragen: Warum bringt Söder das umstrittene Fracking überhaupt ins Spiel? Ist das realistisch? Und kann es sein, dass er mit "in Deutschland" vor allem meint: nicht in Bayern?

Um sich angesichts des Angriffs auf die Ukraine von Gas und Öl aus Russland unabhängig zu machen, wirbt Söder seit Wochen für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraft. "Alle Optionen zu ziehen", dazu gehört für Söder nun auch Fracking. Es gehe darum, "Ideologien von Bord zu schmeißen", schob er am Mittwoch nach. Darum, die Potenziale "einfach mal zu untersuchen. Was gibt es? Wo geht das?"

Seit 2017 ist das "unkonventionelle Fracking" in Deutschland verboten

Beim Fracking wird Wasser mit Sand oder chemischen Zusätzen in das gas- oder ölführende Gestein gepresst, damit es durchlässiger wird. Sogenanntes konventionelles Fracking im Sandstein wird auch in Deutschland seit vielen Jahren praktiziert. Mit dem "unkonventionellen Fracking" etwa in Schiefer-, Mergel- und Tongestein gibt es aber bundesweit keinerlei Erfahrungen. Seit 2017 ist es für die kommerzielle Gasförderung verboten.

Will Söder das ändern? Wenn ein CSU-Chef nach Fracking ruft, ist das jedenfalls eine Kehrtwende. "Fracking wird es in Bayern nicht geben. Darauf können Sie sich verlassen", sagte der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer 2014 zu entsprechenden Plänen in der Oberpfalz. Der Widerstand der Menschen, auf den Söder bei den Windrädern so Rücksicht nimmt, kümmert ihn beim Fracking offenbar nicht so sehr.

Am Mittwoch stellte er klar, dass die von ihm geforderte "Potenzialanalyse" Bayern einschließt. Er selbst sieht die Potenziale aber vor allem "in Norddeutschland". Bei der Debatte über ein Atommüllendlager klingt Söder ähnlich. Er fordert eine Verlängerung der Kernkraft und bekräftigt zugleich, "dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Endlager ist" - obwohl die Bundesgesellschaft für Endlagerung im Freistaat sieben mögliche Standorte sieht.

Das Potenzial von deutschem Fracking-Gas wäre immens

Die rund 60 bekannten Öl- und Gaslagerstätten in Bayern liegen alle südlich der Donau. Einen kleinen Boom erlebte die Förderung ab den 1950er-Jahren, als viele Felder im östlichen Oberbayern erschlossen wurden. Doch schon 40 Jahre später galten die meisten als ausgebeutet, einige dienen heute als unterirdische Gasspeicher. Gefördert wird im Wesentlichen noch aus zwei Ölfeldern bei Aitingen und Schwabmünchen südlich von Augsburg und einem kleinen Vorkommen in Landkreis Dachau.

Im oberbayerischen Ampfing, wo bis 1997 eine halbe Million Tonnen Erdöl gefördert und noch einmal die gleiche Menge im Boden vermutet wurde, ist ein neuerlicher Bohrversuch vor zwei Jahren gescheitert. Der Ampfinger Sandstein wäre aber porös genug, Fracking hätte dort nach Angaben des Bohrunternehmens nichts gebracht. Auch aus einer neuerlichen Gasbohrung bei Halfing in Landkreis Rosenheim ist nichts geworden, der Energiekonzern Wintershall hat sich im Januar von dem Projekt und damit aus ganz Süddeutschland zurückgezogen.

Anderswo sind die Fracking-Potenziale offenbar immens. Laut dem Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie lagern in in deutschen Schiefergesteinen bis zu 2,3 Billionen, in Kohleflözen 450 Milliarden und in konventionellen Lagerstätten immerhin 40 Milliarden Kubikmeter erschließbares Erdgas. Damit könne die Versorgung in Deutschland für lange Zeit gesichert werden.

Die tatsächliche Förderung sinkt dagegen seit Jahren. 2021 betrug sie knapp 5,2 Milliarden Kubikmeter. Bayern kam auf 1,4 Millionen Kubikmeter oder auf einen Anteil von 0,03 Prozent. Die 2021 im Freistaat geförderten 36 400 Tonnen Erdöl entsprechen gut zwei Prozent der deutschen Produktion. Im Vergleich zum bundesweiten Verbrauch sind diese bayerischen Fördermengen praktisch zu vernachlässigen.

Umweltrisiken ließen sich minimieren, hieß es von einer Expertenkommission

Fracking aus unkonventionellen Lagerstätten sollte in Bayern keine Rolle spielen, darin waren sich Regierung und Opposition bisher einig. 2015 forderten Ulrike Scharf und Ilse Aigner (beide CSU) sogar ein bundesweites Verbot, um keine Technologien zu ermöglichen, "die sich eines Tages als tickende Zeitbombe herausstellen. Der Schutz von Grund- und Trinkwasser muss Vorrang haben".

Dem Bundestag hat im vergangenen Juni eine Expertenkommission einen Bericht über die technische Machbarkeit von unkonventionellem Fracking in Deutschland vorgelegt. Sie sprach sich in dem Bericht zwar nicht explizit für die Zulassung aus - dies sei ein politischer Prozess. Sie hielt jedoch fest, dass sich die Umweltrisiken minimieren ließen. Die Erschließung derartiger Erdgas-Vorkommen habe "sich international in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt", es würden inzwischen "weniger toxische Zusätze und insgesamt geringere Mengen verwendet".

Eine Bundestagsdebatte darüber gab es allerdings bis heute nicht. Das Thema schien vom Tisch zu sein - bis die deutsche Energiepolitik mit dem russischen Angriff auf die Ukraine implodierte. Wird nun neu über nachgedacht? Laut Bundeswirtschaftsministerium gibt es "zurzeit keine solche Planungen". Man sei zu diesen Fragen in kontinuierlichem Austausch mit den Ländern.

Am Mittwoch spricht Bayerns Ministerpräsident auch über Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und dessen Versuch, Katar als neuen Gaslieferanten zu gewinnen. "Ist es sinnvoll, auf Dauer umstrittene Partner allein zu suchen, um Ersatz zu bekommen" für russisches Gas, fragt Söder. Oder sei es nicht besser, ergebnisoffen "zu prüfen, welche eigenen Möglichkeiten bestehen". In der kommenden Woche reist Söder auf der Suche nach neuen Partnern erstmal selbst in Staaten, die wegen ihres Umgangs mit Menschenrechten in der Kritik stehen: nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate.

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